Foto: „Hitchhiker-Luxemburg-1977“ by Roger McLassus is licensed under CC BY-SA 3.0

Eine Frau steht mit ausgestrecktem Daumen am Straßenrand, vor ihr ein Rucksack. Sie möchte mitgenommen werden.

Apps und Plattformen für Mitfahrgelegenheiten: mit datengetriebenen Diensten gemeinsam ans Ziel

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Leonie Koll

Apps und Plattformen für Mitfahrgelegenheiten: mit datengetriebenen Diensten gemeinsam ans Ziel

Das einst so beliebte „Trampen“ könnte durch digitale Tools einen Aufschwung erleben. Smartphone-Apps und Online-Plattformen geben dem Prinzip des Mitfahrens in privaten Autos einen datenbasierten Schub. Sie schaffen neue Wege, Mitfahrwillige mit Autofahrer*innen zu vernetzen, ermöglichen den Beteiligten mehr Informationen – und binden die Mitfahrgelegenheiten in breit angelegte Mobilitätskonzepte ein.

Piktogramm. Mensch baut eine digitale Verbindung zu einem Auto auf

Quelle: hitchhiker by Gregor Cresnar, via Noun Project, CC BY 3.0

Daumen raus am Straßenrand – diese Methode mag für Mitfahrwillige noch immer funktionieren, je nach Abenteuerlust, Standort und Ziel.

Ergänzt wurde dieses Verfahren schon in den 1970ern um Mitfahrzentralen, die mit schwarzen Brettern und telefonischer Vermittlung arbeiteten, um Autofahrer*innen und Mitfahrwillige zusammenzubringen.

Noch besser geeignet sind heutzutage digitale Vernetzungsdienste, die Mitfahrwunsch und -angebot datenbasiert verknüpfen und zudem mehr Informationen und Service für alle Beteiligten liefern können. Und auch der „digitale Daumen“ als „virtuelles Pappschild“ ist schon Realität.

Zudem arbeiten Entwickler*innen und Planer*innen daran, das Mitfahren besser in das breite Mobilitätsangebot einzubinden. Digitale Werkzeuge sind dabei unerlässlich: Sie sind schon jetzt nützlich für die Vernetzung der Beteiligten, sie erleichtern das Bezahlen und ermöglichen gegenseitige Bewertungen sowie weitere Vorabinformationen.

Damit das Mitfahren gelingt, müssen Menschen ihre Wegedaten kommunizieren und koordinieren. Soll die Mitfahrt im Privat-PKW Teil einer multimodalen Reise sein, geht es dabei künftig auch um die Verbindung solcher Mitfahrgelegenheiten mit ÖPNV-Daten. Innovationen, die das Mitfahren noch selbstverständlicher, alltäglicher und praktischer machen werden, stehen sozusagen mit ausgestrecktem Daumen auf dem Seitenstreifen der Mobilitätslandschaft und warten nur darauf, mitgenommen zu werden.

Datengetriebene Lösungen können es auch erleichtern, Menschen zusammenzubringen. Eine Begleiterscheinung sind die Begegnungen zwischen Jung und Alt, Stadt und Land, politisch rechts und links. Aktivist*innen auf dem Weg ins Braunkohlerevier treffen beim Mitfahren im Zweifel auf Rechtspopulist*innen in Fernbeziehungen und Alt-68er, die immer noch gerne jemanden im VW-Bus mitnehmen.

Doch nicht nur die Möglichkeiten, solche „Mitfahrgemeinschaften“ zu bilden sind da, sondern auch die Notwendigkeiten. Laut eines aktuellen Berichts des BMDV zum „Verkehr in Zahlen“ (BMDV 2021, Seite 233) sitzen seit Jahren durchschnittlich nur rund 1,4 Menschen in einem Auto. Das ist schon aus Gründen des Klimaschutzes nicht mehr rentabel – Mitfahren ist umweltfreundlicher, als allein zu fahren.

Dazu kommt: Je mehr Personen in einem Auto fahren, desto geringer ist der Kraftstoffverbrauch pro Kopf. Steigende Benzinpreise könnten also Menschen dazu bewegen oder zwingen, Fahrtkosten zu teilen und auf das eigene Auto zu verzichten.

Nichtsdestotrotz sind Mitfahrgelegenheiten, vor allem im Berufsverkehr, weiterhin nur eine Randerscheinung der Mobilitätswelt Deutschlands, so Philipp Kosok, Projektleiter bei der Agora Verkehrswende in der Wirtschaftswoche.

Mitfahren ist eine „Typfrage“

Obwohl Mitfahren eigentlich eine simple Idee ist, gibt es einige Hürden: Im Gegensatz zum Carsharing gehört das Auto jemandem privat. Zudem handelt es sich um eine Dienstleistung, die – anders als beim Taxi fahren – zwar monetär entlohnt werden kann, aber nicht muss. Es geht vielmehr darum, Plätze im Auto anzubieten, die ansonsten leer blieben.

Das umgekehrte Mitfahrprinzip „Biete Auto, suche Fahrer“ des Münchener Anbieters Autonaut ist noch neu und könnte diese Reiseform bald zusätzlich ergänzen. Die Mitfahrer*innen können dabei den Platz am Lenkrad buchen und so die Autobesitzer*innen entlasten. Gerade für Pendler*innen könnte das eine erfrischende Vorstellung sein.

Mit Freund*innen und Verwandten im Auto zu sitzen, finden die allermeisten selbstverständlich. Bei Fremden ins Auto zu steigen, ist eher eine Frage der Offenheit und der Einstellung – eine Typfrage. So beobachteten es Forscher*innen der Universität Kiel. Ihren Ergebnissen zufolge nutzen aktuell nur zwei Prozent der Bevölkerung Mitfahrgelegenheiten, obwohl es sich zumindest in Schleswig-Holstein grundsätzlich jede*r Zweite vorstellen könnte.

Während der Coronapandemie hatten es die Mitfahrgelegenheiten besonders schwer: Aus Sorge vor Ansteckungen und wegen Reiseeinschränkungen waren kaum noch Menschen per Mitfahrgelegenheit unterwegs. Anbieter wie Carployee oder goFLUX berichteten von einem völligen Rückgang der Anfragen. Seit dem Sommer 2022 ist Mitfahren zwar wieder möglich, wenngleich es nicht mehr so gut angenommen wird wie noch vor der Pandemie, so die Wirtschaftswoche im Juli 2022.

In der weiten, digitalen Welt der Mitfahrplattformen

Die Möglichkeiten, Mitfahrgelegenheiten zu finden, sind vielfältig. Es gibt beispielsweise Mitfahrbänke: Speziell gekennzeichnete Wartebänke, an denen, ähnlich einer Bushaltestelle, mitnahmebereite Autofahrer*innen halten können.

Beim Trampen gibt es neben den traditionellen Pappschildern mit Troodle nun auch eine digitale Plattform für virtuelle Mitnahmemeldungen. Haben sowohl Autofahrer*innen als auch Tramper*innen die zugehörige App installiert und ihre freien Plätze beziehungsweise ihre Fahrtziele eingegeben, erhalten sie bei entsprechender Annäherung ein Signal, dass sie in Kürze aufeinander treffen – dank „digitalem Daumen“ hat's dann wortwörtlich gefunkt.

Die größte Veränderung seit den 1970er-Jahren ist aber sicherlich die Digitalisierung der Mitfahrzentralen. Auf Plattformen wie BlaBlaCar, BesserMitfahren.de oder Fahrgemeinschaft.de stellen die Fahrer*innen ihre Fahrten ein, die dort direkt von Mitfahrer*innen gebucht werden können. Kommentare von vorherigen Mitfahrer*innen können vor unfreundlichem Verhalten oder unangenehmer Fahrweise warnen. Meistens beruhigen die Aussagen jedoch: „Super Fahrt, pünktlich, freundlich, gut gelaunt – nur zu empfehlen!“ Der Austausch während der Fahrt ist nämlich weiterhin analog, je nach Lust und Gesprächigkeit. Die Kommunikation im Vorfeld läuft über das Online-Tool – theoretisch also sehr unkompliziert.

Aber warum nutzen noch nicht alle Autofahrer*innen die digitalen Vermittlungsangebote für Mitfahrgelegenheiten? Ein Grund dafür könnte die Gestaltung der Online-Auftritte der Plattformen sein. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik zur Usability der Plattformen zeigt: Alle analysierten Plattformen sind unzureichend, besonders im Hinblick auf die angebotenen Kommunikationsmöglichkeiten.

Anscheinend ist es weiterhin schwierig, Vertrauen aufzubauen, weil Mitfahrer*innen und Fahrer*innen im Vorfeld der Fahrt noch zu wenig voneinander erfahren. Die Forscher*innen kommen zu dem Schluss, dass die Online-Dienste die Informationen zur Fahrt und zu den Personen noch zugänglicher machen müssten.

Für Plattformen, die das besser machen wollen, greift schnell der Teufelskreis der kritischen Masse: wenn das Angebot an Fahrten nicht groß genug ist, werden Mitfahrende nicht das Passende finden, und wenn sie wiederum nicht suchen, werden auch nicht so viele Menschen ihre Fahrtstrecke anbieten. Innovative Ideen, die beispielsweise das Mitfahren auf kurzen Strecken in Städten erleichtern wollen oder ein digitales Angebot für spontanes Trampen bieten, gibt es zumindest.

Zudem entwickeln sich Nischen-Angebote, etwa für Outdoorsportler*innen, die sich für gemeinsame Fahrten zum nächsten Berg vernetzen. Viele solcher Vorhaben sind bisher allerdings nicht rentabel. Eine größere Plattform, an die sich neuere Netzwerke einfach andocken könnten, sodass die kritische Masse an Angebot und Nachfrage sogleich erfüllt wäre, fehlt bisher.

Diese Problem hat das mFUND-Projekt MetaMitfahrPort erkannt und sich diesem im Jahr 2019 angenommen. In einer ersten Projektphase erhoben die Projektmitarbeitenden die technischen und organisatorischen Anforderungen für eine „Meta-Mitfahrplattform“, auf der alle Mitfahrangebote von unterschiedlichen Anbietenden gesammelt werden könnten. So würden bei einer Suchanfrage von potenziellen Mitfahrer*innen nicht nur die angebotenen Fahrten einer bestimmten Plattform angezeigt, sondern auch die von allen anderen angeschlossenen Mitfahrplattformen. Das Projektteam einigte sich zudem auf einen Datenstandard, der notwendig wäre, um die Daten zu Angeboten und Gesuchen, Anbietenden und Suchenden von den unterschiedlichen Plattformen zusammenzuführen.

Bis es soweit ist, dauert es aber noch. „Aktuell steht bei uns die Vernetzung im Vordergrund. So wollen wir das Potenzial der mehr als 50 Mitfahrvermittlungen besser nutzen“, sagt Rolf Mecke von MetaMitfahrPort. Er hat die Entwicklung eines Mitfahrverbands als neutraler Berater aktiv mit vorangetrieben. Der Verband ist im Anschluss an das Projekt gegründet worden, damit die Mitfahrplattformen, auch im Anbetracht der Coronapandemie, besser miteinander zusammenarbeiten. Das Ziel, ein übergreifendes Mitfahrportal zu schaffen, bleibt bestehen.

Mitfahrgelegenheiten als Teil des ÖPNV

Doch ob sie überhaupt an eine Mitfahrplattform herantreten, steht für viele potenzielle Nutzer*innen außer Frage. Die meisten sehen sich vor einer anderen Entscheidung: eigenes Auto oder ÖPNV. Um diese Menschen und andere direkt darauf zu stoßen, dass Mitfahren eine Option wäre, könnten die Fahrten auch in ÖPNV-Apps und breitere Mobilitätsangebote wie Mobility-as-a-Service-(MaaS-)Plattformen eingebunden werden und damit städtische Mobilitätskonzepte sinnvoll erweitern. Diese Ergänzung könnte dazu beitragen, dass Menschen die Alternativen zum eigenen Auto überhaupt erstmal finden, ausprobieren – und vielleicht zu einem persönlichen „way to go“ machen.

Daran arbeitet seit vergangenem Jahr das mFUND-Projekt RISE. Das Ziel: Mitfahrgelegenheiten sollen den öffentlichen Verkehr systematisch ergänzen und damit auf ein anderes Level gehoben werden, wie Christian Schlüter von der Mitfahrzentrale goFLUX im Gespräch mit Emmett.io. erklärt. goFLUX erstellt zusammen mit dem Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen eine sogenannte Datenlandschaft. In ihr können sie die bestehende Infrastruktur und die Mobilitätsdaten der Bewohner*innen einer Stadt sehen und den Bedarf nach ergänzenden Mobilitätsangeboten errechnen. Das Mitfahrnetzwerk soll entsprechend in das ÖPNV-Netz eingebunden werden.

Benutzeroberfläche VRS-App mit Link zum Mitfahrportal goFlux

Foto: Emmett. Quelle: goFLUX

In der Mobilitätsapp des VRS werden zwischen den ÖPNV-Verbindungen auch Mitfahrgelegenheiten angezeigt. Mit einem Klick gelangt man dann auf das Mitfahrportal.

goFLUX setzt dieses Vorhaben in Bonn bereits in die Tat um. In der örtlichen Nahverkehrs-App werden den Bürger*innen neben der nächsten Bus- oder Straßenbahnverbindung auch Mitfahrgelegenheiten angezeigt. Damit diese fast gleichwertigen Angebote sich nicht gegenseitig verdrängen, wird der öffentliche Verkehr priorisiert. Diesen möchte die Stadt Bonn weiterhin fördern und schlägt den Nutzenden Bus und Bahn zuerst vor. Die rheinische Stadt versucht damit, den Grundgedanken der Verkehrswende praktisch in die Tat umzusetzen. Sie will den Platz auf den Straßen möglichst vielen Menschen statt einzelnen Personen in ihren großen Autos zur Verfügung stellen.

Könnte der französische Weg inspirieren?

Umfragen zeigen, dass Deutsche immer noch ihre eigenen vier Metallwände lieben. Trotz Praktikabilität, Notwendigkeit und steigender Sichtbarkeit des gemeinsamen Fahrens werden wohl Anreize dazukommen müssen, um die Autos mit mehr Menschen zu füllen.

Frankreich zeigt, was dabei hilft: Geld. Dort erhalten Fahrer*innen von Mitfahrgemeinschaften für jeden gefahrenen Kilometer einen Zuschuss. Deshalb fahren aktuell rund drei Millionen Französinnen und Franzosen regelmäßig mit Fahrgemeinschaften. Das gemeinsame Fahren wird außerdem bewusst und aktiv in das Mobilitätskonzept von Paris eingebunden. Als die Schadstoffwerte in der Luft im Sommer 2022 wieder gesundheitsgefährdende Grenzwerte überschritten, konnten die Bürger*innen nicht nur den öffentlichen Verkehr, sondern auch Mitfahrgelegenheiten umsonst nutzen.

Um die Mobilitätswende in Deutschland voranzutreiben, müssen also nicht nur digitale Lösungen verbessert werden. Sie bieten jedoch zusammen mit (finanziellen) Anreizen das Potenzial, um die Angebote des öffentlichen Verkehrs zu ergänzen. Vor allem müssen digitale Lösungen zugänglicher und vertrauenswürdiger gemacht werden.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob gemeinsames Autofahren überhaupt nachhaltig zur Mobilitätswende beitragen kann oder ob es den konsequenten Umstieg auf klimaschonendere Verkehrsmittel nur aufschiebt.

Mitfahrgelegenheiten leben durch digitale Anwendungen weiter, wenn auch in einer Nische. Neue Ideen können dazu beitragen die Popularität des Mitfahrers zu steigern. Ohne politische Unterstützung erscheint es jedoch schwierig, dieses scheinbare Relikt des alternativen Reisens als gängige Mobilitätslösung durchzusetzen.

Bis dahin begegnen sich auf den Rückbänken Deutschlands wahrscheinlich weiterhin nur selten heimfahrende Bundeswehrsoldat*innen und sparsame Atomkraftgegner*innen, um über die Mobilität der Zukunft zu diskutieren.

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