Bei der Flut im Sommer 2021 starben in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mehr als 180 Menschen und es entstanden Sachschäden in Milliardenhöhe. Innovative Methoden und Forschung sollen dazu beitragen, solche Katastrophen in Zukunft zu verhindern und das Krisenmanagement zu verbessern. Verfahren der Künstlichen Intelligenz dienen dabei als Schlüsseltechnologien: für Klimaforschung, für Extremwetter-Frühwarnsysteme und effizienteres Krisenmanagement.
Das Smartphone vibriert. Auf dem Display meldet sich NINA, die „Notfall-Informations- und Nachrichten-App“ vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Die Warnmeldung ist eindeutig: Hochwasser in den kommenden Stunden, und zwar genau am aktuellen Standort des Geräts. Höchste Warnstufe, Handlungsempfehlung: Verlassen Sie umgehend das betroffene Gebiet! So wie hier beschrieben soll NINA Menschenleben retten.
[Der „Trendradar der Mobilität“ ist auch als PDF-Fassung erhältlich. Laden Sie sich die Datei hier herunter.]
Starkregen, Sturm, schwere Gewitter oder extreme Trockenheit und Hitze gefährden nicht nur Menschen, sie setzen auch der baulichen Infrastruktur zu. Schäden an der Verkehrsinfrastruktur entstehen zum Beispiel durch überschwemmte Straßen, durch Erdrutsche zerstörte Brücken und Gleise oder auch durch das Austrocknen von Flüssen, die Teil des Wasserverkehrsnetzes sind. Extremwetter kann so den Personen- und Warenverkehr beeinträchtigen und sogar Orte auf dem Land- und Wasserweg unerreichbar machen.
Wer schützt die Bevölkerung und Infrastruktur?
Wer bei Extremwetter für den Schutz von Menschen und Infrastruktur zuständig ist, steht im Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes. Allgemein gilt: Der Katastrophen- und Bevölkerungsschutz ist in Deutschland vielgliedrig organisiert.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ist nur bei Ernstfällen von bundesweiter Tragweite und militärischen Konflikten verantwortlich. Es leistet Amts- und Katastrophenhilfe im In- und Ausland und verschickt eigene Warnungen.
Grundsätzlich fällt der Katastrophenschutz in den Aufgabenbereich der Bundesländer. Häufig ist er jedoch nicht zentral organisiert und einzelne Landkreise und Städte übernehmen die Aufgabe. Vor Ort werden dann die Leitstellen der Feuerwehr und der Polizei sowie Krisenstäbe aktiv. Sie sind auch für Warnungen zuständig. Falls diese kommunalen Akteur*innen an ihre Grenzen stoßen, unterstützen sogenannte Lagezentren im jeweiligen Bundesland. Sie koordinieren und warnen ebenfalls. Es ist also möglich, dass mehrere Stellen parallel Warnungen verschicken.
Bei Extremwetter und anderen Bedrohungen sind die Einsatzstellen auf Daten angewiesen, die andere Einrichtungen erheben und bereitstellen. Bei außergewöhnlichem Wetter steht der Deutsche Wetterdienst (DWD) besonders im Fokus. Er übernimmt die behördliche Wettervorhersage und betreibt außerdem ein nationales Warnzentrum. Bei drohendem Unwetter veröffentlicht der DWD abgestufte Warnungen. Detailliertere Vorhersagen schickt er über ein internes Katastrophenschutzportal an Behörden, Rettungsorganisationen, Feuerwehr und Polizei. Auch die Hochwasserzentralen der Bundesländer sind an dieses Netz angebunden.
Warnungen kamen zuletzt nicht rechtzeitig an
Ein zentraler Verteiler für Warnhinweise ist das „Modulare Warnsystem“ (MoWaS), das vom BBK betrieben wird. Mit dem MoWaS sollen Warnungen aus verschiedenen Quellen, etwa von lokalen Behörden oder dem DWD, an Multiplikator*innen wie Medien, Betreiber*innen von digitalen Werbetafeln oder die Deutsche Bahn verschickt werden. Sie sollen die Informationen weiterverbreiten, etwa über Nachrichtenticker, Durchsagen oder Anzeigetafeln. Aus MoWaS stammen auch die Informationen, die Warn-Apps
verwenden – neben NINA gibt es beispielsweise BIWAPP oder KATWARN. Mit ihnen sollen Smartphone-Besitzer*innen im Katastrophenfall alarmiert werden.

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Eine Alternative zu den Warn-Apps ist Cell Broadcast, auch bekannt als „Warn-SMS“. Behörden können sie automatisch an alle Handys verschicken, die sich in einem ganz bestimmten Gebiet befinden, eingeschaltet sind und Empfang haben. Dafür sind weder ein internetfähiges Smartphone noch eine App notwendig, allerdings müssen die Geräte vorher gegebenenfalls konfiguriert werden. In vielen EU-Staaten wird dieses System bereits genutzt, in Deutschland soll die Technik ab Ende Februar 2023 einsatzbereit sein. Zuvor, am 8. Dezember 2022, testet das BBK das System erstmals am bundesweiten Warntag. Dieser fand zuletzt im September 2020 statt, allerdings wenig erfolgreich: Es versagten viele Sirenen, Warnmeldungen erreichten die Bevölkerung teilweise erst viel zu spät. Das soll dank Cell Broadcast dieses Mal besser funktionieren. Jedoch sind auch die Warn-SMS störanfällig: Wenn etwa bei Hochwasser mehrere Funkmasten einer Region gleichzeitig ausfallen, funktioniert der Mobilfunk nicht mehr und die Nachrichten können nicht zugestellt werden.
Die Anlässe zum Warnen nehmen zu
Zu Extremwetterereignissen kommt es wegen der Erderhitzung immer häufiger. Auf Basis von Klimaprognosen konnte zum Beispiel errechnet werden, dass in den kommenden Jahrzehnten sehr heiße Perioden in Deutschland je nach Region um fünf bis 20 Tage pro Jahr länger werden, sofern die Erderhitzung ungebremst voranschreitet. Das wiederum steigert die Waldbrandgefahr deutlich. Aber es geht bei Weitem nicht nur um Ereignisse in ferner Zukunft: Das Auftreten der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz war durch den Klimawandel um das 1,2- bis 9-Fache wahrscheinlicher. Es starben mehr als 180 Menschen und es entstanden Sachschäden in Milliardenhöhe.

Grafik: Emmett, CC-BY-SA 4.0; Icon: Draftphic; Quellen: Statista, DWD

Grafik: Emmett, CC-BY-SA 4.0; Icon: ProSymbols; Quellen: Statista, DWD, Umweltbundesamt
Die Auswirkungen des Klimawandels sind also auch hierzulande spürbar und erhöhen den Druck auf Forschung und Behörden, zukünftige Wetterextreme besser vorherzusagen und Gefahren abzuwenden. Sowohl die rechtzeitige und präzise Warnung vor Extremwetterereignissen als auch das Krisenmanagement setzen detaillierte Informationen voraus: Wann und wie häufig werden Wetterereignisse eintreten? Welche Regionen sind besonders betroffen und warum? Welche Faktoren begünstigen wetterbedingte Krisenfälle? Die Antworten sind auch für Verkehrs- und Stadtplaner*innen wertvoll, denn eine widerstandsfähige Infrastruktur wird immer wichtiger. Im Idealfall entsteht sie bereits im Planungsstadium, doch auch die bestehende Infrastruktur kann und muss angepasst werden.
Gerade in den letzten Jahren sind meteorologische Beobachtungen genauer geworden. Neuartige Sensoren oder die Verarbeitung großer Datenmengen haben die Qualität und Analyse von Messungen verbessert. Auch die sogenannte Fernerkundungstechnik hat dazu beigetragen: Sensoren, die an Flugzeugen, Satelliten, Ballons oder Drohnen angebracht sind, können eine Vielzahl von Umweltdaten liefern, die mit anderen Mitteln nicht oder nur schwer erfasst werden können. Zudem spielt die Bodenbeobachtung weiterhin eine große Rolle. Dazu gehören etwa Wetterwarten und -stationen oder lokale Messstationen, die teilweise von Ehrenamtlichen betrieben werden. Es liegen vermehrt präzise und detaillierte Daten vor, aus denen Software mit Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) genauere Wetterprognosen erstellen kann. Das trägt dazu bei, Extremwetterereignisse früher zu erkennen.
Künstliche Intelligenz in der Klimaforschung
KI-gestützte Systeme können große Datenmengen automatisiert auswerten. Dabei verknüpfen sie Wetterdaten aus der Vergangenheit und Gegenwart (Echtzeit) miteinander. Den Systemen liegen Verfahren des Maschinellen Lernens zugrunde. Das ist ein Prozess, bei dem Software große Datensätze auf Muster und Gesetzmäßigkeiten hin untersucht. Aus den so erkannten Mustern werden dann Algorithmen abgeleitet, also Vorgehensweisen, um eine Problemstellung zu lösen. Ein KI-System, das beispielsweise Sturmfluten vorhersagen soll, lernt aus den Daten vergangener Sturmfluten. Es leitet daraus ab, welche Kriterien (meist) erfüllt sind, wenn eine Sturmflut eintritt, etwa eine bestimmte Windstärke oder eine Veränderung des Wasserstands. Diese Datenpunkte gleicht das System dann im Einsatz mit Echtzeitdaten ab. So lässt sich die Wahrscheinlichkeit von Wettertrends und Extremwetterereignissen wie Sturmfluten errechnen. KI gewinnt zunehmend an Bedeutung, um Extremwetterereignisse vorherzusagen und zu analysieren. Sie kann Behörden und Hilfsorganisationen dabei unterstützen, schneller und zielgerichteter auf Krisen zu reagieren und frühzeitig vor ihnen zu warnen.
Trotzdem stehen Klimaforschung und Krisenmanagement vor einigen Herausforderungen:
- Erstens stehen längst noch nicht alle benötigten Daten für die Warnung vor Extremwetterereignissen zur Verfügung. Insbesondere das Netz der lokalen Messstationen müsste ausgebaut werden, um etwa Pegelstände auch von kleineren Gewässern kontinuierlich überwachen zu können und flächendeckende Prognosen zu ermöglichen.
- Zweitens wird bei den riesigen Datenmengen eine technische Infrastruktur benötigt, die deren Auswertung überhaupt erst ermöglicht. Das Deutsche Klimarechenzentrum etwa verfügt dafür seit neuestem über einen „Supercomputer“, den sogenannten Klimarechner „Levante“. Dieser soll mit einer Spitzenrechenleistung von 14 Billiarden mathematischer Operationen pro Sekunde langfristige Klimaszenarien simulieren und vorhersagen, mit welchen Formen von Extremwetter in welchen Regionen zu rechnen ist.
- Drittens funktioniert das Warnsystem in Deutschland noch nicht einwandfrei, wie auch die Flutkatastrophe im Juli 2021 gezeigt hat. Zwar gibt es verschiedene Institutionen, die im Katastrophenfall warnen können, aber insbesondere bei der Kommunikation scheint es noch große Defizite zu geben. Einen ersten Hinweis darauf, inwieweit sich die Lage verbessert hat, wird der bundesweite Warntag am 8. Dezember 2022 geben.
Moderne Fernerkundung für bessere Klima- und Umweltdaten
Eine Vielzahl an Projekten setzt bei der ersten Herausforderung an: der Vergrößerung der Datenbasis für die Warnung im Katastrophenfall. Beim Extremwetter bedeutet das, mehr Messstationen aufzubauen und neue Messmethoden zu erproben.

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Dass die Fernerkundungstechnik noch Entwicklungspotenzial hat, zeigt das mFUND-Projekt cAIR. Dort wird getestet, ob die Flugdaten von Segelflugzeugen dafür geeignet sind, räumlich und zeitlich genauere Wettervorhersagen zu treffen und vor Starkregen und Gewittern zu warnen. Im Fokus stehen vertikale Luftbewegungen, die für die Entstehung von Gewittern bedeutsam sind. Eine KI-gestützte Anwendung hilft, die gesammelten Flugdaten mit Geo- und Wetterdaten zu verknüpfen. Dafür trainierte Algorithmen erkennen die genauen Faktoren, die die Entstehung starker Gewitter an einem bestimmten Ort begünstigen. Um möglichst lange Zeitreihen zu erfassen und umfangreiche Datensätze aufzubauen, sollen nicht nur aktuelle, sondern auch zurückliegende Flugdaten von Privatpilot*innen verwendet werden. Ähnliche Crowdsourcing-Ansätze gibt es bereits bei den ehrenamtlich betriebenen lokalen Bodenmessstationen.
Fernerkundungsdaten kommen beispielsweise auch bei der Analyse von Waldschäden zum Einsatz. Das mFUND-Projekt FirSt 2.0 nutzt Satellitendaten, um eine Zustandsbewertung deutscher Wälder zu erstellen und abzugeben. Eine dafür programmierte Software analysiert die Satellitendaten kontinuierlich und flächendeckend, um automatisiert eine Risikobewertung vorzunehmen. So werden etwa Dürre oder Schädlingsbefall frühzeitig erkannt, das Risiko für Schäden durch Waldbrand oder Stürme sinkt – angemessenes und schnelles Handeln vorausgesetzt.

Grafik: Emmett, CC-BY-SA 4.0; Icon: Ayub Irawan; Quellen: Statista, Umweltbundesamt, DWD, DIE ZEIT
Das an First 2.0 beteiligte Start-up LiveEO hat darüber hinaus eine Software entwickelt, die auf der Grundlage von Satellitendaten die Vegetation und den Untergrund im Umfeld von Bahngleisen überwacht. Damit können Gefahren frühzeitig erfasst und präventive Maßnahmen eingeleitet werden, um den sicheren Eisenbahnverkehr zu gewährleisten – ganz ohne zeit- beziehungsweise CO2-intensive Inspektion am Boden oder aus dem Helikopter heraus.
Intelligente Datenanalyse und -bereitstellung für den Krisenfall
Für das zweite Problem – die riesigen Datenmengen – werden in den seltensten Fällen Supercomputer benötigt. Um Krisenfälle vorhersagen und handhaben zu können, reicht es in der Regel, wenn Daten gut auffindbar sowie ohne weitere Aufbereitung unkompliziert und schnell zu verwenden sind. Der DWD zum Beispiel verfügt über außerordentlich umfangreiche Klima- und Wetterdaten, die allerdings erst einmal gefunden, je nach Anwendungsfall gefiltert und dann in die gewünschte Form gebracht werden müssen. Entwicklungen wie die des mFUND-Projekts FAIR haben dieses komplizierte Vorgehen als Problem erkannt und sorgen für barrierearme Zugänge zu den DWD-Datensätzen. Darüber hinaus will FAIR die Nutzer*innen bei der individuellen Suche und Aufbereitung von Daten unterstützen und ihnen zudem ermöglichen, dem DWD eigene Messwerte zu übergeben.
Andere Akteur*innen wollen Daten so aufbereiten und zur Verfügung stellen, dass sie zu einer größeren Widerstandsfähigkeit von Versorgungsnetzen beitragen. Das vom Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme geführte Konsortium, das hinter dem Projekt ResKriVer steht, setzt dabei auf eine Plattform, die verschiedene Services bündelt. Dazu gehören die Bewertung und die Simulation der Versorgungssicherheit oder eine ausfallsichere Kommunikation im Krisenfall. Zu diesem Zweck laufen dort verschiedenste Daten zusammen, zum Beispiel aus Unternehmen oder der Wissenschaft. Sie werden – zum Teil KI-basiert – zielgerichtet analysiert. Darüber hinaus wertet eine Software Social-Media-Kommunikation aus, um akute oder sich anbahnende Krisensituationen schnell zu erkennen. Ergänzend sollen spezifische Informationen aus einzelnen Social-Media-Posts zu einer Krisensituation so aufbereitet werden, dass sie zum Beispiel von Krisenstäben direkt in ihre Entscheidungen einbezogen werden können. Über Dashboards für verschiedene Zielgruppen können relevante Einrichtungen, Krisenstäbe oder auch die Bevölkerung im Fall eines eintretenden Krisenfalls vorgewarnt werden.

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Auch das niederländische Unternehmen Crowdsense hat mit der Anwendung PublicSonar eine KI-gestützte Lösung für die Auswertung online verfügbarer Daten, wie Posts in den sozialen Medien, entwickelt. Das Ziel ist, Online-Aktivitäten in Echtzeit zu analysieren und dadurch bei Krisen- und Katastropheneinsätzen die Lage schneller zu erfassen oder den Verlauf der Geschehnisse besser abschätzen zu können. Mithilfe eines solchen Frühwarnsystems, so die Hoffnung, können Behörden schneller und zielgerichteter als zuvor auf entsprechende Gefahrensituationen reagieren. Diese Lösung kann in verschiedenen Fällen zum Einsatz kommen. Beispielhafte Anwendungsszenarien sind, neben Unwettern und Naturkatastrophen, auch Terror- und Cyberangriffe. Darüber hinaus setzen die Entwickler*innen darauf, ein Stimmungsbild der Betroffenen zu erstellen. Das soll die Polizei oder den Bevölkerungsschutz dabei unterstützen, ihre Reaktion und ihr Krisenmanagement entsprechend anzupassen.
Liegen Warnungen vor Extremwetterereignissen oder anderen Katastrophen vor, bleibt den Behörden und Einsatzkräften häufig nur wenig Zeit, um darauf zu reagieren. Eine schnelle Reaktions- und Einsatzfähigkeit sowie eine zügige Entscheidung über die Verteilung der verfügbaren Ressourcen sind essenziell für die Versorgung und den Schutz der Bevölkerung. Dafür ist es notwendig, ein Gesamtbild der Situation zu erstellen, was wiederum eine Bündelung und Auswertung aller verfügbaren Informationen voraussetzt. Wichtig ist außerdem, dass alle beteiligten Organisationen auf die benötigten Informationen zugreifen und sich mit anderen Beteiligten vernetzen können. Genau dies strebt das Projekt SPELL an, das an einer Plattform arbeitet, die KI-gestützt Informationen aufbereitet und Leitstellen sowie Lagezentren bei der Entscheidungsfindung unterstützt.
Anwendungen für einen sicheren Verkehr und eine widerstandsfähigere Infrastruktur
Speziell auf den Schutz von Verkehr und Verkehrsinfrastruktur zugeschnitten sind Projekte wie SENSARE. Das mFUND-Projekt richtet sich an die Leitzentralen von Verkehrsinfrastrukturbetreibenden und Sicherheitsbehörden, die vor möglichen Überflutungen im Stadtgebiet gewarnt werden sollen. Sensoren an Straßen, in der Kanalisation und an Gullideckeln messen den Wasserstand. Die Werte werden mit Simulationen abgeglichen, um zu beurteilen, wie lange ein von Starkregen betroffenes Gebiet noch gefahrlos befahrbar ist – insbesondere mit dem öffentlichen Personennahverkehr. Auf diese Weise sollen die Verantwortlichen in die Lage versetzt werden, präventiv Sicherheitsmaßnahmen umzusetzen oder den Verkehr umzulenken. Perspektivisch sollen die Informationen auch an Navigationssysteme in Pkw ausgespielt werden. Die Daten aus dem Sensoren-Netzwerk sollen außerdem bei Modellrechnungen genutzt werden, die sich für zukünftige Infrastrukturplanungen heranziehen lassen.

Grafik: Emmett, CC-BY-SA 4.0; Icon: P Thanga Vignesh; Quellen: DWD, ClimXtreme
Im mFUND-Projekt ISRV soll KI helfen, die unmittelbaren Auswirkungen eines Starkregenereignisses in Echtzeit vorherzusagen (Wasserstände, Strömungsgeschwindigkeiten und betroffene Verkehrsinfrastruktur). Aus Wetterdatenbanken errechnet und erstellt eine KI-Anwendung mögliche Starkregenszenarien, anhand derer sich Überflutungsprozesse modellieren und risikoanalytisch bewerten lassen. Mit den erzeugten Daten wird eine KI-Software trainiert, sodass sie – angeschlossen an ein Niederschlagsvorhersagesystem – präzise Überflutungsvorhersagen liefern kann. Somit kann der Verkehr bei Bedarf rechtzeitig umgelenkt werden.
Das mFUND-Projekt heavyRAIN nutzt KI-Verfahren, um ein Starkregenfrühwarnsystem zu entwickeln, das zeitlich und räumlich hochpräzise ist. Dazu werden in mehreren Pilotstädten lokale Messnetze durch Sensoren ergänzt, mit deren Hilfe Starkregenereignisse detaillierter aufgezeichnet werden können. Diese und weitere, zurückliegende Daten bilden die Grundlage, um das Messnetz zu verbessern und die KI-Anwendung zu trainieren, sodass sie exaktere Prognosen trifft. Parallel testet das Projektkonsortium ein neuartiges Sensor- und Prognosekonzept für die Entstehung von Starkregenzellen. Ein Vorläuferprojekt konnte bereits Erkenntnisse darüber liefern, wie sich Starkregenzellen entdecken und deren Bewegungsrichtungen prognostizieren lassen.
Neben Starkregen kann auch Hitze der Infrastruktur zusetzen. Insbesondere Innenstädte können sich extrem aufheizen und im Vergleich zum Umland durchschnittlich um bis zu zehn Grad Celsius heißer sein – das ist der sogenannte Urbane-Hitzeinsel-Effekt (UHI). Das Projektteam von KLIPS will Sensoren und KI-Verfahren nutzen, um Temperaturschwankungen und für Hitzeinseln anfällige Gebiete frühzeitig zu erkennen. Das mFUND-Projekt soll darüber hinaus Gegenmaßnahmen simulieren können und damit die Stadtplanung unterstützen. Aktuell baut das Team in Dresden ein Netz aus rund 300 Sensoren auf, die zukünftig Temperaturdaten sammeln. Zusammen mit den Daten von Satelliten, Wetterstationen und aus Grundstücksverzeichnissen lassen sich Gebiete mit hoher Hitzeinsel-Wahrscheinlichkeit identifizieren. Mithilfe der KI-Algorithmen sollen in Zukunft noch präzisere Vorhersagen möglich werden.

Foto: kiri – stock.adobe.com
Derzeit liegt viel Hoffnung auf Verfahren der Künstlichen Intelligenz. In der Tat steigt die Bedeutung von Maschinellem Lernen für Vorhersagen aller Art an, nicht zuletzt aufgrund der immer größeren verfügbaren Datenmengen und der effizienteren Analyseverfahren. Bei Extremwetterereignissen und für den Katastrophenschutz wird sie wohl in Zukunft weiter zunehmen. Doch auch bei der Planung und Entwicklung wichtiger Infrastruktur können KI-Anwendungen helfen. Präzisere Simulationen ermöglichen, eine krisenfestere Infrastruktur zu schaffen. Gekoppelt mit einem effektiven Frühwarnsystem verursachen Krisenereignisse dann im Idealfall weniger Schäden als bisher und Menschen können sich rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Gleichzeitig ist es unerlässlich, digitale Warnsysteme mit ihren unterschiedlichen Datenquellen gut aufeinander abzustimmen. Wie die hier vorgestellten Projekte zeigen, sind bereits mehrere Anwendungen im Einsatz oder in der Entwicklung, die entweder ganz allgemein vor Gefahren warnen oder Frühwarnsysteme für spezielle Einsatzfelder sind. An dieser Stelle wird es auf den Austausch zwischen den beteiligten Projektteams ankommen, um voneinander zu lernen und verschiedene Services sinnvoll miteinander zu verknüpfen.
Ähnliches gilt für das datengetriebene Krisenmanagement. Mit allen beteiligten Akteur*innen Erfahrungen und Daten auszutauschen, ist wichtiger denn je. Sind Daten frei zugänglich, können zudem Lösungen entstehen, die niemand vorhergesagt hätte.
Bürger*innen dürfen darauf hoffen, dass Gefahren für Mensch und Infrastruktur in Zukunft früher erkannt werden – dank besserer Datengrundlage und -analyse – und dass die Informationen über Gefahren auch bei den richtigen Stellen ankommen, und zwar in einer Form, die der schnellen, gezielten und koordinierten Reaktion zuträglich ist.
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Das Modulare Warnsystem (MoWaS), o. D.
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Organisation der Warnung, o. D.
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Wie funktioniert der deutsche Bevölkerungsschutz?, o. D.
- ClimXtreme: Aktuelle Starkregenereignisse, 22.11.2021.
- Dauber, Gregory: „Klimaforschung ist keine Sache für Angsthasen“, auf: t-online.de, 13.10.2022.
- Deutscher Wetterdienst und Extremwetterkongress Hamburg (Hrsg.): Was wir heute über das Extremwetter in Deutschland wissen, Stand: September 2021.
- Deutscher Wetterdienst: Bodenbeobachtung im DWD, o. D.
- Deutscher Wetterdienst: Der Deutsche Wetterdienst sucht ehrenamtliche Beobachterinnen und Beobachter, o. D.
- Deutsches Klimarechenzentrum: Levante – neuer Supercomputer für die Erdsystemforschung, o. D.
- Ellerhoff, Beatrice: Kann KI helfen, uns auf Extremwetter besser vorzubereiten?, Heinrich-Böll-Stiftung, 07.09.2022.
- Emmett: cAIR – KI-basierte Flugdatenanalyse von Segelflugzeugen zur verbesserten Vorhersage konvektiver Wetterereignisse, o. D.
- Emmett: FAIR – Anwenderfreundliche Bereitstellung von Klima- und Wetterdaten, o. D.
- Emmett: FirSt_2 – SaaS-Produktentwicklung zur skalenübergreifenden kontinuierlichen Vitalitäts- und Waldschadensanalyse mittels multisensoraler Fernerkundungsdaten und künstlicher Intelligenz, o. D.
- Emmett: heavyRain – Heavy Rain sensor-based Artificial Intelligence Nowcast, o. D.
- Emmett: ISRV – Intelligente Starkregen-Risikowarnung im Verkehrssektor, o. D.
- Emmett: KLIPS – KI-basierte Informationsplattform für die Lokalisierung und Simulation von Hitzeinseln für eine innovative Stadt- und Verkehrsplanung, o. D.
- Emmett: SENSARE – Sensorbasierte Stadtgebietsanalyse für Starkregengefährdungen zur Warnung und Resilienzverbesserung der Verkehrsinfrastruktur, o. D.
- Emmett: Veranstaltungsdokumentation mFUND-Fachaustausch: Digital gewarnt – Potenziale von Dateninnovationen für die Analyse und Prognose von Extremwetterereignissen, o. D.
- Fischer, Katarina: Hitzeinseleffekt. Warum es in unseren Städte[n] so heißt ist und was dagegen hilft, auf: nationalgeographic.de, 13.07.2022.
- Foken, Thomas et al.: Entwicklungen bei meteorologischen Messtechniken, in: Gefahrstoffe Reinhaltung der Luft 77 (2017), H. 7/8, S. 284–289.
- Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) vom 19.06.2020.
- IPCC: Climate Change 2022. Mitigation Report.
- Lindern, Jakob von, Iser, Jurik Caspar und Peitz, Dirk: Deutschland warnt – aber leider falsch, auf: zeit.de, 22.07.2021.
- LiveEO: Making Rail Networks more resilient with Satellite Insights, o. D.
- Müller-Brehm, Jaana und Otto, Philipp: Smarte Technologie gegen den Klimawandel, Heinrich-Böll-Stiftung, März 2022.
- PublicSonar: Unsere KI-Lösung, o. D.
- ResKriVer: Plattform, Architektur & Services, o. D.
- Rodenkirch, Dirk: Nach Flutkatastrophe: Weiter Mängel bei Warn-Apps, auf: swr.de, 08.05.2022.
- SPELL: KI in der vernetzten Leitstelle der Zukunft, o. D.
- Stetter, Leonie: Hitzeresilient dank KI und Temperatursensorik, auf: emmett.io, 06.09.2022.
- TU Dresden, Professur für Geofernerkundung: Historische Entwicklung der Fernerkundung, o. D.
- Verbraucherzentrale: Cell Broadcast: Neues Warnsystem für Katastrophen in Deutschland, Stand: 11.11.2022.
- WDR: Flut-Prognose in NRW: Messstationen fehlen, 23.09.22.
- Zukunftsinstitut: Mit künstlicher Intelligenz zur Krisenresilienz, o. D.