Die Idee, Wohnviertel durch konsequente Verkehrsberuhigung in sogenannte Superblocks umzuwandeln, macht nach dem Beispiel von Barcelona inzwischen auch in deutschen Städten Schule. Eine neue Studie zeigt, wie Städte frei verfügbare Geodaten nutzen können, um zukünftige Superblocks dort zu finden, wo man sie vielleicht gar nicht vermutet.
In Berlin heißen sie Kiezblocks, in Wien Supergrätzel, in Barcelona Superilles, doch allgemein kennt man sie unter einem Namen: Superblocks. So heißt das stadtplanerische Konzept, das verkehrsberuhigte Zonen inmitten von Städten vorsieht, in denen die Verbindungsstraßen zwischen mehreren Häuserblöcken für den Autoverkehr weitestgehend gesperrt sind. Lediglich dem Lieferverkehr zu geregelten Zeiten, Notdiensten und gegebenenfalls Anwohner:innen ist die Einfahrt erlaubt. Alle anderen Autos bleiben draußen.
Obwohl es Superblocks schon seit Jahrzehnten gibt, geht das gesamtheitliche Konzept gemeinhin auf den spanischen Ökologen Salvador Rueda zurück: Er entwickelte die Gestaltungsprinzipien der Superblocks in den Neunzigerjahren und fand schließlich in der Stadtverwaltung von Barcelona Gehör: Im Zuge eines neuen Konzepts für nachhaltige Mobilität hat die Metropole 2017 den ersten „offiziellen“ Superblock eingerichtet. Inzwischen gibt es ein halbes Dutzend; mehr als 500 könnten Plänen zufolge entstehen.
Nach dem Vorbild von Barcelona haben auch andere Städte rund um die Welt inzwischen einzelne Superblocks eingerichtet oder evaluieren deren Umsetzung. In Deutschland fordert etwa in Berlin die Kampagne #Kiezblocks, bis zu 180 verkehrsberuhigte Zonen innerhalb der Stadt zu schaffen. Zwölf Stück wurden im August 2021 beschlossen. Ähnliche Konzepte gibt es in Hamburg und Leipzig. In der österreichischen Hauptstadt Wien beginnt in diesen Tagen die erste Phase des Supergrätzel-Pilotprojekts.
Die Befürworter:innen der Superblocks betonen die mutmaßlichen Vorteile: Weniger Autos führten zu besserer Luft und weniger Lärm, aus Kreuzungen würden Begegnungszonen, Parkplätze wichen neuen Grünflächen, Sitzgelegenheiten oder Außengastronomie, der öffentliche Nahverkehr würde attraktiver. Diese Erwartungen scheinen Daten aus Barcelona zu bestätigen. Demnach legten die Menschen nach Errichtung der Superblocks längere Wege zu Fuß zurück und sank der Verkehr um mehr als die Hälfte. Eine Simulationsstudie untersuchte zudem, inwieweit die positiven Auswirkungen der Superblocks auf die Gesundheit sogar die Lebenserwartung der Bewohner:innen erhöhen könnte.
Der Weg von der Idee bis zur Umsetzung eines Superblocks ist alles andere als einfach: Denn ob ein Straßenviertel, ein Kiez oder eine Verkehrszone zum Superblock taugt, hängt von verschiedenen Faktoren ab – und bei deren Analyse können Daten helfen.
Wie das geht, zeigt Sven Eggimann, Forscher an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) im schweizerischen Dübendorf. Er hat im März eine Studie im Fachmagazin „Nature Sustainability“ veröffentlicht, in der er mithilfe von frei zugänglichen Daten das Potenzial für Superblocks in verschiedenen Städten untersucht. „Die Studie soll dazu dienen, eine erste Abschätzung vorzunehmen, ob Superblocks in einer Stadt überhaupt realisierbar wären und wie sie möglicherweise den Verkehrsfluss beeinflussen könnten“, sagt Eggimann.
Um die Fragen zu beantworten, verwendet Eggimann unter anderem OpenStreetMap. Das Projekt sammelt Geodaten aus der Community, stellt sie unter einer Open-Source-Lizenz zur Verfügung und erlaubt über eine Programmierschnittstelle (API) zudem den direkten und automatisierten Zugriff auf die Informationen in der Datenbank.
18 Städte weltweit hat Eggimann untersucht. Mithilfe der Daten von OpenStreetMap hat er seinen Algorithmus nach möglichen Standorten für Superblocks suchen lassen, die dem Modell von Barcelona folgen: Dort besteht ein Superblock aus drei mal drei Häuserblöcken. Das entspricht einer Fläche von etwa 400 mal 400 Metern. Weil aber die meisten Städte nicht das markante Rasterlayout von Barcelona aufweisen, hat Eggimann zusätzlich nach sogenannten Miniblocks gesucht: Je zwei mal zwei oder auch nur ein mal zwei Häuserblöcke, deren Verbindungsstraßen verkehrsberuhigt gestaltet werden könnten.
Nicht jeder Häuserblock eignet sich gleich gut zum Super- oder Miniblock. „Superblocks, die eine Hauptstraße oder Tramlinie enthalten, wurden fürs Erste ausgeschlossen“, erklärt Eggimann. Glücklicherweise lieferten die verwendeten Daten von OpenStreetMap bereits die Informationen mit, ob es sich um Fern-, Haupt- oder Nebenstraßen handelt. Zudem ergeben Superblocks nur dort Sinn, wo auch entsprechend viele Menschen leben, damit die gewünschten positiven Effekte eintreten können: In Industriegebieten etwa würde ein Durchfahrtsverbot wohl mehr schaden als nutzen.
Abbildung: „Kiezblocks“, Changing Cities e.V., CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Um die Bevölkerungsdichte einzubeziehen, hat Sven Eggimann Daten des Facebook-Konzerns Meta verwendet, die dieser gemeinsam mit dem Center for International Earth Science Information Network (CIESIN) erhoben hat. Sie berechnen die Bevölkerungsdichte mithilfe von Satellitenaufnahmen und Künstlicher Intelligenz und sind ebenfalls frei verfügbar.
In einem weiteren Schritt hat der Schweizer Forscher den Einfluss eines möglichen Superblocks auf den Verkehrsfluss untersucht. Dazu verwendete er einen Algorithmus, der kritische Straßen und mögliche Umleitungen identifiziert. Dies ist einer der größten Kritikpunkte am Superblock-Modell: Wenn Autos aus bestimmten Straßen verdrängt werden, reduziert sich nicht automatisch deren Anzahl, zumindest nicht sofort. Stattdessen, so heißt es, könnte der Verkehr rund um den Superblock sogar ansteigen. „Wie stark die Verdrängungseffekte letztlich ausfallen, ist schwer abzuschätzen“, so Eggimann. Das hänge letztlich davon ab, wie viele Superblocks es insgesamt gibt und wie attraktiv und verfügbar der ÖPNV oder Fahrradwege für die Anwohner:innen seien.
Aus den Daten zur Straßentopologie, zum Verkehrsfluss und zur Bevölkerungsdichte konnte das Modell schließlich mögliche Standorte für Superblocks und Miniblocks ermitteln. Das Ergebnis: In Städten mit einem Rasterlayout, etwa Madrid, Mexiko-Stadt oder Kairo, ist das Potenzial für Superblocks am größten. Doch wenn man mögliche Miniblocks hinzuzieht, könnten auch Städte mit ungleichmäßiger Bebauung, zum Beispiel Berlin, Zürich oder Budapest, rund 20 Prozent der Innenstadtfläche in verkehrsberuhigte Zonen umwandeln. Nur in einigen Städten wie London oder Atlanta seien „die topologischen Kriterien seltener erfüllt“, heißt es in der Studie.
Daten aus der Studie sind verfügbar
Die klassifizierten Straßen, einschließlich der berechneten Werte, die in der Studie als „Indikator für die Störung des Straßennetzes“ definiert sind (Street Network Disruption Indicator, NDI), sowie aller simulierten Superblöcke und Miniblöcke, stehen als sogenannte Shapefiles oder JavaScript-Dateien (GeoJSON) zum Download bereit.
„Das Straßennetz ist zwar ein wichtiger, aber nicht der einzig entscheidende Faktor bei der Errichtung von Superblocks“, erklärt Eggimann. In die Suche nach möglichen Superblocks könnten noch viel mehr Daten einfließen, je nachdem, welche Aspekte den Stadtplaner:innen wichtig seien. In Städten, die unter Abgasen und Feinstaub leiden, könnten etwa verfügbare Daten zur Luftqualität hinzugezogen werden. Diese erheben sowohl das Bundesumweltamt als auch viele Städte selbst. In Städten, in denen Hitzeinseln auftreten, könnten Wetterdaten oder Satellitenbilder helfen, wie sie etwa Projekte wie Ecostress der NASA liefern. Aber auch die Daten- und Geoportale von Städten wie Frankfurt und Citizen-Science-Projekte wie Sensor.Community würden Daten liefern, die in ein Modell einfließen könnten.
„Es könnte spannend sein, noch genauere Daten zur Bevölkerungsstruktur und Mobilität einzubeziehen“, sagt Eggimann. Aus seiner Sicht seien mehrere Fragestellungen relevant, etwa wo und wie soziale Interaktion stattfindet, wie sich Fußgänger:innen und Radfahrer:innen bewegen oder wie die Auslastung von Bus- und Bahnlinien ist. Daten zu diesen Fragen lägen Städten zum Teil bereits vor und könnten somit in Modelle einfließen und diese robuster machen, sprich: Je mehr Daten man habe, desto einfacher sei es, die Standorte möglicher Superblocks in einem ersten Schritt zu identifizieren.
Ob aus einer umfassenden Datenanalyse tatsächlich verkehrsberuhigte Zonen entstehen, ist eine andere Frage. Doch gerade das Konzept der Miniblocks, die aufgrund ihrer geringeren Größe weniger Umbauten erfordern, könnte Sven Eggimann zufolge in vielen Städten und Kommunen bei der urbanen und mobilen Transformation helfen. „Es ist ein attraktives und leicht zu erklärendes Konzept“, führt der Forscher aus. Wie die Daten zeigen, ist es eines, das möglicherweise an viel mehr Orten umsetzbar wäre, als man vermuten würde.