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Europäische Mobilitätsinnovationen auf der Open Data for Smart Mobility Conference

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Henry Steinhau

Europäische Mobilitätsinnovationen auf der Open Data for Smart Mobility Conference

Mitte November 2020 fand die europäische Open Data for Smart Mobility Conference (ODSMC) statt. Die digitale Veranstaltung – ausgerichtet vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft – diskutierte innovative, datenbasierte Mobilitätsdienste und Herausforderungen auf dem Weg zu neuen Datenräumen.

Die ganztägige Konferenz lotete die Möglichkeiten und Herausforderungen für datenbasierte Unternehmen aus, europaweit verfügbare Mobilitätsdienste zu entwickeln und zu skalieren. Zugleich zeigte sie das Potenzial offener Daten für eine klimafreundliche, barrierefreie und europaweit vernetzte Mobilität auf. Ergänzend bot die Konferenz den rund 400 Teilnehmer*innen aus Politik, Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft zahlreiche Gelegenheiten, sich zu vernetzen und auszutauschen.

Blick in das Sendestudio der ODSMC im BMVI
Blick in das Sendestudio der ODSMC im BMVI
Online-Auditorium und -Fachforen, Speed-Networking-Tools und virtuelle Ausstellung

Aufgrund der Covid-19-Pandemie fand die ODSMC ausschließlich online statt. Aus einem eigens eingerichteten Studio im BMVI führte ein Moderationsteam des iRights.Lab durch das live gestreamte, umfangreiche Programm (PDF), in das sich Teilnehmer*innen aus zahlreichen europäischen Ländern einklinkten. Ihnen standen ein großes Online-Auditorium sowie mehrere kleine virtuelle Veranstaltungsräume zur Verfügung, in denen sechs moderierte Fachforen stattfanden. Darüber hinaus konnten sich die Teilnehmenden nach den Panels und in den Pausen in „Speed-Networking-Tools“ vernetzen, in „one-on-one-(Video-)Chats“ austauschen oder im virtuellen Ausstellungsbereich informieren.

Das ODSMC-Moderationsteam des iRights.Lab, Ludwig Reicherstorfer und Wiebke Glässer
Das ODSMC-Moderationsteam des iRights.Lab, Ludwig Reicherstorfer und Wiebke Glässer

Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen zum einen datenbasierte Mobilitätskonzepte und -technologien sowie die Frage, wie sich diese europaweit beschreiben und messbar machen lassen, zum anderen die Herausforderungen, Mobilitätsdaten zu teilen, in länder- und bereichsübergreifenden Datenräumen zusammenzuführen und effizient nutzbar zu machen.

In zahlreichen Vorträgen von Startups, etablierten Unternehmen der Verkehrsbranche sowie renommierten Forschungseinrichtungen und Universitäten aus ganz Europa ging es um praxiserprobte, innovative Nutzungen von Open Data sowie um zukunftsweisende Forschungsprojekte zu Mobilitätsdaten für unterschiedliche Verkehrsbereiche, zum Beispiel Straße, Schiene und Wasser.

Im Aufbau: Nationale und EU-weite Mobilitätsdatenräume
Bundesminister Andreas Scheuer bei seiner Eröffnungsrede zur ODSMC
Bundesminister Andreas Scheuer bei seiner Eröffnungsrede zur ODSMC

Zum Auftakt der Konferenz wies Bundesminister Andreas Scheuer auf den nationalen Mobilitätsdatenraum hin. Dieser soll bis Ende 2021 aufgebaut sein und intelligenten Verkehrssystemen als Grundlage dienen. Damit trage Deutschland zu einem europäischen Netzwerk von Mobilitätsdatenräumen bei, das bereits in der Passauer Erklärung der EU- und EFTA-Verkehrsministerien als Ziel beschrieben wird. Als zentrale Herausforderung sehe er die Notwendigkeit, die EU im Bereich der Mobilität wettbewerbsfähiger zu machen und die Mobilität zugleich effizienter und klimafreundlicher zu gestalten, so Scheuer. Um für ihre Beteiligung an den Mobilitätsdatenräumen Vertrauen bei privaten und öffentlichen Datenanbietern aufzubauen, erarbeite das BMVI derzeit eine Governance, basierend auf europäischen Werten, Vertrauens- und Sicherheitsprinzipien.

[In eigner Sache: In seiner Eröffnungsrede zur ODSMC gab Minister Scheuer auch den Startschuss für den Launch von Emmett. Die neue Plattform begleitet die Entwicklung und die Ergebnisse der mFUND-Projekte, fördert deren Vernetzung und den Austausch mit Fachexpert*innen und Öffentlichkeit, um die rund 300 innovativen, datenbasierten Mobilitätsvorhaben wirksam zu unterstützen.]

Anschließend erläuterte Henrik Hololei, Generaldirektor der EU-Kommission für Mobilität und Verkehr, dass die kommenden europäischen Cloud-Dienste eine vertrauenswürdige digitale Infrastruktur bieten würden, auch für Mobilitätsdaten. Die neuen Netzwerke und Datenräume müssten unter anderem die Fragen der Belastbarkeit, Interoperabilität, Effizienz, Nachhaltigkeit, Sicherheit und Inklusion im Verkehrs- und Mobilitätssektor adressieren, so Hololei.

Henrik Hololei, Generaldirektor der EU-Kommission für Mobilität und Verkehr
Henrik Hololei, Generaldirektor der EU-Kommission für Mobilität und Verkehr

Seine EU-Kommissions-Kollegin Claire Depré, Leiterin des Referats für nachhaltigen und intelligenten Verkehr, ging auf die erforderlichen Rahmenbedingungen ein. So würde beispielsweise die EU-Richtlinie für intelligente Verkehrssysteme dafür sorgen, dass der Zugang zu Daten erleichtert werde. Die größte Herausforderung werde indes darin bestehen, den einzelnen Mobilitätsakteur*innen dabei zu helfen, Daten zur Verfügung zu stellen, so Depré. Zudem sei es wichtig, auch die Endnutzer*innen in die Entwicklung von Mobilitätsprozessen einzubeziehen.

In zwei Hauptrunden und sechs Fachforen vertieften die Referent*innen anhand konkreter Projekte und Lösungen die zahlreichen Aspekte zu datengetriebenen Innovationen in der Mobilität.

Künstliche Intelligenz und offene Daten nutzen, um CO2-Emissionen zu reduzieren
Andreas Karanas von Carrypicker
Andreas Karanas von Carrypicker
  • Andreas Karanas von Carrypicker [mFUND-gefördert] erläuterte, dass es mit Künstlicher Intelligenz (KI) zum Optimieren von Lkw-Auslastungen möglich sei, den CO2-Ausstoß von Lkw in Europa um 16 Megatonnen pro Jahr zu reduzieren. Das entspräche der Menge, die eine Stadt in der Größe Berlins jährlich produziere.
  • Wie sich optische und radarbasierte Sensorsysteme und KI nutzen lassen, um den Verkehrsfluss an Kreuzungen zu optimieren, schilderte Holger Flatt vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB. Hierzu würden die in Echtzeit erfassten und aggregierten Strassenverkehrsdaten auf einer Cloud-Plattform veröffentlicht und für KI-basierte, adaptive Ampelsteuerungssysteme genutzt.
  • Marc Lammerding von Brodtmann Consulting und dem Projekt NV-ProVi [mFUND-gefördert] zeigte, wie sich Künstliche Intelligenz und neuronale Netze nutzen ließen, um Vorhersagen über die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zu treffen. So wären Echtzeit-Visualisierungen von Bus- und Bahnauslastungen oder Verspätungen als nützliche Informationen für Kund*innen möglich.
  • Auf die Bedeutung offen zugänglicher Datenplattformen für innovative, klimafreundliche Mobilitätskonzepte wies Daniel Alarcon-Rubio von Trafi hin. Allerdings würden die meisten Mobilitätsanwendungen in geschlossenen Umgebungen entwickelt, was es schwierig mache, Daten zu exportieren beziehungsweise neue Akteur*innen in diese Systeme zu integrieren.
  • Eine Ausnahme stellt die offene Mobilitätsplattform ODIN dar, auf die bereits mehrere nordeuropäische Länder aufbauen. Eine Erkenntnis aus diesem Projekt sei, so Daniel Rudmark von den Research Institutes of Sweden, dass mit dem ausgereiften NeTEx-System eine in der Praxis bewährte Technologie übernommen und keine neue entwickelt wurde.
Die datengetriebene Bahn: Vorhersage, Analytik und Vision
Christian Sprauer von Railnova
Christian Sprauer von Railnova
  • Mit dem Ziel, kleinen, nicht bundeseigenen Eisenbahnen eine digitale Infrastruktur zu schaffen, beschäftigt sich das Projekt Indres [mFUND-gefördert]. Geplant ist, berichteten Vasco Paul Kolmorgen von Bahnkonzept und Christian Rahmig vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, dass (private) Betreiber*innen, Verkehrsdienstleister, Behörden und Öffentlichkeit auf eine einheitliche, kohärente und digitale Datenbank mit nützlichen Servicedaten zugreifen können.
  • Jana Pieriegud von der Warsaw School of Economics stellte neue Mobilitätskonzepte vor. Sie erörterte, wie Bahnen einen Mobility-as-a-Service(MaaS)-Ansatz verfolgen können, der auch das Buchen und Bezahlen multimodaler Reisen in einer App beinhaltet (Smart Ticketing). Ihre Forschungsergebnisse zeigten, dass die Fahrgäste ein großes Interesse an gemeinsamen Ticketing-Diensten auf nationaler und europäischer Ebene haben. Betreiber*innen äußerten Verbesserungsbedarf bei offenen Daten, Einnahmenverteilung, Beschwerdemanagement und Kosten für Informations- und Kommunikationstechnik.
  • Sampo Hietanen von MaaS Global/Whim App stellte fest, dass bei Mobilitätsdiensten (MaaS) mehrere Prinzipien zu beachten seien. Erstens seien die Kund*innen Eigentümer*innen ihrer Daten und sollten die Möglichkeit haben, den Mobilitätsanbieter (einfach) zu wechseln. Zweitens bestimme die Art und Weise, wie (offen) die Daten geteilt werden, das Wachstum der Mobilitätsdienste (im Markt).
  • Laut Christian Sprauer von Railnova hinke bei der Digitalisierung der Bahn die Instandhaltung der Betriebsinfrastruktur weit hinterher. Datengetriebene Innovationen seien beispielsweise eine vorausschauende Flottenwartung und bestimmte Fernsteuerungen oder -wartungen (Telematiklösungen). Hierfür – aber auch generell – bestehe auf europäischer Ebene ein Bedarf an Datenharmonisierung und verbesserter Datenverfügbarkeit.
Sampo Hietanen von MaaS Global
Sampo Hietanen von MaaS Global
Inklusion in der Mobilität und in Smart Citys
  • Das Startup N-Vibe stellte sein vibrierendes GPS-Armband für blinde und sehbehinderte Menschen vor. Dieses haptische, nicht invasive Navigationssystem (Smartbänder am linken und rechten Handgelenk) soll blinden und sehbehinderten Menschen helfen, frei und unabhängig zu navigieren. Die Vibrationen entlasteten das Gehör, die Benutzer*innen könnten sich auf Fortbewegung oder Gespräche konzentrieren, so Charlie Galle von N-Vibe.
  • Holger Dieterich vom Berliner Verein Sozialhelden stellte mehrere mobilitätsbezogene Initiativen vor. Dazu gehörten eine digitale Karte zum Auffinden rollstuhlgerechter Orte (Wheelmap) und die App Brokenlifts, die Aufzugsausfälle in Bahnhöfen visualisiert (basierend auf dem mFUND-geförderten Projekt Elevate Delta). Die Accessibility-Cloud wiederum will mit einer standardisierten und zukunftssicheren Plattform, die leicht zu bedienen sei, den Austausch und die Beschaffung von Barrierefreiheitsdaten vereinfachen.
  • Rui Ramos von der Universität Minho präsentierte, wie und wofür sein Projekt Smart Pedestrian Net innerstädtische Verkehrsdaten analysiert und offen zugänglich macht. Dazu gehören beispielsweise (anonymisierte) Bewegungsprofile von Fußgänger*innen. Ziel ist eine Navigationskarte für Fußgänger*innen, um die Begehbarkeit der Fußwege zu verbessern. Für ihn spiele die Qualität der offenen Daten eine entscheidende Rolle. Dies gilt gleichermaßen für die Entwicklung von Smart-City-Anwendungen und die Stadtplanung, was sowohl den Bürger*innen als auch den Stadtverwaltungen zugutekomme.
Rui Ramos von der Universität Minho
Rui Ramos von der Universität Minho
Autonom und vernetzt: Die Schiffe der Zukunft
  • Auf die Entwicklung autonom fahrender Schiffe ging Jason Andrew McFarlane von Kongsberg Maritime ein. Das Autoship-Projekt entwickelt und integriert dafür Schlüsseltechnologien. Zudem erforscht er den Einsatz solcher Schiffe im Kurzstreckenseeverkehr und in der Binnenschifffahrt, insbesondere hinsichtlich des Gütertransports. Eine zentrale Erkenntnis sei, dass die autonome Schifffahrt nicht nur von der Datenverfügbarkeit profitiere, insbesondere offener Daten. Vielmehr könnten die Schiffe als schwimmende Sensoren auch zur Datenbereitstellung beitragen.
  • Sven Jacobsen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt erläuterte das EisKlass2-Projekt [mFUND-gefördert]. Mittels Satellitendaten würden hierbei automatisiert aktuelle, hochauflösende und hochpräzise Eisinformationen generiert, die auch für Klimaforscher*innen relevant seien.
Ausblick: Der Austausch zu innovativen Datenanwendungen und Mobilitätslösungen geht in Deutschland und der EU weiter
Christian Schlosser, Referatsleiter im BMVI
Christian Schlosser, Referatsleiter im BMVI, bei seinem Schlusswort zur ODSMC

In der Schlussrunde versprach Maria José Branco als Vertreter der portugiesischen Regierung, dass sein Land, das am 1. Januar 2021 die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, den Austausch zu innovativen Datenanwendungen und Mobilitätslösungen fortsetzen wolle.

Christian Schlosser, Referatsleiter im BMVI, kündigte in seinem Schlusswort an, das Ministerium werde den Dialog über Dateninnovationen weiterhin unterstützen und dafür neue Formate etablieren.

Alle Fotos: BMVI/Deckbar 2020

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