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Österreichs MaaS-Erfolgsgeschichte: Stabile User Experience und flexibles Einbinden der Anbieter

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Andrea Reidl

Österreichs MaaS-Erfolgsgeschichte: Stabile User Experience und flexibles Einbinden der Anbieter

Die Wegfinder-App – das Mobility-as-a-Service-Angebot der Österreichischen Bundesbahnen – umfasst rund 35 Dienste, wie E-Scooter-, Bike- und Ride-Sharing sowie Taxibetriebe; kontinuierlich kommen neue Anbieter hinzu. Damit die Benutzung der App dennoch konsistent bleibt, investiert das Betreiberunternehmen viel in die Schnittstellen für die Datenübernahmen. Das zahlt sich aus.

Angebot checken, buchen und per Smartphone bezahlen, das ist im 21. Jahrhundert längst Alltag. Plattformen wie Amazon oder Lieferando haben dieses Prinzip perfektioniert. Bei ihnen kann man Waren von Drittanbietern über einen Account bestellen und bezahlen.

Was seit Jahren im Einzelhandel funktioniert, bekommen Mobilitätsanbieter oft noch nicht hin. Das Komplettpaket von öffentlichem Personenverkehr (ÖPV) und Drittanbietern, wie Taxis oder Sharing-Fahrzeugen, erhalten Kunden bislang nur, wenn die Regierung es anordnet, beispielsweise in Finnland. Etwa, weil ihre Stadt im Stau zu ersticken droht oder die Luftqualitiät immer schlechter wird. Österreich spielt mit seiner Mobilitäts-App Wegfinder zurzeit – auf Europa bezogen – in der ersten Liga mit.

Wegfinder gehört der Österreichischen Bundesbahnen AG (ÖBB). In ihrem Auftrag entwickelte ihr Tochter- und Start-up-Unternehmen iMobility die erforderliche Software und die App. Diese kombiniert öffentliche und individuelle Verkehrsmittel in Echtzeit und ermöglicht das Buchen und Bezahlen über einen Account.

Das kann die Jelbi-App der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) auch, allerdings endet ihr Angebot an der Berliner Landesgrenze. Wer von Köpenick im Südosten Berlins nur 25 Kilometer weiter in den Spreewald nach Mittenwald will, ist mit Jelbi aufgeschmissen. Die Busse und Bahnen, die dorthin fahren, kennt die App nicht. Anders bei Wegfinder. Die Mobility-as-a-Service-Plattform (MaaS) funktioniert in Österreich bereits bundesweit.

Beweis erbracht: MaaS-Apps können das Verkehrsverhalten ihrer Nutzer*innen ändern

Wegfinder ist nicht die erste MaaS-App in Österreich. Ihre Vorgängerin „Smile“ wurde bereits 2012 entwickelt und 2015 in der Hauptstadt Wien getestet. Das war früh. Zum Vergleich: Sampo Hietanen, der als ein Vorreiter der MaaS-Bewegung gilt, startete den ersten Probelauf seiner Mobilitätsapp Whim erst 2017 in Helsinki. Da hatte die ÖBB mit dem Verkehrsbetrieb Wiener Linien, den Stadtwerken und ihren anderen Partnern längst die Smile-Erfahrungen von 1.000 Test-Fahrer*innen ausgewertet.

Das Ergebnis war vielversprechend: Mit der App nutzten die Teilnehmer*innen beispielsweise häufiger Busse und Bahnen (48 Prozent) oder Bike-Sharing (10 Prozent ). Entscheidend war: Sie stiegen seltener in ihren Privatwagen (21 Prozent). Damit war der Beweis erbracht: MaaS-Apps können das Verkehrsverhalten ihrer Nutzer*innen ändern.

2017 startete iMobility den Smile-Nachfolger Wegfinder. Vom ersten Tag an konnten die Kund*innen Tickets für den gesamten öffentlichen Verkehr im Land kaufen. „Die Grundlage dafür hat die ÖBB geschaffen. Sie hat vor Jahren eine landesweite Plattform eingeführt, über die die Fahrpläne der Privat-, Regional- und Bundesbahnen zu sehen und die Tickets buchbar sind“, sagt Gregor Fischer, Geschäftsführer bei iMobility.

Wegfinder hat als MaaS-App exklusiv den Zugang zu dieser Plattform. Fischers Job ist es, private Anbieter zu integrieren, damit das Umsteigen der Autofahrer*innen auf den ÖPNV attraktiv ist.

Porträt Gregor Fischer
Gregor Fischer, Geschäftsführer iMobility. Foto: iMobility

Das ist nicht immer leicht. Sharing-Anbieter wollen Fahrten verkaufen. Bekannte Marken wie Nextbike, Lime oder Bird sind autark, bekannt und weltweit unterwegs. Die Vollintegration in eine MaaS-App ist für sie zusätzliche Arbeit. Deshalb rollt Fischer ihnen den roten Teppich aus und versucht den Aufwand für die neuen Partner möglichst klein zu halten.

„Wir passen uns bei der Integration an die API-Schnittstelle unserer Partner an“, sagt Fischer. API steht für Application Programming Interface und bezeichnet eine Programmier-und Datenschnittstelle. Über sie bekommt Wegfinder Zugriff auf die Software des neuen Partners.

„Je mehr Plattformen uns integrieren, desto besser“

„API-Schnittstellen hält inzwischen jedes Unternehmen vor“, sagt Marco Weigert, der beim Sharing-Anbieter Nextbike für die Geschäftsstrategie zuständig ist. Bei Nextbike seien sie Open Source. „Die Daten kann jeder haben. Je mehr Plattformen uns integrieren, desto besser“, sagt Weigert.

Porträt Marco Weigert
Marco Weigert, bei Nextbike für die Geschäftsstrategie zuständig. Foto: Mareike Rauchhaus/Nextbike

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. „Es kommt immer auf die Tiefe der Integration an“, sagt iMobility-Geschäftsführer Gregor Fischer. Wer in der App nur die Räder anzeigt, die im Bestand sind, komme mit den Open-Source-Daten aus.

Werden jedoch die Echtzeitdaten benötigt, beispielsweise um E-Bikes oder E-Kick-Scooter zu reservieren, Car-Sharing-Autos aufzusperren sowie die Buchung und Bezahlfunktion zu integrieren, benötigen Fischer und sein Team deutlich umfangreichere Schnittstellen, als sie sie via Open Data meist zur Verfügung gestellt bekommen.

Den neuen Partner so in die App integrieren, dass der Buchungsprozess gleich bleibt

Bei der Ausleihe von E-Kick-Scootern etwa ist das notwendige Datenpaket deutlich größer als bei muskelbetriebenen Sharing-Bikes. Schließlich muss der Anbieter den Standort der Fahrzeuge kennen, ihren Ladezustand oder ob sie gerade ausgeliehen oder reserviert sind. Hinzu kommen verschiedene Tarifmodelle, Rückgabeorte oder auch Fahrverbotszonen. Auf all diese Daten muss auch Wegfinder zugreifen können.

Die Kunst ist es, den neuen Partner so in die App zu integrieren, dass der Buchungsprozess immer gleich bleibt. „Die User Experience harmonisieren“, nennt Fischer das. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht.

Je passgenauer die Optionen für die Weiterfahrt mit Taxis, Rollern, Rädern oder Ride-Sharing sind, desto mehr Menschen nutzen sie

Marco Weigert weiß das. Nextbike ist seit 2004 am Markt und inzwischen weltweit in über 300 Städten aktiv. Vor Ort arbeitet das Unternehmen eng mit den lokalen Verkehrsbetrieben, Stadtwerken oder Stadtregierungen zusammen. Häufig wird das Nextbike-Angebot in die App des Partners vor Ort integriert und die Nutzer*innen erhalten Freiminuten. Die Integration klappt aber nicht immer reibungslos. Manchmal lässt sich das Nextbike monatelang in der Partner-App weder buchen noch ausleihen.

Für Wegfinder wäre das das Aus. Ihr Job ist die Integration. Sobald etwas nicht funktioniert, kassiert Fischers Team Minuspunkte und kann Nutzer*innen verlieren. Deshalb wollen sie stets alle Strippen in der Hand halten.

„Wir konzipieren, betreiben und entwickeln die App und übernehmen auch den Kundenservice“, sagt Fischer, „das macht uns schnell.“ Sobald es irgendwo hakt und ein*e Nutzer*in das meldet, bessern sie nach. Das funktioniere jetzt noch gut, sagt Fischer. Aber je mehr Anbieter sie integrieren, desto schwieriger könne das zukünftig werden.

Rund 35 Drittanbieter gibt es neben dem Öffentlichen Personenverkehr zurzeit in der Wegfinder-App. In ein paar Monaten kommt Car-Sharing dazu. Dann können die Wegfinder-Kund*innen mit der App das Auto buchen, öffnen und wieder abschließen. Die Vernetzung mit Drittanbietern erweitert das ÖPNV-Angebot deutlich. Je breiter und passgenauer die Optionen für die Weiterfahrt mit Taxis, Rollern, Rädern oder Ride-Sharing sind, desto mehr Menschen nutzen sie.

Angebote bündeln, um zum 'Amazon der Mobilität' zu werden

Österreich ist ein Land der Pendler*innen: Mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen arbeiten in Nachbargemeinden oder umliegenden Städten. In Wien reist etwa jede*r vierte Erwerbstätige morgens aus einem anderen Bundesland an. Das Potenzial an neuen potenziellen Kund*innen für den öffentlichen Personen-, Nah- und Fernverkehr und damit für Wegfinder ist also riesig.

Ein Angebot wie Wegfinder macht aber noch keine Verkehrswende. Die App kann die Alternativen zum Auto nur aufzeigen und leicht nutzbar machen. Wer den Verkehr tatsächlich nachhaltiger organisieren will, braucht gute Netze, dichte Takte, Lösungen für die letzte Meile und übersichtliche Preise. Dafür gibt Österreich bis 2026 rund 17,5 Milliarden Euro aus. Außerdem führt die Regierung das 1-2-3-Klimaticket ein. Das Jahresticket soll dann für ein Bundesland 375 Euro kosten, für zwei 730 und bundesweit 1.095 Euro pro Jahr.

Für Gregor Fischer sind das gute Aussichten. Schließlich ist er nur der Vermittler. Er muss keine Angebote schaffen, sondern nur bündeln, um zu einem 'Amazon der Mobilität' in Österreich zu werden.

Aufmacherfoto: Touchscreen, von Quinn Dombrowski, via Flickr, CC-BY-SA 2.0

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