„Tankstelle bei Sonnenaufgang“ von Benediktv, via Flickr, CC BY 2.0, farblich bearbeitet.
Tankstelle neutral

Miet-Roller, Carsharing und Schnellladestationen: so wollen sich Tankstellen neuen Mobilitätsangeboten stellen

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Mariel Sousa

Miet-Roller, Carsharing und Schnellladestationen: so wollen sich Tankstellen neuen Mobilitätsangeboten stellen

Welche Servicebedürfnisse haben Menschen, die mit Elektrofahrzeugen oder multimodal unterwegs sind? Dieser Frage widmen sich der Prototyp eines Mobility Hub in Berlin, der Stellflächen für Sharing-Fahrzeuge sowie Lade- und Servicesäulen in eine Tankstelle integriert, und ein Forschungsprojekt, das Daten über das Ladeverhalten elektrisch mobiler Nutzer*innen ermittelt.

Im Jahr 2023 kann die Tankstelle ihr 100-jähriges Jubiläum feiern. 1923 eröffnete in Hamburg die erste „Bürgersteig-Tankstelle“. Seitdem wurde sie als solche zwar stilistisch weiterentwickelt, doch der Kern ihres Geschäftsmodells blieb über die Jahrzehnte weitgehend gleich: Brennstoffe für die Verbrennungsmotoren von Kraftfahrzeugen bereitzustellen.

Dass sich die Menschen nun langsam, aber sicher von Verbrennungsmotoren verabschieden, stellt für die Tankstellenbetreiber*innen eine große Herausforderung dar. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sie neben den Zapfsäulen für fossile Kraftstoffe – Benzin und Gas – wohl auch entsprechende Anlagen für Fahrzeuge mit neuen Antriebstechnologien aufbauen, also Ladesäulen für Strom oder Wasserstoff. Aber ist das als Angebot für zukünftige Mobilitätsbedürfnisse ausreichend?

Eine Tankstelle testet, wie sie ihr Angebot erweitern kann

Um diese Frage zu beantworten, eröffnete im Oktober 2020 im Berliner Bezirk Mitte ein erstes Testfeld für die Tankstelle der Zukunft. Damit möchte die Aral AG Bedarfe von Nutzer*innen und Anforderungen an eine Tankstelle erheben. Hierfür stellt sie dort mehrere neue Mobilitätsdienstleistungen bereit. Der dabei genutzte Begriff des Mobility Hub knüpft an Konzepte von anderen Verkehrsunternehmen, Stadtplaner*innen und Forscher*innen an.

Foto: Mariel Sousa/Emmett
Foto: Mariel Sousa/Emmett

Den meisten Raum nimmt beim Berliner Prototyp nach wie vor der Bereich rund um die Zapfsäulen ein. Hier lassen sich kleine und große Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mit unterschiedlichen Kraftstoffen betanken. Etwas abseits lassen sich die alternativen Angebote erkennen: Zwei Ladeoptionen für Elektrofahrzeuge und eine Fläche mit Stellplätzen für Sharing-Autos, -Fahrräder und E-Scooter (E-Roller). Dabei fällt auf: Während die fossilen Kraftstoffe unter einem großen Dach stets im Trockenen nachgefüllt werden können, müssen die Nutzer*innen der Ladesäulen und Leih-Fahrzeuge ohne Überdachung auskommen – sie werden also mitunter wortwörtlich im Regen stehen gelassen.

Mobilitätsdienste vom Kooperationspartner Jelbi

Ein großes Display sowie Schilder weisen dieses Areal als Jelbi-Station aus. Jelbi ist ein Tochterunternehmen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), das sich Mobility-as-a-Service (MaaS) verschrieben hat. Jelbi betreibt eine MaaS-App sowie zahlreiche solcher Abstellflächen, meist direkt an U- oder S-Bahnhöfen beziehungsweise an Umsteigehaltestellen von Straßenbahnen und Bussen gelegen. Auch beim Mobility Hub von Aral befinden sich ein Umsteigebahnhof von S- und U-Bahn (Jannowitzbrücke) sowie Bushaltestellen in unmittelbarer Nähe.

Foto: Mariel Sousa/Emmett
Foto: Mariel Sousa/Emmett

Diese Kooperation mit Jelbi liegt zwar im Wortsinn nahe – direkt neben der Tankstelle befindet sich der Hauptsitz der BVG –, scheint aber gleichwohl bewusst gewählt. Für die Aral AG spielen datenbasierte Dienstleistungen für die Angebote des Mobility Hub eine zentrale Rolle. Sowohl das Buchen als auch das Bezahlen der Sharing-Angebote sind über die Jelbi-App möglich. Sie verbindet verschiedene Mobilitätsdienste und zeigt diverse, auch multimodale Routen und Reiseoptionen an. Dabei integriert sie zum Beispiel Sharing-Fahrräder und -Roller, Elektroautos und den öffentlichen Nahverkehr.

Mobilitätsknotenpunkt, Umsteigezentrum und Service-Station

Mit dem Andocken der vielfältigen Mobilitätsangebote möchte der Kraftstoffkonzern seine Tankstellen zu Mobilitätsknotenpunkten und Umsteigezentren entwickeln. CarPooling, Shared Mobility und mehr sollen möglichst viele Gründe bieten, die Tankstelle anzusteuern beziehungsweise sich von dort aus fortzubewegen. Zudem soll sie künftig als Servicestation auch Stellplätze, Waschstraßen und Werkstätten für unterschiedliche Fahrzeugarten anbieten. Ladesäulen für Elektroautos und Service-Angebote für die Dauer des Ladevorgangs sollen ebenfalls verfügbar sein. Das Wichtigste sei, so ein Mitarbeiter der Berliner Aral Tankstelle, den Menschen eine vergleichbare Erfahrung zu bieten, wie sie sie beim Tanken von Benzin oder Diesel haben.

Foto: Mariel Sousa/Emmett
Foto: Mariel Sousa/Emmett
Foto: Mariel Sousa/Emmett
Foto: Mariel Sousa/Emmett
Unterschiedliche Konzepte für Tankstellen in der Großstadt, im ländlichen Raum und an der Autobahn

Aus der bereits 2019 veröffentlichten Studie „Tankstelle der Zukunft“, die Aral und das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam erstellten, geht hervor, dass sich die Serviceansprüche an künftige Tankstellen je nach deren Lage deutlich unterscheiden. Während in der Großstadt Menschen für innerstädtische Kurzstrecken die Akkus ihrer Elektroautos, E-Bikes oder -Scooter innerhalb kurzer Zeit und flexibel laden möchten, benötigen sie an Autobahnen verlässliche Angebote, um ihre Elektrofahrzeuge für eine längere Strecke laden zu können.

Die Studienautor*innen schlagen deshalb unter anderem vor, dass Reisende eine Ladesäule an einer Autobahn-Tankstelle vorab reservieren können. Im ländlichen Raum hingegen sei der Bedarf an Tankstellen-Ladesäulen geringer, denn dort würden die Menschen ihre Elektroautos überwiegend auf ihrem privaten Grundstück laden.

Allerdings könnte für Tankstellen auf dem Land und an Autobahnen der Güterverkehr eine wichtige Rolle spielen. So sollen beispielsweise Fernfahrer*innen an dortigen Tankstellen zukünftig auch Schlafplätze vorfinden. Darüber hinaus sollen in die Tankstellen im ländlichen Raum multifunktionale Paketstationen integriert werden. So könnten sich Kurierdienste den Weg in entlegenere Orte sparen, was den Verkehr der ersten und letzten Meile entlasten könnte.

Visionen für zukünftige Tankstellen: Mit Flugtaxi-Landeplatz, Paketstation, Bistro, Café, Shop, Schnellladestationen und Parkhaus (in der Stadt) und …
Visionen für zukünftige Tankstellen: Mit Flugtaxi-Landeplatz, Paketstation, Bistro, Café, Shop, Schnellladestationen und Parkhaus (in der Stadt) und …
… mit Ladesäulen, Paketstation, kleinem Shop, Bistro und Räumen zum Verweilen (in ländlich geprägten Kreisen). Abbildungen: Aral AG
… mit Ladesäulen, Paketstation, kleinem Shop, Bistro und Räumen zum Verweilen (in ländlich geprägten Kreisen). Abbildungen: Aral AG
Verändertes Mobilitätsverhalten durch die Covid-19-Pandemie erschwert Untersuchungen

Durch den Testbetrieb des Mobility Hubs in Berlin erhofft sich Aral, wertvolle Erkenntnisse über das Mobilitätsverhalten der Menschen zu gewinnen. Daran angelehnt möchte sie ihre Angebote regional und nutzer*innenzentriert erweitern und so neue Geschäftsfelder erschließen. Jedoch beeinflusst die Covid-19-Pandemie das Mobilitätsverhalten und damit die Erkenntnisse des Mobility Hubs. Mehr Menschen als vor der Pandemie stehen Mobilitätsdiensten, die sie sich mit anderen Menschen teilen (müssen), skeptisch gegenüber. Das lässt den Anteil an privaten Elektroautos (bezogen auf die Neuzulassungen) rasant ansteigen.

Auf Nachfrage teilt ein Mitarbeiter der Aral AG mit, dass die Ergebnisse seit Öffnung des Mobility Hubs im Oktober 2020 nicht repräsentativ seien. Weil die pandemiebedingten Einschränkungen das Mobilitätsverhalten der meisten Menschen außergewöhnlich veränderten, ließen sich bislang keine Schlüsse über langfristig veränderte Bedarfe von Menschen an Tankstellen ziehen. Für aussagekräftige Ergebnisse müsse die Untersuchung auch nach der Covid-19-Pandemie weiterlaufen, unter anderem auch, um festzustellen, ob sich die Mobilitätsmuster langfristig ändern.

Auswertungen von Nutzungsdaten, um optimale Ladebedingungen für Elektroautos zu identifizieren

Um mehr über die Mobilitätsmuster und Service-Bedürfnisse der elektrisch und multimodal mobilen Menschen zu erfahren, eignen sich aber nicht nur testweise angebotene Mobility Hubs. Auch standortunabhängige Daten zum Lade- und Fahrverhalten von E-Fahrzeugen oder zu Mobilitätsdiensten, wie Zustands- und Betriebsdaten von Ladesäulen, können wertvolle Erkenntnisse liefern. Etwa darüber, wie man die Standorte für Ladesäulen bedarfsgerecht auswählen kann.

Daran arbeitet das Forschungsvorhaben und mFUND-geförderte Projekt Evelix. Die Projektmitarbeiter*innen erheben dafür Fahr-, Batterie- und Ladedaten von Elektroautos durch ein „Reallabor“. In dieser Untersuchung unter Alltagsbedingungen willigen mitwirkende Fahrer*innen ein, dass eine App ihr Lade- und Fahrverhalten sowie Informationen über das Auto und die Kosten für Ladevorgänge trackt, speichert und verarbeitet. Das Evelix-Team analysiert daraufhin die Zusammenhänge zwischen der Ladehäufigkeit, der Batteriequalität, allgemeinen Fahrzeugdaten und Wettereinflüssen. Die Auswertungen sollen unter anderem helfen, die optimalen Ladebedingungen und -standorte für Elektroautos zu identifizieren.

Zudem sollen Fahrer*innen die Kosten ihrer Fahrten und Ladevorgänge mit dem Elektrofahrzeug besser und transparenter angezeigt bekommen. Die App analysiert das Nutzungsverhalten und gibt individuelle Empfehlungen für ein batterieschonendes Fahren. In Zukunft soll sie ihnen ergänzend anzeigen, wann und wo erneuerbar erzeugter Strom zum Laden verfügbar ist.

Abbildungen: Evelix
Abbildungen: Evelix
Schritt für Schritt zu realen Nutzungsdaten über das Ladeverhalten

Im ersten Schritt erstellt das Evelix-Team – gemeinsam mit den Nutzer*innen von in Deutschland genutzten Elektrofahrzeugen – eine Bestandsaufnahme der Nutzung von Elektrofahrzeugen. Daraus wollen sie Fahr- und Ladeprofile ableiten, die Aufschluss über Ladestandorte, Batteriekapazitäten, Fahrzeugmodelle, Ladezustände, Ladegeschwindigkeiten und Kosten für Ladevorgänge geben. „Mit dem Projekt möchten wir verstehen, nach welchen wiederkehrenden Mustern das Laden zu Hause, beim Arbeitgeber, an der Tankstelle oder bei Supermärkten stattfindet“, erklärt Sebastian Conradi von Evelix. Aus diesen Mustern ließen sich wichtige Erkenntnisse und Wahrscheinlichkeiten für das Verhalten in der Zukunft ableiten, so Conradi.

Zu den Erkenntnissen gehöre beispielsweise auch, wie sich die Muster zwischen ländlichen und urbanen Räumen unterscheiden. Diese Daten könnten wiederum für Unternehmen zum Stromnetzbetrieb oder zur Energieversorgung relevant sein, denn je mehr Elektroautos genutzt werden, desto mehr müssen auch geladen werden, so Conradi weiter. Darauf müssten sich Energieversorgungsunternehmen rechtzeitig vorbereiten.

„In der Vergangenheit wurden die Nutzer*innen vor allem durch Befragungen besser verstanden, etwa zu ihrem Ladeverhalten und ihren Wünschen an die Zukunft des Ladens. Wir haben vor, mit dem Reallabor und über die App in Echtzeit wertvolle Daten und Erkenntnisse zu gewinnen“, betont Conradi. Tankstellenunternehmen und anderen Marktbeteiligten fehle es an aktuellen Daten, insbesondere zum Ladenutzungsverhalten, nicht nur in Städten, sondern auch in ländlichen Regionen. Einen guten Überblick mit detaillierten Angaben für einzelne Bundesländer zum Status quo und zum erwartbaren Bedarf an Ladestationen für Elektromobilität gibt die Arbeitsgruppe 5 der „Nationalen Plattform Mobilität“ in ihrem Bericht vom Oktober 2020 (PDF).

Informationen über Belegungszustand und Preise aller Ladesäulen

Einen ersten Ansatz zur Bereitstellung von Informationen über den Belegungszustand und die Preise von Ladesäulen in Deutschland hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit dem sogenannten StandortTOOL umgesetzt. Mithilfe dieser Daten lassen sich ebenfalls Rückschlüsse darüber ziehen, an welchen Standorten Ladesäulen bis 2030 notwendig sein könnten. Entsprechende Rahmenbedingungen zum Ausbau der Ladeinfrastruktur soll das geplante Schnellladegesetz schaffen. Das Bundeskabinett hat im Februar 2021 das Gesetz auf den Weg gebracht, Bundestag und Bundesrat müssen es noch verabschieden. Auf Grundlage dieses Gesetzes ist eine Ausschreibung für bundesweit rund 1.000 Schnellladehubs vorgesehen, die bis 2023 aufgebaut sein sollen.

Fazit

Die Tankstelle, wie wir sie heute kennen, wird sich verändern. Durch die Einbindung diverser Mobilitätsangebote, etwa Sharing-Dienste für Autos, Roller oder Fahrräder sowie einer Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge, könnte sie zu einem Dreh- und Angelpunkt werden, zu einem Mobility Hub. Es bleibt abzuwarten, wie sehr die zukünftige Tankstelle damit den tatsächlichen Bedürfnissen von multimodal mobilen Nutzer*innen entgegenkommt und welche Rolle sie damit innerhalb der erforderlichen Ladeinfrastruktur für Elektromobilität spielen wird.

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