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Von der Unfallstatistik zu Smart Data für die Verkehrssicherheit

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Anne Lammers

Von der Unfallstatistik zu Smart Data für die Verkehrssicherheit

Laut offiziellen Statistiken sank die Anzahl der Straßenverkehrsunfälle im Sommer 2020 auf ihren niedrigsten Stand seit 30 Jahren. Doch gerade dieses Pandemie-bedingte Phänomen ermöglicht es Unfallforschern, den Blick auf Gefahrenstellen zu schärfen.

„So wenige Tote und Verletzte wie noch nie seit der deutschen Vereinigung“, meldet das Statistische Bundesamt am 21. August 2020 zum Stand der Verkehrsunfälle in Deutschland. Beim Lesen der zugehörigen Pressemitteilung zeigt sich schnell, dass sowohl die geringere Anzahl an Getöteten als auch an verletzten Verkehrsteilnehmer*innen im ersten Halbjahr 2020 auf das Corona-bedingte geringere Verkehrsaufkommen zurückzuführen sind. Verkürzt ließe sich sagen: weniger Verkehr bedeutet weniger Unfälle.

Quelle:<a href="https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/08/PD20_320_46241.html"> Destatis</a>
Quelle:<a href="https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/08/PD20_320_46241.html"> Destatis</a>

Gleichzeitig verwundert dieser Rückgang an Unfalltoten und -verletzten. Zum einen, weil während der Pandemie mehr Leute als zuvor auf das Fahrrad umstiegen. Zum anderen gehören Fahrradfahrer*innen zu der Gruppe Verkehrsteilnehmer*innen, deren Todesraten im Verkehr in den letzten Jahren gestiegen sind. Rein statistisch betrachtet hätte mehr Radverkehr auch zu mehr Unfällen führen müssen – doch genau das trat nicht ein. Warum nicht?

Eine mögliche Antwort auf diese Frage liefert eine weitere Unfallstatistik: Wenn Fahrradfahrer*innen verunglücken und weitere Verkehrsteilnehmer*innen am Unfallgeschehen beteiligt sind, dann sind dies mehrheitlich Autofahrer*innen. Im Jahr 2019 traf dies auf knapp 74 Prozent der Fahrradunfälle zu. Daher gilt für die Fahrradfahrer*innen die Faustformel: weniger Autoverkehr gleich weniger Fahrradunfälle.

„Radverkehr braucht Platz“, um die Verkehrsteilnahme für Radfahrer*innen sicherer zu machen, so schlussfolgerte der ADFC bereits 2016, als seine Leitlinien zur Radverkehrsinfrastruktur vorgestellt wurden. Weil dem Radverkehr dieser Platz im Corona-Frühjahr 2020 durch weniger Autoverkehr gegeben war und zudem mit Pop-Up-Radwegen gezielt eingerichtet wurde, so könnte man zusammenfassen, ging die Zahl der Fahrradunfälle trotz deutlich mehr Radverkehrs zurück.

Die Unfallstatistiken liefern also Hinweise, wie die Wahl des Verkehrsmittels und das jeweilige Verkehrsaufkommen die Zahl der Unfälle beeinflussen. Daraus lassen sich jedoch noch keine stadtplanerischen Maßnahmen ableiten. Zum einen ist noch unklar, wie sich die Verkehre langfristig entwickeln. Zum anderen beeinflussen nicht nur die Art des Verkehrsmittels oder die Höhe des Verkehrsaufkommens die Unfallraten.

Ein wichtiger Faktor ist, wie das gesamte Verkehrsnetz, etwa im urbanen Raum, gestaltet ist. Dies stellte der Deutsche Verkehrssicherheitsrat bereits 2018 in einem Beschlusspapier fest: „Besonders ausgeprägt ist der hohe Anteil schwerer Radunfälle an Kreuzungen und Einmündungen, beim Queren von Fahrbahnen sowie auf zu schmalen Radwegen.“

Auch hierfür liefern die amtlichen Statistiken Hinweise: So zeigt der Unfallatlas des Statischen Bundesamtes bis in einzelne Stadtteile oder Straßen untergegliederte Karten, auf denen Unfallschwerpunkte erkennbar sind. Die folgende Karte zeigt die Unfälle im Stadtbereich Berlin mit Fahrrad-Beteiligung im Jahr 2019. Dabei heben die rot markierten Straßen solche mit den höchsten Unfallhäufigkeiten hervor:

Quelle: Statistikportal https://unfallatlas.statistikportal.de/
Quelle: Statistikportal https://unfallatlas.statistikportal.de/

Hier gibt es gute Anhaltspunkte für Gefahrenstellen für Radfahrer*innen, die entschärft werden müssten. Es existiert eine Reihe an stadtplanerischen Gestaltungsideen, die insbesondere Kreuzungen für Radfahrer*innen sicherer machen sollen, wobei „[g]egen Einschränkungen für den Kfz-Verkehr zugunsten sicheren Radverkehrs […] hierzulande oft noch politische Bedenken angeführt [werden].“ Daher würden auch weiterhin „die Belange des Fuß- und Radverkehrs an Knoten häufig der Leistungsfähigkeit des Kfz-Verkehrs untergeordnet“, resümiert ein Artikel auf der Website zum Nationalen Radverkehrsplan des Bundesverkehrsministeriums.

Nur einen Monat nach der anfangs zitierten Pressemitteilung zum historisch niedrigen Stand der Verkehrstoten veröffentlichte das Statistische Bundesamt eine weitere, weitaus besorgniserregendere Meldung: „Juli 2020: Mehr Verkehrstote als im Juli 2019“. Die Corona-bedingte Ausnahmesituation fand demnach schon nach 3 Monaten ein Ende, sodass mehr denn je Maßnahmen zum Schutz von Radfahrer*innen notwendig sind.

Solange es keine stadtgestalterischen Veränderungen gibt, könnten unter anderem aus den hier genannten Unfallstatistiken hilfreiche Datengeneriert werden, die zur Sicherheit auf den Straßen beitragen. Das Stichwort lautet dabei „Smart“. So könnten kontinuierlich aktualisierte Daten für Autofahrer*innen bereitgestellt werden, die ortsbezogen über Gefahrenstellen informieren.

Diesen Ansatz verfolgt zum Beispiel das Verkehrssicherheits-Projekt FeGiS: „Wir identifizieren Gefahrenstellen im Straßenverkehr und bereiten diese so auf, dass Autofahrer an Gefahrenstellen von einer App oder ihrem Navigationssystem gewarnt werden. Autofahrer können dann ihre Fahrweise entsprechend anpassen oder besser reagieren.“, sagt FeGiS-Projektleiter Arno Wolter.

Für die Anwendung analysieren die Entwickler*innen amtliche Unfallstatistiken und reichern sie mit Daten über gefährliche Verkehrsknotenpunkte an, die Verkehrsteilnehmer*innen und Bürger*innen selbst eintragen können. Für Berlin sieht die Karte mit benutzergenerierten Daten bisher so aus:

Quelle: Gefahrenstellen.de https://www.gefahrenstellen.de/
Quelle: Gefahrenstellen.de https://www.gefahrenstellen.de/

Projekte wie FeGiS zeigen, wie „Digitalisierung einiges zur Verkehrssicherheit beitragen“ kann, so Arno Wolter. Die Umsetzung der „Vision Zero“, also eines Straßenverkehrs ohne Tote, könnte auf Basis amtlicher Unfallstatistiken umfangreiche Datenanalysen und -bereitstellungen nutzen, um identifizierte Gefahrenstellen umzubauen oder neu zu beschildern.

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