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Ein Verteiler und Feuerwehrschläuche im Gras, im Hintergrund unscharf mehrere Rettungsfahrzeuge und Feuerwehrleute

Digital gewarnt: Künstliche Intelligenz für den Schutz von Bevölkerung und Infrastruktur

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Anne Lammers & Fabian Schweyher

Digital gewarnt: Künstliche Intelligenz für den Schutz von Bevölkerung und Infrastruktur

Bei der Flut im Sommer 2021 starben in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mehr als 180 Menschen und es entstanden Sachschäden in Milliardenhöhe. Innovative Methoden und Forschung sollen dazu beitragen, solche Katastrophen in Zukunft zu verhindern und das Krisenmanagement zu verbessern. Verfahren der Künstlichen Intelligenz dienen dabei als Schlüsseltechnologien: für Klimaforschung, für Extremwetter-Frühwarnsysteme und effizienteres Krisenmanagement.

Das Smartphone vibriert. Auf dem Display meldet sich NINA, die „Notfall-Informations- und Nachrichten-App“ vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Die Warnmeldung ist eindeutig: Hochwasser in den kommenden Stunden, und zwar genau am aktuellen Standort des Geräts. Höchste Warnstufe, Handlungsempfehlung: Verlassen Sie umgehend das betroffene Gebiet! So wie hier beschrieben soll NINA Menschenleben retten.

[Der „Trendradar der Mobilität“ ist auch als PDF-Fassung erhältlich. Laden Sie sich die Datei hier herunter.]

Hintergrund: Warum wir neue Warnsysteme brauchen

Starkregen, Sturm, schwere Gewitter oder extreme Trockenheit und Hitze gefährden nicht nur Menschen, sie setzen auch der baulichen Infrastruktur zu. Schäden an der Verkehrsinfrastruktur entstehen zum Beispiel durch überschwemmte Straßen, durch Erdrutsche zerstörte Brücken und Gleise oder auch durch das Austrocknen von Flüssen, die Teil des Wasserverkehrsnetzes sind. Extremwetter kann so den Personen- und Warenverkehr beeinträchtigen und sogar Orte auf dem Land- und Wasserweg unerreichbar machen.

Wer schützt die Bevölkerung und Infrastruktur?

Wer bei Extremwetter für den Schutz von Menschen und Infrastruktur zuständig ist, steht im Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes. Allgemein gilt: Der Katastrophen- und Bevölkerungsschutz ist in Deutschland vielgliedrig organisiert.


Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ist nur bei Ernstfällen von bundesweiter Tragweite und militärischen Konflikten verantwortlich. Es leistet Amts- und Katastrophenhilfe im In- und Ausland und verschickt eigene Warnungen.

Grundsätzlich fällt der Katastrophenschutz in den Aufgabenbereich der Bundesländer. Häufig ist er jedoch nicht zentral organisiert und einzelne Landkreise und Städte übernehmen die Aufgabe. Vor Ort werden dann die Leitstellen der Feuerwehr und der Polizei sowie Krisenstäbe aktiv. Sie sind auch für Warnungen zuständig. Falls diese kommunalen Akteur*innen an ihre Grenzen stoßen, unterstützen sogenannte Lagezentren im jeweiligen Bundesland. Sie koordinieren und warnen ebenfalls. Es ist also möglich, dass mehrere Stellen parallel Warnungen verschicken.

Bei Extremwetter und anderen Bedrohungen sind die Einsatzstellen auf Daten angewiesen, die andere Einrichtungen erheben und bereitstellen. Bei außergewöhnlichem Wetter steht der Deutsche Wetterdienst (DWD) besonders im Fokus. Er übernimmt die behördliche Wettervorhersage und betreibt außerdem ein nationales Warnzentrum. Bei drohendem Unwetter veröffentlicht der DWD abgestufte Warnungen. Detailliertere Vorhersagen schickt er über ein internes Katastrophenschutzportal an Behörden, Rettungsorganisationen, Feuerwehr und Polizei. Auch die Hochwasserzentralen der Bundesländer sind an dieses Netz angebunden.

Warnungen kamen zuletzt nicht rechtzeitig an

Ein zentraler Verteiler für Warnhinweise ist das „Modulare Warnsystem“ (MoWaS), das vom BBK betrieben wird. Mit dem MoWaS sollen Warnungen aus verschiedenen Quellen, etwa von lokalen Behörden oder dem DWD, an Multiplikator*innen wie Medien, Betreiber*innen von digitalen Werbetafeln oder die Deutsche Bahn verschickt werden. Sie sollen die Informationen weiterverbreiten, etwa über Nachrichtenticker, Durchsagen oder Anzeigetafeln. Aus MoWaS stammen auch die Informationen, die Warn-Apps verwenden – neben NINA gibt es beispielsweise BIWAPP oder KATWARN. Mit ihnen sollen Smartphone-Besitzer*innen im Katastrophenfall alarmiert werden.

Luftaufnahme eines überschwemmten Ortes in der Eifel

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Bei der Flut im Sommer 2021 starben in Deutschland mehr als 180 Menschen und es entstanden Sachschäden in Milliardenhöhe. Das Warnsystem hatte versagt.

Eine Alternative zu den Warn-Apps ist Cell Broadcast, auch bekannt als „Warn-SMS“. Behörden können sie automatisch an alle Handys verschicken, die sich in einem ganz bestimmten Gebiet befinden, eingeschaltet sind und Empfang haben. Dafür sind weder ein internetfähiges Smartphone noch eine App notwendig, allerdings müssen die Geräte vorher gegebenenfalls konfiguriert werden. In vielen EU-Staaten wird dieses System bereits genutzt, in Deutschland soll die Technik ab Ende Februar 2023 einsatzbereit sein. Zuvor, am 8. Dezember 2022, testet das BBK das System erstmals am bundesweiten Warntag. Dieser fand zuletzt im September 2020 statt, allerdings wenig erfolgreich: Es versagten viele Sirenen, Warnmeldungen erreichten die Bevölkerung teilweise erst viel zu spät. Das soll dank Cell Broadcast dieses Mal besser funktionieren. Jedoch sind auch die Warn-SMS störanfällig: Wenn etwa bei Hochwasser mehrere Funkmasten einer Region gleichzeitig ausfallen, funktioniert der Mobilfunk nicht mehr und die Nachrichten können nicht zugestellt werden.

Die Anlässe zum Warnen nehmen zu

Zu Extremwetterereignissen kommt es wegen der Erderhitzung immer häufiger. Auf Basis von Klimaprognosen konnte zum Beispiel errechnet werden, dass in den kommenden Jahrzehnten sehr heiße Perioden in Deutschland je nach Region um fünf bis 20 Tage pro Jahr länger werden, sofern die Erderhitzung ungebremst voranschreitet. Das wiederum steigert die Waldbrandgefahr deutlich. Aber es geht bei Weitem nicht nur um Ereignisse in ferner Zukunft: Das Auftreten der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz war durch den Klimawandel um das 1,2- bis 9-Fache wahrscheinlicher. Es starben mehr als 180 Menschen und es entstanden Sachschäden in Milliardenhöhe.

Drei Grafiken, die zeigen, dass die Anzahl heißer Tage und die hitzebedingten Todesfälle in Deutschland zunehmen

Grafik: Emmett, CC-BY-SA 4.0; Icon: Draftphic; Quellen: Statista, DWD

Der Klimawandel macht sich schon heute in Deutschland bemerkbar. Extremwetterereignisse wie Hitze nehmen seit Anfang der Industrialisierung zu und verursachen immer größere Sach- und Personenschäden.
Zwei Grafiken; die erste zeigt, dass die Anzahl an Sturmfluten an der Nordsee stetig steigt, die zweite listet die schwersten von Starkregen und Hochwasser geprägten Naturkatastrophen in Deutschland auf

Grafik: Emmett, CC-BY-SA 4.0; Icon: ProSymbols; Quellen: Statista, DWD, Umweltbundesamt

Auch Fluten und Überschwemmungen treten hierzulande inzwischen vermehrt auf und richten großen Schaden an.

Die Auswirkungen des Klimawandels sind also auch hierzulande spürbar und erhöhen den Druck auf Forschung und Behörden, zukünftige Wetterextreme besser vorherzusagen und Gefahren abzuwenden. Sowohl die rechtzeitige und präzise Warnung vor Extremwetterereignissen als auch das Krisenmanagement setzen detaillierte Informationen voraus: Wann und wie häufig werden Wetterereignisse eintreten? Welche Regionen sind besonders betroffen und warum? Welche Faktoren begünstigen wetterbedingte Krisenfälle? Die Antworten sind auch für Verkehrs- und Stadtplaner*innen wertvoll, denn eine widerstandsfähige Infrastruktur wird immer wichtiger. Im Idealfall entsteht sie bereits im Planungsstadium, doch auch die bestehende Infrastruktur kann und muss angepasst werden.

Trend: Mit Künstlicher Intelligenz und digitalen Anwendungen gegen den Krisenfall

Gerade in den letzten Jahren sind meteorologische Beobachtungen genauer geworden. Neuartige Sensoren oder die Verarbeitung großer Datenmengen haben die Qualität und Analyse von Messungen verbessert. Auch die sogenannte Fernerkundungstechnik hat dazu beigetragen: Sensoren, die an Flugzeugen, Satelliten, Ballons oder Drohnen angebracht sind, können eine Vielzahl von Umweltdaten liefern, die mit anderen Mitteln nicht oder nur schwer erfasst werden können. Zudem spielt die Bodenbeobachtung weiterhin eine große Rolle. Dazu gehören etwa Wetterwarten und -stationen oder lokale Messstationen, die teilweise von Ehrenamtlichen betrieben werden. Es liegen vermehrt präzise und detaillierte Daten vor, aus denen Software mit Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) genauere Wetterprognosen erstellen kann. Das trägt dazu bei, Extremwetterereignisse früher zu erkennen.

Künstliche Intelligenz in der Klimaforschung

KI-gestützte Systeme können große Datenmengen automatisiert auswerten. Dabei verknüpfen sie Wetterdaten aus der Vergangenheit und Gegenwart (Echtzeit) miteinander. Den Systemen liegen Verfahren des Maschinellen Lernens zugrunde. Das ist ein Prozess, bei dem Software große Datensätze auf Muster und Gesetzmäßigkeiten hin untersucht. Aus den so erkannten Mustern werden dann Algorithmen abgeleitet, also Vorgehensweisen, um eine Problemstellung zu lösen. Ein KI-System, das beispielsweise Sturmfluten vorhersagen soll, lernt aus den Daten vergangener Sturmfluten. Es leitet daraus ab, welche Kriterien (meist) erfüllt sind, wenn eine Sturmflut eintritt, etwa eine bestimmte Windstärke oder eine Veränderung des Wasserstands. Diese Datenpunkte gleicht das System dann im Einsatz mit Echtzeitdaten ab. So lässt sich die Wahrscheinlichkeit von Wettertrends und Extremwetterereignissen wie Sturmfluten errechnen. KI gewinnt zunehmend an Bedeutung, um Extremwetterereignisse vorherzusagen und zu analysieren. Sie kann Behörden und Hilfsorganisationen dabei unterstützen, schneller und zielgerichteter auf Krisen zu reagieren und frühzeitig vor ihnen zu warnen.

Trotzdem stehen Klimaforschung und Krisenmanagement vor einigen Herausforderungen:

Moderne Fernerkundung für bessere Klima- und Umweltdaten

Eine Vielzahl an Projekten setzt bei der ersten Herausforderung an: der Vergrößerung der Datenbasis für die Warnung im Katastrophenfall. Beim Extremwetter bedeutet das, mehr Messstationen aufzubauen und neue Messmethoden zu erproben.

Satellitenaufnahme eines Waldes: links als Foto, rechts im Infrarotbereich, der Rückschlüsse auf die Vegetation erlaubt

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Die Fernerkundung – hier ein Symbolbild einer Satellitenaufnahme im für Menschen sichtbaren sowie im unsichtbaren Infrarotspektrum, was Rückschlüsse auf die Vegetation erlaubt – macht noch Fortschritte.

Dass die Fernerkundungstechnik noch Entwicklungspotenzial hat, zeigt das mFUND-Projekt cAIR. Dort wird getestet, ob die Flugdaten von Segelflugzeugen dafür geeignet sind, räumlich und zeitlich genauere Wettervorhersagen zu treffen und vor Starkregen und Gewittern zu warnen. Im Fokus stehen vertikale Luftbewegungen, die für die Entstehung von Gewittern bedeutsam sind. Eine KI-gestützte Anwendung hilft, die gesammelten Flugdaten mit Geo- und Wetterdaten zu verknüpfen. Dafür trainierte Algorithmen erkennen die genauen Faktoren, die die Entstehung starker Gewitter an einem bestimmten Ort begünstigen. Um möglichst lange Zeitreihen zu erfassen und umfangreiche Datensätze aufzubauen, sollen nicht nur aktuelle, sondern auch zurückliegende Flugdaten von Privatpilot*innen verwendet werden. Ähnliche Crowdsourcing-Ansätze gibt es bereits bei den ehrenamtlich betriebenen lokalen Bodenmessstationen.

Fernerkundungsdaten kommen beispielsweise auch bei der Analyse von Waldschäden zum Einsatz. Das mFUND-Projekt FirSt 2.0 nutzt Satellitendaten, um eine Zustandsbewertung deutscher Wälder zu erstellen und abzugeben. Eine dafür programmierte Software analysiert die Satellitendaten kontinuierlich und flächendeckend, um automatisiert eine Risikobewertung vorzunehmen. So werden etwa Dürre oder Schädlingsbefall frühzeitig erkannt, das Risiko für Schäden durch Waldbrand oder Stürme sinkt – angemessenes und schnelles Handeln vorausgesetzt.

Zwei Grafiken; die erste zeigt, dass die durchschnittliche Anzahl der Waldbrände und die Größe der Waldbrandfläche steigen, die zweite zeigt, dass die dadurch verursachten Kosten seit 2020 sprunghaft angestiegen sind

Grafik: Emmett, CC-BY-SA 4.0; Icon: Ayub Irawan; Quellen: Statista, Umweltbundesamt, DWD, DIE ZEIT

Die vergangenen Jahre waren von heftigen Waldbränden geprägt, die dadurch verursachten Schäden stiegen zuletzt sprunghaft an.

Das an First 2.0 beteiligte Start-up LiveEO hat darüber hinaus eine Software entwickelt, die auf der Grundlage von Satellitendaten die Vegetation und den Untergrund im Umfeld von Bahngleisen überwacht. Damit können Gefahren frühzeitig erfasst und präventive Maßnahmen eingeleitet werden, um den sicheren Eisenbahnverkehr zu gewährleisten – ganz ohne zeit- beziehungsweise CO2-intensive Inspektion am Boden oder aus dem Helikopter heraus.

Intelligente Datenanalyse und -bereitstellung für den Krisenfall

Für das zweite Problem – die riesigen Datenmengen – werden in den seltensten Fällen Supercomputer benötigt. Um Krisenfälle vorhersagen und handhaben zu können, reicht es in der Regel, wenn Daten gut auffindbar sowie ohne weitere Aufbereitung unkompliziert und schnell zu verwenden sind. Der DWD zum Beispiel verfügt über außerordentlich umfangreiche Klima- und Wetterdaten, die allerdings erst einmal gefunden, je nach Anwendungsfall gefiltert und dann in die gewünschte Form gebracht werden müssen. Entwicklungen wie die des mFUND-Projekts FAIR haben dieses komplizierte Vorgehen als Problem erkannt und sorgen für barrierearme Zugänge zu den DWD-Datensätzen. Darüber hinaus will FAIR die Nutzer*innen bei der individuellen Suche und Aufbereitung von Daten unterstützen und ihnen zudem ermöglichen, dem DWD eigene Messwerte zu übergeben.

Andere Akteur*innen wollen Daten so aufbereiten und zur Verfügung stellen, dass sie zu einer größeren Widerstandsfähigkeit von Versorgungsnetzen beitragen. Das vom Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme geführte Konsortium, das hinter dem Projekt ResKriVer steht, setzt dabei auf eine Plattform, die verschiedene Services bündelt. Dazu gehören die Bewertung und die Simulation der Versorgungssicherheit oder eine ausfallsichere Kommunikation im Krisenfall. Zu diesem Zweck laufen dort verschiedenste Daten zusammen, zum Beispiel aus Unternehmen oder der Wissenschaft. Sie werden – zum Teil KI-basiert – zielgerichtet analysiert. Darüber hinaus wertet eine Software Social-Media-Kommunikation aus, um akute oder sich anbahnende Krisensituationen schnell zu erkennen. Ergänzend sollen spezifische Informationen aus einzelnen Social-Media-Posts zu einer Krisensituation so aufbereitet werden, dass sie zum Beispiel von Krisenstäben direkt in ihre Entscheidungen einbezogen werden können. Über Dashboards für verschiedene Zielgruppen können relevante Einrichtungen, Krisenstäbe oder auch die Bevölkerung im Fall eines eintretenden Krisenfalls vorgewarnt werden.

Frau in weißem Hemd sitzt vor vielen Bildschirmen und einem Telefon

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Menschen in Einsatzleitstellen brauchen möglichst genaue Informationen, um im Katastrophenfall die richtigen Entscheiden treffen zu können (Symbolbild).

Auch das niederländische Unternehmen Crowdsense hat mit der Anwendung PublicSonar eine KI-gestützte Lösung für die Auswertung online verfügbarer Daten, wie Posts in den sozialen Medien, entwickelt. Das Ziel ist, Online-Aktivitäten in Echtzeit zu analysieren und dadurch bei Krisen- und Katastropheneinsätzen die Lage schneller zu erfassen oder den Verlauf der Geschehnisse besser abschätzen zu können. Mithilfe eines solchen Frühwarnsystems, so die Hoffnung, können Behörden schneller und zielgerichteter als zuvor auf entsprechende Gefahrensituationen reagieren. Diese Lösung kann in verschiedenen Fällen zum Einsatz kommen. Beispielhafte Anwendungsszenarien sind, neben Unwettern und Naturkatastrophen, auch Terror- und Cyberangriffe. Darüber hinaus setzen die Entwickler*innen darauf, ein Stimmungsbild der Betroffenen zu erstellen. Das soll die Polizei oder den Bevölkerungsschutz dabei unterstützen, ihre Reaktion und ihr Krisenmanagement entsprechend anzupassen.

Liegen Warnungen vor Extremwetterereignissen oder anderen Katastrophen vor, bleibt den Behörden und Einsatzkräften häufig nur wenig Zeit, um darauf zu reagieren. Eine schnelle Reaktions- und Einsatzfähigkeit sowie eine zügige Entscheidung über die Verteilung der verfügbaren Ressourcen sind essenziell für die Versorgung und den Schutz der Bevölkerung. Dafür ist es notwendig, ein Gesamtbild der Situation zu erstellen, was wiederum eine Bündelung und Auswertung aller verfügbaren Informationen voraussetzt. Wichtig ist außerdem, dass alle beteiligten Organisationen auf die benötigten Informationen zugreifen und sich mit anderen Beteiligten vernetzen können. Genau dies strebt das Projekt SPELL an, das an einer Plattform arbeitet, die KI-gestützt Informationen aufbereitet und Leitstellen sowie Lagezentren bei der Entscheidungsfindung unterstützt.

Anwendungen für einen sicheren Verkehr und eine widerstandsfähigere Infrastruktur

Speziell auf den Schutz von Verkehr und Verkehrsinfrastruktur zugeschnitten sind Projekte wie SENSARE. Das mFUND-Projekt richtet sich an die Leitzentralen von Verkehrsinfrastrukturbetreibenden und Sicherheitsbehörden, die vor möglichen Überflutungen im Stadtgebiet gewarnt werden sollen. Sensoren an Straßen, in der Kanalisation und an Gullideckeln messen den Wasserstand. Die Werte werden mit Simulationen abgeglichen, um zu beurteilen, wie lange ein von Starkregen betroffenes Gebiet noch gefahrlos befahrbar ist – insbesondere mit dem öffentlichen Personennahverkehr. Auf diese Weise sollen die Verantwortlichen in die Lage versetzt werden, präventiv Sicherheitsmaßnahmen umzusetzen oder den Verkehr umzulenken. Perspektivisch sollen die Informationen auch an Navigationssysteme in Pkw ausgespielt werden. Die Daten aus dem Sensoren-Netzwerk sollen außerdem bei Modellrechnungen genutzt werden, die sich für zukünftige Infrastrukturplanungen heranziehen lassen.

Grafik, die zeigt, dass Starkregenereignisse bei 2 °C Temperaturanstieg um ein Vielfaches wahrscheinlicher werden

Grafik: Emmett, CC-BY-SA 4.0; Icon: P Thanga Vignesh; Quellen: DWD, ClimXtreme

Starkregenereignisse werden wahrscheinlicher – umso wichtiger wird es, sie präzise vorherzusagen und so frühzeitig vor ihnen warnen zu können.

Im mFUND-Projekt ISRV soll KI helfen, die unmittelbaren Auswirkungen eines Starkregenereignisses in Echtzeit vorherzusagen (Wasserstände, Strömungsgeschwindigkeiten und betroffene Verkehrsinfrastruktur). Aus Wetterdatenbanken errechnet und erstellt eine KI-Anwendung mögliche Starkregenszenarien, anhand derer sich Überflutungsprozesse modellieren und risikoanalytisch bewerten lassen. Mit den erzeugten Daten wird eine KI-Software trainiert, sodass sie – angeschlossen an ein Niederschlagsvorhersagesystem – präzise Überflutungsvorhersagen liefern kann. Somit kann der Verkehr bei Bedarf rechtzeitig umgelenkt werden.

Das mFUND-Projekt heavyRAIN nutzt KI-Verfahren, um ein Starkregenfrühwarnsystem zu entwickeln, das zeitlich und räumlich hochpräzise ist. Dazu werden in mehreren Pilotstädten lokale Messnetze durch Sensoren ergänzt, mit deren Hilfe Starkregenereignisse detaillierter aufgezeichnet werden können. Diese und weitere, zurückliegende Daten bilden die Grundlage, um das Messnetz zu verbessern und die KI-Anwendung zu trainieren, sodass sie exaktere Prognosen trifft. Parallel testet das Projektkonsortium ein neuartiges Sensor- und Prognosekonzept für die Entstehung von Starkregenzellen. Ein Vorläuferprojekt konnte bereits Erkenntnisse darüber liefern, wie sich Starkregenzellen entdecken und deren Bewegungsrichtungen prognostizieren lassen.

Neben Starkregen kann auch Hitze der Infrastruktur zusetzen. Insbesondere Innenstädte können sich extrem aufheizen und im Vergleich zum Umland durchschnittlich um bis zu zehn Grad Celsius heißer sein – das ist der sogenannte Urbane-Hitzeinsel-Effekt (UHI). Das Projektteam von KLIPS will Sensoren und KI-Verfahren nutzen, um Temperaturschwankungen und für Hitzeinseln anfällige Gebiete frühzeitig zu erkennen. Das mFUND-Projekt soll darüber hinaus Gegenmaßnahmen simulieren können und damit die Stadtplanung unterstützen. Aktuell baut das Team in Dresden ein Netz aus rund 300 Sensoren auf, die zukünftig Temperaturdaten sammeln. Zusammen mit den Daten von Satelliten, Wetterstationen und aus Grundstücksverzeichnissen lassen sich Gebiete mit hoher Hitzeinsel-Wahrscheinlichkeit identifizieren. Mithilfe der KI-Algorithmen sollen in Zukunft noch präzisere Vorhersagen möglich werden.

Ein Netzwerk-Engineer steht in einem Serverraum und arbeitet an einem Computer

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Die Notwendigkeit, immer größere Datenmengen auszuwerten, weckt Hoffnungen: Methoden der Künstlichen Intelligenz sollen es möglich machen (Symbolbild).
Fazit: Mehr Datenanalyse allein reicht nicht

Derzeit liegt viel Hoffnung auf Verfahren der Künstlichen Intelligenz. In der Tat steigt die Bedeutung von Maschinellem Lernen für Vorhersagen aller Art an, nicht zuletzt aufgrund der immer größeren verfügbaren Datenmengen und der effizienteren Analyseverfahren. Bei Extremwetterereignissen und für den Katastrophenschutz wird sie wohl in Zukunft weiter zunehmen. Doch auch bei der Planung und Entwicklung wichtiger Infrastruktur können KI-Anwendungen helfen. Präzisere Simulationen ermöglichen, eine krisenfestere Infrastruktur zu schaffen. Gekoppelt mit einem effektiven Frühwarnsystem verursachen Krisenereignisse dann im Idealfall weniger Schäden als bisher und Menschen können sich rechtzeitig in Sicherheit bringen.

Gleichzeitig ist es unerlässlich, digitale Warnsysteme mit ihren unterschiedlichen Datenquellen gut aufeinander abzustimmen. Wie die hier vorgestellten Projekte zeigen, sind bereits mehrere Anwendungen im Einsatz oder in der Entwicklung, die entweder ganz allgemein vor Gefahren warnen oder Frühwarnsysteme für spezielle Einsatzfelder sind. An dieser Stelle wird es auf den Austausch zwischen den beteiligten Projektteams ankommen, um voneinander zu lernen und verschiedene Services sinnvoll miteinander zu verknüpfen.

Ähnliches gilt für das datengetriebene Krisenmanagement. Mit allen beteiligten Akteur*innen Erfahrungen und Daten auszutauschen, ist wichtiger denn je. Sind Daten frei zugänglich, können zudem Lösungen entstehen, die niemand vorhergesagt hätte.

Bürger*innen dürfen darauf hoffen, dass Gefahren für Mensch und Infrastruktur in Zukunft früher erkannt werden – dank besserer Datengrundlage und -analyse – und dass die Informationen über Gefahren auch bei den richtigen Stellen ankommen, und zwar in einer Form, die der schnellen, gezielten und koordinierten Reaktion zuträglich ist.

Quellenverzeichnis
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