Foto: Henry Steinhau/Emmett, CC-BY 4.0

Überdachte Fahrradstellplätze an einem Bahngleis

Bürger:innen belohnen, Kommunen motivieren: So ringt die Bahn um mehr Fahrradstellplätze an Bahnhöfen

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Henry Steinhau

Bürger:innen belohnen, Kommunen motivieren: So ringt die Bahn um mehr Fahrradstellplätze an Bahnhöfen

Jeder gestrampelte Kilometer zählt: Die Deutsche Bahn vermittelt Radfahrenden kleine Belohnungen. Dafür müssen sie eine App nutzen, die die Tourendaten sammelt. Zudem will die Bahn gemeinsam mit dem Bund die Kommunen dabei unterstützen, bis zu 100.000 neue Radstellplätze an Bahnhöfen zu schaffen.

Ob in Ahrensburg, Erlangen oder Wiesbaden: In 14 deutschen Städten können sich Bürger:innen für das Radfahren belohnen lassen. Dafür müssen sie die kostenlose Smartphone-App „Rad+“ verwenden, die die Deutsche Bahn herausgibt, und manuell aktivieren, dass die App ihre Fahrten aufzeichnet. Je nachdem, wie viele Kilometer sie zurücklegen, erhalten sie dafür in und von örtlichen Geschäften beispielsweise ein Heißgetränk, ein Bienenwachstuch oder eine professionelle Fahrradreinigung.

Wenig Daten über den Radverkehr

Doch warum animiert die Bahn die Menschen zum Radfahren und warum sammelt sie solche Tourendaten? Als Mobilitätsform scheint das Fahrradfahren gut erforscht zu sein. So ermitteln der „Fahrradmonitor“ (PDF) im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) und der Fahrradklima-Test des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) regelmäßig eine Fülle an Erkenntnissen. Doch es gibt Lücken: Wohin radeln die Menschen? Welche Distanzen legen sie zurück? Wo werden Fahrräder wie lange abgestellt? Zu diesen und ähnlichen Fragen fehlen vielerorts Daten. Diese Informationen wären aber für Großstadtbezirke sowie mittlere und kleine Städte wertvoll – also dort, wo die Kommunen für Verkehr und Stadtentwicklung verantwortlich sind.

Hier positioniert sich die Deutsche Bahn mit ihrer „Rad+“-App, um genau solche Daten per Crowdsourcing zu erheben. Offenbar traf sie mit der Idee, die Menschen mit Belohnungen zum Radfahren zu motivieren, vielerorts auf Interesse. Seit dem Start im Mai 2020 schlossen sich nach und nach 14 Städte und Kommunen der Initiative an (Stand: Januar 2022). Seither registrierte die Datenbank insgesamt rund 1,13 Millionen gefahrene Kilometer. Auf der zugehörigen Webseite finden sich tagesaktuelle Bilanzen, wobei die erfassten Fahrdaten als Heatmaps verzeichnet sind – besonders frequentierte Stellen werden als große „Kleckse“ dargestellt.

Benutzeroberfläche DB-App Rad+

Screenshot: DB Rad+

Die Rad+-App der Deutschen Bahn trackt die gefahrenen Kilometer, die die Radfahrer:innen beispielsweise an einem Kiosk für einen Kaffee einlösen können.

„Die Heatmaps visualisieren Referenz- oder Knotenpunkte, die unser System automatisch definiert. Sobald ein bestimmter, mit GPS-Daten eindeutig beschriebener geografischer Ort achtmal durchfahren wurde, gilt er als Referenzpunkt“, erklärt Niklas Rehder. Als Projektmanager ist er gemeinsam mit Alexander Slaby bei DB Station & Service, einem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, für „Rad+“ zuständig. Auf dieser Berechnungsgrundlage bilden die Heatmaps das erfasste örtliche Radverkehrsgeschehen ab. „Die App zeichnet GPS-Daten auf und die entstandenen Routen werden durch verschiedene Maßnahmen, wie Beschneiden und Aggregation, anonymisiert und sind somit nicht auf einzelne Radfahrende rückführbar“, so Slaby: „Wir agieren datensparsam, stets datenschutzkonform und das machen wir den Nutzer:innen auch deutlich.“

Screenshot einer Heatmap

Screenshot: Emmett, Quelle: DB Rad+

An den sogenannten Heatmaps lässt sich auf der Rad+-Webseite für jede assoziierte Stadt (hier: Wiesbaden) erkennen, welche „Referenzpunkte“ die Daten spendenden Bürger:innen per Rad durchfahren haben.
Screenshot einer Heatmap

Screenshot: Emmett, Quelle: DB Rad+

Anhand der Größe der Referenzpunkte lassen sich häufig genutzte Routen und Orte identifizieren – wie hier nahe dem Hauptbahnhof Wiesbaden.
Prämien für die Gesamtkilometer sollen die Fahrrad-Community stärken

Mit „Rad+“ verfolgt die Deutsche Bahn das Ziel, die gesammelten Daten auswerten und interpretieren zu können, wobei Fahrten mit dem Fahrrad zu oder von Bahnhöfen besonders relevant sind. Rehder und Slaby geben an, dass es ihnen gleichzeitig wichtig sei, einen Teil der gewonnenen Daten – etwa zu den gefahrenen Gesamtkilometern oder zu den Knotenpunkten – an die Verkehrsbehörden weiterzureichen. Diese sollen empirisch ermittelte Erkenntnisse für die eigene Radwegeplanung in die Hand bekommen.

Die Kommunen können über „Rad+“ allerdings noch darüber hinaus profitieren. Erreicht die Zahl der gefahrenen Gesamtkilometer in ihrer Stadt beispielsweise 25.000 Kilometer, erhalten die Bürger:innen eine fest installierte Fahrrad-Reparatur-Station. Weitere Prämien, die sowohl die Bahn als auch andere Sponsoren stellen, umfassen etwa das Pflanzen von Bäumen und Stadtgrün, ein Fahrradfest oder kostenlose Fahrradinspektionen. Damit soll der Gemeinschaftsgeist der lokalen Fahrradcommunity gestärkt werden. Gleichzeitig will die Bahn die Behörden für die Bedürfnisse der Radfahrer:innen sensibilisieren.

In Wiesbaden traf „Rad+“ auf offene Türen

In Wiesbaden fiel die Initiative auf fruchtbaren Boden. Die hessische Landeshauptstadt mit knapp 300.000 Einwohner:innen war jahrelang Schlusslicht im ADFC-Ranking der Fahrradfreundlichkeit. Aufgrund hoher Stickstoffdioxid-Belastungen drohte 2019/2020 sogar ein Dieselfahrverbot, wie Roland Petrak vom Wiesbadener Umweltamt berichtet. 2019 rief die Stadt den Klimanotstand aus und startete ein Maßnahmenprogramm, inklusive mobilitäts- und verkehrsbezogenen Umstrukturierungen. „Die Stadt nahm Geld in die Hand und richtete systematisch neue Umweltspuren ein und baut kontinuierlich die Fahrradinfrastruktur aus“, so Petrak.

Dies hatte zur Folge, dass der Radverkehr zunahm, wodurch zugleich die Reduzierung des Autoverkehrs unterstützt wird. Doch handfeste Daten besitzt die Stadt Petrak zufolge nicht. Unklar sei auch, wie viele Menschen auf das Fahrrad umgestiegen sind und welche Strecken sie fahren. Die Initiative „Rad+“ sei daher bei den Behörden auf offene Türen gestoßen: „Die Prämien machen das Radfahren noch attraktiver, bringen einen Spaßfaktor und die lokalen Medien greifen dadurch das Thema Radfahren auf.“

Die monatlich von der Deutschen Bahn gelieferten Daten seien sehr aufschlussreich und relevant für städtische Umbaumaßnahmen, so Petrak. Die Statistik verzeichnete bis Herbst 2021 knapp 3.000 Datenspender:innen, knapp 53.000 getrackte Routen und etwa 220.000 mit dem Fahrrad absolvierte Kilometer. Dies entspricht im Schnitt vier bis viereinhalb Kilometern pro Fahrt. Zudem wurden knapp 1.000 Prämien eingelöst, wobei der Einkaufsrabatt im Supermarkt, Äpfel auf dem Markt und eine Zimtschnecke beim Bäcker besonders beliebt waren. Bis Januar 2022 kamen bereits 400.000 Kilometer zusammen – und damit weitere Meilensteinprämien für die Stadt.

Screenshot einer Website

Screenshot: Emmett, Quelle: DB Rad+

Den Städten winken besondere Prämien, sobald die in einer Stadt per Rad+-App insgesamt erfassten Kilometer einen definierten Meilenstein erreicht haben, beispielsweise kostenlose Fahrradreinigungen.

In Wiesbaden nehmen rund 30 Händler:innen an „Rad+“ teil. Laut Roland Petrak waren sie bislang dermaßen zufrieden, dass auch die städtische Industrie- und Handelskammer (IHK) auf das Umweltamt zukam, um bei der Kampagne mitzumachen. „Für uns als Stadt sind die Reaktionen ein Anreiz, die Bedingungen für das Radfahren weiter zu verbessern, beispielsweise mit noch mehr Reparatursäulen entlang beliebter Radrouten“, so Roland Petrak.

Der Bahn geht es um die Bahnhöfe

Die Deutsche Bahn zieht eigenen Aussagen zufolge bei der Initiative „Rad+“ eine positive Zwischenbilanz. Das Programm werde auf unbestimmte Zeit fortgesetzt. Dafür spricht laut Rehder und Slaby allein schon die Nachfrage aus den Kommunen. Doch auch die Datenauswertungen bestärkten die Verantwortlichen in ihrer Entscheidung. Slaby und Rehder erhoffen sich weitere Erkenntnisse: „Bei großen Bahnhofsgebäuden gibt es viele Eingänge an mehreren Seiten. Daraus ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten für Stellplätze. Wir wollen ermitteln, welche für Radfahrende die besten wären.“

Es soll allerdings nicht bei dieser Datenerhebung bleiben. Um den Erkenntnissen zu den Fahrradstellplätzen an Bahnhöfen Taten folgen zu lassen, hat die Bahn in Kooperation mit dem Bundesumweltministerium (BMU) eine weitere Kampagne ins Leben gerufen. Mit „Bike+Ride“ bieten Bund und Bahn den lokalen Behörden zweckgebundene Fördergelder sowie operative Hilfe an, etwa bei der Flächenfindung, der Antragstellung sowie der Planung und Durchführung der Baumaßnahmen.

Für Radstellplätze an Bahnhöfen sind die Kommunen zuständig

Die Kampagne kommt nicht von ungefähr. Seit der Bahnreform 1994 ist nicht mehr die Bahn, sondern sind die Kommunen für die Fahrradparkmöglichkeiten an Bahnhöfen zuständig. Der Projektleiter von „Bike+Ride“, Ludger Palz, sagt dazu: „Viele Kommunen mussten und müssen erst noch verinnerlichen, dass dies nun zu ihren Aufgaben gehört, im Rahmen ihrer Pflicht zur Daseinsvorsorge.“ Gleichzeitig sieht das Verkehrsunternehmen in den Abstellplätzen einen Teil ihres Serviceangebots. „Aus Sicht der Bahn sind Radstellplätze eine kundengerechte Basisdienstleistung, ähnlich wie Toiletten und Bahnsteige. Das Fahrradparken ist kein Geschäftsmodell. Daher sind auch die meisten Radpark-Anlagen für Nutzende kostenlos.“

Zwar gebe es an einigen Bahnhöfen auch Anbieter:innen, meist Verbünde oder Kommunen, die kostenpflichtige Stellplatzanlagen betreiben, wie „Dein Radschloss“, „B+R Box“, „RadSafe“ und andere. Aber auch für sie rechne sich das Ganze kaum, so Palz: „Selbst in den Niederlanden, wo es vielerorts riesige Radabstellanlagen und insgesamt viel mehr Stellplätze gibt, verdient keiner Geld mit Fahrradparkhäusern. Aber sie bieten sie an, weil mit der Bezahlung den Kund:innen ein wichtiger Mehrwert geboten wird: gesichertes Parken, so dass der Diebstahl der – oft hochwertigen – Räder weitgehend verhindert werden kann.“

Die Bahn greift den Kommunen unter die Arme

So oder so, die Kommunen sind gefordert, doch Bund und Bahn bieten gezielt Unterstützung. Das erwähnte Programm „Bike+Ride“ läuft seit 2018, betrieben als Kooperation der Deutschen Bahn mit dem BMU und dem BMDV. Einen großen Schub für die Kampagne erhoffen sich die Beteiligten von der gemeinsam eingerichteten „Infostelle Fahrradparken am Bahnhof“, die im Juli 2021 startete und besser über das Programm informieren soll. Dies erscheint dringend nötig, denn das selbst gesteckte Ziel ist ambitioniert: Bis Ende 2022 sollen bis zu 100.000 neue Fahrradstellplätze an Bahnhöfen entstehen.

Gegenwärtig gibt es bundesweit 400.000 Fahrradstellplätze an etwa 5.700 Bahnhöfen. Dabei handelt es sich um Schätzungen, genaue Angaben besitzt das Verkehrsunternehmen nicht, da die meisten Stellplätze von den Kommunen errichtet wurden. Unbekannt ist ebenso, welche Art von Stellplätzen jeweils vorhanden ist, ob einfache, kleine Rundbügel der Marke „Felgenkiller“, höhere Anlehnbügel oder zeitgemäßere Modelle und Abstellanlagen, womöglich doppelstöckig oder überdacht.

Um die Datendefizite zum Bestand der Radstellplätze an Bahnhöfen abzubauen, erhebt die Bahn im Rahmen der „Infostelle“ die aktuellen Ist- und Sollzustände sowie den Bedarf der Bürger:innen, zusammen mit der Firma FixMyCity. Das auf Radverkehrsdaten spezialisierte Berliner Start-up – hervorgegangen aus einem mFUND-geförderten Projekt – startete im Herbst 2021 eine Crowdsourcing-Kampagne, bei der Radfahrer:innen in einer App die Zustände von Fahrradstellplätzen an jedem Bahnhof beschreiben und ihre Wünsche eingeben können.

Screenshot der Kampagme Fahrradparken

Screenshot: Emmett, Quelle: Infostelle Fahrradparken am Bahnhof

Auf ihrer Webseite veröffentlicht die „Infostelle Fahrradparken am Bahnhof“ den jeweiligen Zwischenstand ihrer Citizen-Science-Kampagne. Online können Bürger:innen eingeben, wieviel und welche Radstellplätze an Bahnhöfen vorhanden sind und diesbezügliche Bedarfe und Wünsche mitteilen.

Bis Mitte Januar 2022 gingen bei der „Infostelle“ über 8.000 Bewertungen zu rund 1.500 Bahnhöfen ein und über 10.000 Abstellanlagen wurden exakt erfasst. Die Auswertung dauert noch an, erste offizielle Ergebnisse sollen bis zum Sommer 2022 vorliegen. Doch schon jetzt lasse sich sagen, so FixMyCity-Mitgeschäftsführer Heiko Rintelen, dass die am häufigsten genannten Probleme bisher „zu wenige Stellplätze“ (18 Prozent), „zu wenig überdachte Stellplätze“ (15 Prozent) und „zu wenig abschließbare Stellplätze“ (14 Prozent) seien.

Rund 7.000 Bahnhofs-Radstellplätze errichtet, 50.000 weitere bereits in Planung

Auch zu den Bauvorhaben im Rahmen von „Bike+Ride“ gibt es einen Zwischenstand: So wurden bis Dezember 2021 an 65 Bahnhöfen rund 7.000 neue Stellplätze geschaffen. Mehrheitlich setzten die Kommunen dabei auf nicht überdachte Doppelstockanlagen, viele installierten Abstellbügel; vergleichsweise wenige Kommunen investierten in Überdachungen oder sogenannte Sammelschließanlagen, die mehr Witterungsschutz und Sicherheit bieten.

Tortendiagramm

Grafik: Emmett, Quelle: Bike+Ride/DB Station & Service

Zwischenstand der Bike+Ride-Offensive der Bahn, die sich selbst das Ziel von 100.000 neuen Radstellplätzen an Bahnhöfen steckte.

Durchschnittlich bauten die mit Bike+Ride kooperierenden Kommunen also 40 bis 50 neue Stellplätze je Bahnhof. An einzelnen Standorten entstanden Großanlagen oder regelrechte Fahrradparkhäuser mit dreistelliger Kapazität, etwa in Freising bei München (874 Stellplätze), am Mainzer Hauptbahnhof (702) und am Bahnhof Köln Süd (480).

Weitere 500 Vorhaben mit fast 50.000 Stellplätzen seien derzeit bundesweit konkret in Planung, so Ludger Palz von DB Station & Service. Doch selbst die scheinen nicht auszureichen. So nennt die im Jahr 2020 veröffentlichte Studie „Fahrradparken an Bahnhöfen“ einen Bedarf von 1,5 Millionen Fahrradabstellplätzen an deutschen Bahnhöfen. Auch bei der Deutschen Bahn scheint man sich dessen bewusst zu sein, dass in den Kommunen noch viel passieren muss.

„Leider“, so Bahn-Projektleiter Ludger Palz, „mangelt es in den Kommunen oft an finanziellen und personellen Ressourcen.“ Außerdem, so Heiko Rintelen von FixMyCity, sollten die Bahnhofsstellplätze idealerweise in ein umfassendes Radwegenetz eingebettet sein: „Ein Bahnhof und Stellplätze werden letztlich noch besser angenommen, wenn auch die Fahrt mit dem Rad dorthin attraktiv ist, nicht voller Hürden, Gefahren oder Engpässe.“

So gesehen könnten die gesammelten Daten der „Rad+“-App nicht nur über besonders frequentierte Knotenpunkte und eher gemiedene Straßenzüge Auskunft geben. Der Radverkehr könnte insgesamt zunehmen, wenn die Behörden darauf aufbauend die Radinfrastruktur verbessern. Dies dürfte umso relevanter werden, desto mehr Menschen sich auf ihre Fahrräder schwingen – die nächste Belohnung schon im Auge.

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