Citizen Science: Eine Checkliste mit Erfolgsfaktoren für die Einbindung von Bürger:innen in Forschungsprojekte

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Mariel Sousa

Citizen Science: Eine Checkliste mit Erfolgsfaktoren für die Einbindung von Bürger:innen in Forschungsprojekte

Engagierte Bürger:innen mit Begeisterung für die Wissenschaft helfen Forschungsprojekten und -initiativen dabei, Forschungsfragen zu formulieren, Wissen und Daten zu generieren oder Anwendungen zu testen: Sogenannte Citizen Scientists in die eigene Forschung einzubinden, bietet unter anderem den Vorteil, Forschungsergebnisse breiter abzusichern.

Die nachfolgende Checkliste erläutert die grundlegenden Ziele des Citizen-Science-Ansatzes und präsentiert elf Faktoren als Orientierung und Einstiegshilfe für Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Mobilitätsbereich.

Einführung in Citizen Science

Citizen Science bezeichnet die „aktive Beteiligung von Bürger:innen in verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses (PDF)“. Als innovative Entwicklung im Bereich Open Science (offene Wissenschaften) bietet der Citizen-Science-Ansatz Vorteile für viele Projekte diverser Forschungsbereiche, die aktiv mit Bürger:innen beziehungsweise „Citizen Scientists“ zusammenarbeiten. Beispielsweise entwickeln Bürger:innen gemeinsam mit dem Forschungsteam Hypothesen und Forschungsfragen, unterstützen das Forschungsdesign, erheben Daten oder regen neue Formate der Wissenschaftskommunikation an. Bekanntere Begriffe in dem Kontext sind Ko-Kreation oder Crowdsourcing, die im weitesten Sinne die interaktive Zusammenarbeit mehrerer Personen oder Gruppen an einem Projekt oder einem Produkt beschreiben.

Open Science bezeichnet eine Bewegung im Bereich der Wissenschaften, die sich dafür einsetzt, dass das wissenschaftliche System und die wissenschaftliche Praxis transparenter agieren. Konkret bedeutet das, dass neben Wissenschaftler:innen auch andere Menschen an der Forschung beteiligt sein und zu wissenschaftlichen Erkenntnissen beitragen können. Der freie Zugang zu Forschungsdaten und Forschungsdesigns sowie die Transparenz von Forschungsprozessen spielen dabei eine wichtige Rolle. Durch Open Science soll unter anderem eine höhere Qualität von Forschungsergebnissen erreicht werden.

Lesetipps zu Open Science:

Citizen Scientists bereichern Forschungsvorhaben, indem sie ...

  • zivilgesellschaftliche Impulse setzen,
  • neues Wissen einbringen und dadurch Wissenschaftler:innen Denkanstöße geben,
  • Diskussionen zu Forschungsthemen und Forschungsmethoden anregen,
  • zeitlich und räumlich verteilte Daten sammeln,
  • innovative Möglichkeiten der Datenerhebung, beispielsweise über Smartphones, testen sowie
  • entwickelte Anwendungen testen und bewerten.
Citizen Science im Bereich Mobilität

Auch im Bereich Mobilität, bei datengetriebenen Innovationsprojekten und im Forschungsprozess lohnt sich die Einbindung von Bürger:innen. Gerade im Mobilitätssektor sind Stadtplaner:innen und Entscheider:innen auf eine gute und verlässliche Datenbasis angewiesen, um längerfristige Infrastrukturprojekte sowie den Bau von Straßen und öffentlichem Nahverkehr gut planen und umsetzen zu können. Auch Mobilitätsunternehmen sind auf eine offene und repräsentative Datenbasis angewiesen, wenn sie ihren Kund:innen guten Service in Echtzeit anbieten wollen.

Citizen Scientists können dazu beitragen, Datensätze zu erheben oder zu vervollständigen: Je größer die an der Datenerhebung beteiligte Gruppe an Menschen, desto umfangreicher und diverser kann der Datenbestand werden. Auf diese Weise werden beispielsweise Barrieren an Bushaltestellen abgebaut, der Verkehrsfluss verbessert oder die Infrastruktur für den Radverkehr geplant. Außerdem lohnt es sich, potenzielle Nutzer:innen von Mobilitätsangeboten oder der Infrastruktur aktiv in den Entwicklungsprozess einzubinden: In einem „User-Testing“ kann etwa die Akzeptanz neuer Anwendungen gefördert und das Produkt nutzer:innenzentriert entwickelt werden.

Auch Kommunen und Städte befürworten und unterstützen häufig die Bürger:innenbeteiligung an Forschungsprojekten, da auf diesem Weg Bürger:innen die Chance erhalten, die öffentliche Infrastruktur und Mobilitätsangebote mitzugestalten.

Faktoren für eine erfolgreiche Einbindung von Citizen Scientists in Forschungsprojekte

Wann und wie Bürger:innen in Forschungsprojekte eingebunden werden sollten, welche Faktoren zu einem gelungenen Einsatz von „Citizen Scientists“ beitragen und welche Besonderheiten bei Citizen-Science-Projekten im Bereich Mobilität zu beachten sind, waren Kernfragen unseres mFUND-Online-Workshops „Citizen Science und bürgerschaftliches Engagement zur Unterstützung verbesserter Mobilitätsangebote und Infrastrukturplanung“ am 15. Juni 2021.

Um die Teilnehmenden bestmöglich auf die Zusammenarbeit mit Bürger:innen vorzubereiten, präsentierten Projektmitarbeiter:innen aus drei mFUND-Projekten ihre positiven Erfahrungen mit Citizen Scientists. In den unterschiedlichen Verkehrszweigen – öffentlicher Nahverkehr (Bahn und Bus), Autoverkehr und Radverkehr – profitierten die mFUND-Projekte OPENER next, CITRAM und ECOSense von Datensätzen, die unter anderem Bürger:innen erhoben haben. Lesen Sie auf Emmett auch Porträts dieser Projekte und Hintergrundinformationen zu ihren Citizen-Science-Ansätzen.

Aus diesen Einblicken haben wir eine Übersicht mit Faktoren einer erfolgreichen Vorbereitung, Umsetzung und Nachbereitung von Citizen-Science-Projekten erstellt. Diese Vorlage dient Forschungs- und Entwicklungsprojekten als Orientierung und Einstiegshilfe. Sie soll dazu ermutigen, Bürger:innen aktiv in den Forschungsprozess einzubinden.

Sie können sich diese Checkliste auch als PDF herunterladen (im DIN-A4-Format).

Haben Sie in Ihrem Forschungsprojekt mit Bürger:innen zusammengearbeitet?
Oder planen Sie einen Citizen-Science-Ansatz für Ihr Projekt?
Wir freuen uns darauf, von Ihren Erfahrungen und Plänen zu hören und uns mit Ihnen auszutauschen!
Schreiben Sie uns eine E-Mail an momo@irights-lab.de.

Was ist bei der Zusammenarbeit mit Bürger:innen zu bedenken?

Die Einbindung von Citizen Scientists in das eigene Forschungsprojekt kann sich lohnen. Es kann eine produktive Kooperation entstehen, die beiden Seiten nutzt, Freude bereitet und gute Ergebnisse produziert.

Aus den Erfahrungen der Good-Practice-Beispiele haben wir gelernt, dass eine gründliche Vorbereitung und Planung übermäßigem Ressourcen- und Zeitaufwand vorbeugt und Forschungsergebisse verbessert.

Dafür sollten Sie sich zunächst fragen, ob eine Zusammenarbeit mit Bürger:innen für Ihr Forschungsprojekt lohnend ist. Hierfür ist es wichtig, einen genauen Blick auf das Projektdesign zu werfen und die Zielsetzung der Forschung genau zu definieren. Passt ein Citizen-Science-Ansatz zu dem, was Sie erreichen möchten? Ist in dem Forschungsdesign Raum dafür vorgesehen, Bürger:innen zu akquirieren, mit ihnen ins Gespräch zu kommen oder ihnen eine Methode zur Datenerhebung zu erklären? Wenn Sie diese Fragen mit „Ja“ beantworten können, sind Sie Ihrem Citizen-Science-Projekt einen Schritt näher gekommen.

Zusammenfassung: Mit Bürger:innen zusammenzuarbeiten lohnt sich, wenn ...

  • zivilgesellschaftliche Impulse für das Forschungsprojekt benötigt werden,
  • das Forschungsprojekt eine breite Zielgruppe betrifft,
  • Projekte oder Anwendungen für Bürger:innen entwickelt werden und die Akzeptanz von Bürger:innen für die Umsetzung des Projekts ausschlaggebend ist,
  • der Datenbestand aus möglichst vielen verschiedenen Quellen stammen soll,
  • eine große Datenmenge erforderlich ist,
  • Daten benötigt werden, die nicht mit herkömmlichen Methoden erhoben werden können,
  • eine subjektive Einschätzung oder Beurteilung von Vorteil sind.
Checkliste: Elf Faktoren zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Citizen-Science-Projekten im Bereich Mobilität

1. Vorbereitung – Diese Faktoren sollten Sie bedenken:

  • Erwartungen definieren: Überlegen Sie sich innerhalb Ihres Projektteams, welche Erwartungen Sie an die Zusammenarbeit mit Bürger:innen stellen. Wo sollen diese eingebunden werden, wie viel Unterstützung wird benötigt und welche Aufgaben sollen sie genau übernehmen? Sind diese Erwartungen mit den vorhandenen Projektressourcen realistisch umzusetzen?
  • Gemeinsame Vision formulieren: Warum sollten sich Citizen Scientists an Ihrem Vorhaben beteiligen? Woran arbeiten sie mit? Welche Vision haben Sie? Wie wird der Beitrag der Citizen Scientists in Ihrem Projekt verwertet? Je genauer Sie Ihre Zielsetzung und angestrebte Wirkung formulieren, desto eher lassen sich Bürger:innen für diese gemeinsame Sache motivieren, zum Beispiel, die Vision einer fahrradfreundlichen, nachhaltigen Stadt durch mehr Daten über den Radverkehr voranzutreiben.
  • Erwartungen, Ziele und Vision den Citizen Scientists mitteilen: Entwickeln Sie eine Strategie, um Bürger:innen von Ihrer Vision zu berichten und zum Mitmachen aufzurufen. Dabei ist es wichtig, eine präzise Sprache und den richtigen Kommunikationskanal zu finden. Wer genau soll sich angesprochen fühlen? Wann und wie viele Bürger:innen sollen sich beteiligen? Wie können Bürger:innen teilnehmen? Nennen Sie den Bürger:innen transparent Ihre Erwartungen, die Ziele der Zusammenarbeit sowie Ihre Vision, was Sie mit Ihrem Projekt erreichen wollen.
  • Teilnahmeprozess festlegen: Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit mit den Bürger:innen vor? Wie kommunizieren sie mit den Bürger:innen im Laufe des Projekts? Wie können Bürger:innen mit Ihnen in Kontakt treten oder Ihnen Ergebnisse mitteilen? Für Bürger:innen sollte es so einfach wie möglich sein, sich als Citizen Scientist in Ihrem Forschungsprojekt zu engagieren. Definieren Sie ein Testsetting, um vorab die Prozessschritte durchzugehen und das Material oder die Technik zu prüfen, mit denen Bürger:innen arbeiten sollen. Somit können Sie Fehler oder Unstimmigkeiten im Prozess frühzeitig erkennen. Ergänzend müssen Sie klären, ob das Material einfach und verständlich zu benutzen ist.
  • Anforderungen an Datenverarbeitung/ Datenschutz definieren: In der Zusammenarbeit mit Bürger:innen ist es wichtig, Bestimmungen zur Datenverarbeitung und zum Datenschutz festzulegen. Möchten Sie nach dem Projekt beispielsweise für eine Umfrage Kontakt zu den Bürger:innen aufnehmen können, Fotos von Bürger:innen im Projekt veröffentlichen oder Ergebnisse mit Bürger:innen teilen? Dann sollten Sie vorab ein Datenschutzkonzept ausarbeiten, das Ihre Ansprüche an die Zusammenarbeit mit Bürger:innen und an der Datenverarbeitung berücksichtigt, und notwendige Einwilligungen von beteiligten Bürger:innen einholen.

2. Durchführung

  • Citizen Scientists anwerben und auf das Projekt aufmerksam machen: Citizen-Science-Projekte profitieren besonders von einem starken Netzwerk und der Unterstützung von Kommunen, Städten und Bürger:inneninitiativen. Es ist daher wichtig, dass Sie auf Ihr Projekt aufmerksam machen: Dies können Sie beispielsweise über eine Webseite, Social-Media-Kanäle und über Lokalmedien (Zeitung, Radio, TV) tun oder indem Sie thematisch passende Multiplikator:innen persönlich über Ihr Projekt informieren (Vereine, Bürgerinitiativen, Ehrenamtliche).
  • Das notwendige Material bereitstellen: Stellen Sie sicher, dass Ihren Citizen Scientists das benötigte Material zur Verfügung steht und Sie die notwendigen Genehmigungen oder Zustimmungen eingeholt haben. Haben Sie Ihr Datenschutzkonzept mit den Citizen Scientists geteilt und es Ihnen gegebenenfalls erklärt? Haben die Citizen Scientists Ihren Nutzungsrechten zugestimmt?
  • Regelmäßig mit Citizen Scientists austauschen und eine Community aufbauen: Im Verlauf des Projekts sollten Sie regelmäßig mit den Citizen Scientists Kontakt aufnehmen und Möglichkeiten zum Austausch schaffen. Dafür können Sie beispielsweise analoge oder digitale Veranstaltungen planen, in denen die Bürger:innen Feedback geben oder Sie Zwischenergebnisse präsentieren können. Zusätzlich ist es wichtig, dass Sie den Citizen Scientists eine Ansprechperson nennen, die sie niederschwellig erreichen können, am besten per E-Mail oder Telefon.
  • Die Zwischenergebnisse prüfen: Sind Sie mit der Zusammenarbeit zufrieden? Entsprechen die Zwischenergebnisse Ihren Erwartungen? Kommen Sie mit den Ergebnissen Ihren Zielen und Ihrer Vision näher? Prüfen Sie zwischendurch die Qualität der Ergebnisse. Sollten sie nicht Ihren Erwartungen entsprechen, können auf Basis dieser Zwischenevaluationen Anpassungen erfolgen.

3. Nachbereitung

  • Die Zusammenarbeit mit Citizen Scientists evaluieren: Wie hat die Zusammenarbeit mit Citizen Scientists für Sie funktioniert? Sind Sie zu den von Ihnen erwarteten Ergebnissen gekommen? In einer teaminternen Umfrage oder Manöverkritik können Sie sich von Ihrem Team Feedback einholen. Wenn möglich sollten Sie eine Feedbackumfrage an die Citizen Scientists senden, um zu erfahren, wie zufrieden sie mit dem Prozess der Zusammenarbeit waren und an welchen Stellen Sie den Prozess verbessern sollten. Auch sollten Sie die Frage stellen, ob die Citizen Scientists erneut an einem Ihrer Forschungsprojekte teilnehmen würden.
  • Die Community aufrechterhalten und Ergebnisse kommunizieren: Zwischen der Zusammenarbeit mit Bürger:innen und der Verwertung Ihrer Ergebnisse kann viel Zeit vergehen. Es ist daher wichtig, dass Sie nicht vergessen, Ihre Ergebnisse den Citizen Scientists vorzustellen. Ein ausschlaggebender Grund ihrer Beteiligung waren gemeinsame Ziele, die Sie anfangs formuliert haben, und eine geteilte Vision. Teilen Sie den Citizen Scientists mit, inwiefern Sie auf die Umsetzung Ihrer Vision hinwirken konnten und wie es mit den Ergebnissen oder mit Ihrem Projekt weitergeht.
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