Große Fragen und ein gar nicht so kleiner gemeinsamer Nenner: Mobilitätsdatenräume sollten offen sein und nicht zuerst auf Profit abzielen – da waren sich Panel und Publikum zum Start des neuen Emmett-Netzwerks bemerkenswert einig.
Am 27.01.2022 startete offiziell das neue Emmett-Netzwerk mit Funktionen zum Vernetzen, Austauschen und Kooperieren. Aus diesem Anlass lud das Team der mFUND-Begleitforschung MoveMobility zu einer hochkarätig besetzten Paneldiskussion über Erfordernisse und Ziele eines Mobilitätsdatenökosystems ein. Rund 350 Teilnehmer:innen verfolgten die einstündige, lebhaft geführte Gesprächsrunde. Zudem tauschte sich das Publikum rege im Chat der Online-Konferenz aus, viele meldeten sich direkt im Emmett-Netzwerk an und erkundeten die zahlreichen Optionen.
In ihrem Grußwort betonte Daniela Kluckert, parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), dass ein Mobilitätsdatenökosystem auch den mFUND-Projekten viele Möglichkeiten eröffne, ihr Innovationspotenzial besser zu entfalten und das Leben der Menschen besser zu machen. „Ohne Digitalisierung ist keine Zukunft der Mobilität denkbar“, so Kluckert. Sie kündigte an, dass die Bundesregierung im Rahmen des diesjährigen Vorsitzes Deutschlands bei den G7-Staaten die Datenökonomie in den Fokus rücken wird. Eine entscheidende Rolle werde die Entwicklung eines Rechtsrahmens für Datenräume spielen. Der kürzlich gestartete „Mobility Data Space“ (MDS) werde durch Open-Data-Gebote für mehr Datenverfügbarkeit sorgen, bei gleichzeitiger Wahrung der Datensouveränität der Datengeber:innen.
Gäste der anschließenden Panel-Diskussion waren Raúl Krauthausen (Gründer der Sozialheld*innen), Katja Diehl (Aktivistin und Autorin), Dr. Olga Nevska (CEO Telekom MobilitySolutions), Prof. Dr. Meike Jipp (Direktorin Institut für Verkehrsforschung, DLR) und Prof. Dr. Boris Otto (Leiter Fraunhofer ISST).
Die Aufzeichnung der Veranstaltung steht als Videostream online:
In der ebenso engagiert geführten wie vielschichtigen Gesprächsrunde erörterten sie, dass noch viel mehr Mobilitätsdaten als Open Data beziehungsweise in offenen Mobilitätsdatenräumen freigegeben werden müssten. Ob hierbei womöglich auch gesetzliche Auflagen und Sanktionsmechanismen zum Tragen kommen sollten, müsste sorgfältig abgewogen werden, hieß es. Am Beispiel von Aufzügen und Rolltreppen verdeutlichte Krauthausen, dass es oft um nur wenige Daten geht, die viel Nutzen bringen können: Lage, Zugang und Betriebszustand.
Außerdem würden aktuelle und offen verfügbare Daten nicht nur Menschen mit Behinderung nützen, sondern allen, so Krauthausen. Auch das Servicepersonal könne dann besser reagieren und arbeiten. Zudem ließen sich häufig mit vorhandenen Daten und Bürger:innen als Datenspender:innen sinnvolle Lösungen für tägliche Mobilitätsprobleme finden.
Für offene Schnittstellen (APIs) und möglichst viele offen verfügbare Daten, die aber auch mit hinreichend Datenbeschreibungen (Metadaten) versehen sein müssten, um gut einsetzbar zu sein, plädierten ebenfalls Olga Nevska und Meike Jipp. Zudem sei es wichtig, dass sich die Menschen von eingefahrenem Verhalten verabschieden, etwa täglichen Fahrten allein in einem Auto, und ihre Mobilitätsroutinen ändern, hin zu geteilten Fahrzeugen und intermodalen Fortbewegungen.
Auch hierbei könnten Daten helfen, um Mobilitätsservices attraktiver zu gestalten, so Meike Jipp. Gleichwohl hält Katja Diehl es für erforderlich, Soziolog:innen und weitere sozialwissenschaftliche Disziplinen in breite Diskussionen zu neuer Mobilität einzubeziehen. „Die Zeiten verändern sich tatsächlich. Dass in dieser Runde Wissenschaftler:innen, eine Unternehmensvertreterin, Raul und ich diskutieren – das hätte es vor ein paar Jahren noch nicht gegeben“, so Diehl: „So etwas sorgt für einen Austausch mit ganz unterschiedlichen Perspektiven und auch das halte ich für notwendig, um die Mobilitätswende voranzubringen.“
In Mobilitätsdatenökosystemen sollte es nicht um etwaige Geschäftsmodelle gehen – da waren sich alle Panelist:innen weitgehend einig. Daher, so Boris Otto, sei für die Trägerschaft des Mobility Data Space (MDS) auch eine gemeinnützige GmbH gegründet worden, die keine Gewinne erzielen dürfe. Dies und dezentrale Prinzipien des MDS, sowie „Give-and-take“, gleichberechtigte Zugänge für alle und keine Entscheidungsbefugnisse für Einzelne, all diese Faktoren ermöglichten es, dass sowohl die Interessen von öffentlichen und privatwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen als auch von großen Konzernen und kleinen Firmen ausbalanciert werden könnten, so Otto.
Zu diesen und weiteren Fragen bezüglich Mobilitätsdatenräumen tauschte sich das Online-Publikum des Events rege im Chat aus. Besonders das Thema Open Data erzeugte dort großen Widerhall. Mehrfach wiesen Teilnehmende im Chat darauf hin und äußerten ihren Unmut darüber, dass die für neue und bessere Mobilitätsangebote benötigten Daten vielfach bereits vorlägen, aber Forschenden und Start-ups, ebenso der Allgemeinheit, nicht zur Verfügung gestellt würden.
„Inwieweit kann denn eventuell das Wettbewerbsrecht genutzt werden, um einen Zugang zu essenziellen Daten zu ermöglichen?“, fragte ein Gast. Ein anderer forderte die Städte und Gemeinden zum Handeln auf. Sie könnten etwa das Vergaberecht nutzen, um Anbieter:innen von Mobilitätsdiensten zum Datenteilen zu verpflichten.
Ein aufschlussreiches Stimmungsbild zu Mobilitätsfragen lieferten auch die Ergebnisse zweier Umfragen, die das Online-Publikum während der Veranstaltung beantwortete.
So gaben auf die Frage nach zukünftigen datengetriebenen Diensten 39 Prozent der Befragten an, sie würden sich auf „eine App für alle Wege“ freuen, um sich das Hantieren mit zehn unterschiedlichen Apps zu ersparen. Bezüglich des Austauschs von Mobilitätsdaten äußerten 46 Prozent, dass es ein großes Hindernis sei, sich darum zu sorgen, Wettbewerbsvorteile aus der Hand zu geben.
In den Mitteilungen des Publikums im Chat spielte das Gemeinwohl eine herausragende Rolle. Mehrfach äußerten Teilnehmende Kritik daran, dass der Datenaustausch kommerzialisiert würde. Ein Teilnehmer schlug vor, Unternehmen sollten Gebühren entrichten, wenn sie Daten nutzen, die mit öffentlichen Mitteln erzeugt worden sind. Andere hielten das für kontraproduktiv – auch Prof. Dr. Otto, der sich neben seiner Rolle im Panel ausgiebig dem Beantworten von Chatnachrichten widmete.
Des Weiteren kam die Frage auf, wie mit der Übermacht der „Großen“, der tonangebenden Tech-Giganten aus den USA, umzugehen sei. Eine der Antworten lautete, „mitmachen lassen, aber zu europäischen Konditionen“. Manche richteten die Blicke lieber auf die Kleinen: das Modellprojekt Stadtnavi aus dem baden-württembergischen Herrenberg wurde gleich mehrfach als Best-Practice-Beispiel genannt.
Zum Abschluss der Veranstaltung erläuterten die MoveMobility-Mitarbeiterinnen die Funktionen und Möglichkeiten des neuen Emmett-Netzwerks (siehe auch diesen Beitrag auf Emmett) und luden die Teilnehmenden ein, sich dort direkt ein Profil anzulegen und beispielsweise Mitmach-Gesuche, Daten-Angebote oder Kontaktanfragen zu starten.