Fotos: Clara Immenhausen, Celina Löschau, Laura Volgger, Mimi Vollgraf; Montage: Emmett

Split Screen, der drei Bilder zeigt: eine Frau, die ein Smartphone in Richtung ihres Ohres hält, einen Mann mit Sonnebrille im Rollstuhl, der von einem Assistenten geschoben wird, und eine Frau im Profil, die auf ein Smartphone blickt

Daten sei Dank: So kommt eine Person mit Sehbehinderung besser von A nach B

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Zuletzt bearbeitet am

Lukas Bergheim

Daten sei Dank: So kommt eine Person mit Sehbehinderung besser von A nach B

Sie kommen ständig zum Stehen: vor Stufen, defekten Aufzügen, wenn Rampen, Leitsysteme oder Orientierungshilfen fehlen. Wege dauern für Menschen mit Behinderung länger, müssen geplant und können allzu oft nicht allein bewältigt werden. Drei Menschen erzählen, mit welchen digitalen Hilfsmitteln sie dennoch gut vorankommen – und wo sie weiterhin Stillstand erleben. Im zweiten Teil: Bedia Kunz, die eine Sehbehinderung hat.

Unabhängigkeit klingt nach Geschichtsunterricht oder Nachrichten aus fernen Ländern. Für viele Menschen ist es jedoch ein alltägliches Thema. Zum Beispiel dort, wo Gesetze und Bekenntnisse zur Barrierefreiheit versagen, sind Menschen mit Behinderung von anderen abhängig – auch in Deutschland. Sie müssen um Hilfe bitten, wenn sie nur wie alle anderen von A nach B wollen.

„Die Vertragsstaaten treffen wirksame Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen“, heißt es in Artikel 20 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (PDF), die in Deutschland seit 2009 gilt. Immerhin: Seitdem hat sich viel getan, auch dank der Digitalisierung.

Emmett hat drei Menschen aus Berlin gefragt, welche digitalen Hilfsmittel sie nutzen, um ihre Alltagswege zu gestalten. Sie erklärten auch, dass von Barrierefreiheit nur selten die Rede sein kann.

  1. Marcel Wolf nutzt Broken Lifts, um nicht von defekten Aufzügen aufgehalten zu werden
  2. Bedia Kunz nutzt Lazarillo, NotNav und die BVG Fahrinfo, um nicht ständig Menschen nach dem Weg fragen zu müssen
  3. Wilhelmine Lenz nutzt Wheelmap, um nicht vor Treppenstufen Halt machen zu müssen (bald online)
Eine Frau steht an einer Bushaltestelle und hört konzentriert der Sprachausgabe ihres Smartphones zu

Fotos: Clara Immenhausen, Celina Löschau, Laura Volgger

Bedia Kunz nutzt Lazarillo, NotNav und die BVG Fahrinfo, um nicht ständig Menschen nach dem Weg fragen zu müssen

„Eigentlich ist Lazarillo eine Navigations-App, die von allen bedient werden kann. Sie greift auf Google Maps zu. Ich ziehe Lazarillo vor, weil die App kleiner und übersichtlicher ist. Da kriegst du nur die Fußgängerroute, die ganzen Alternativen, die Reisezeiten und so weiter werden dir da nicht angezeigt.

Du kannst dir eine Routenvorschau angucken. Liegt das Ziel auf der linken Straßenseite oder auf der rechten? Das kann ich da vorher sehen und entsprechend die Straßenseite bei der nächstmöglichen Ampel wechseln, sodass es am Ende nicht heißt: ‚Das Ziel befindet sich auf der linken – nämlich der anderen – Seite.‘“

Nahaufnahme: Eine Hand hält ein Smartphone mit geöffneter Navigations-App

Fotos: Clara Immenhausen, Celina Löschau, Laura Volgger

„Die App NotNav sagt mir an, vor welcher Hausnummer ich stehe. Ein kleiner Nachteil ist, dass du nicht gleich erfährst, ob die sich auf deiner oder der anderen Straßenseite befindet. Deshalb benutze ich sie seltener, eigentlich nur in Verbindung mit Lazarillo.

Lazarillo würde mir auch den Weg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sagen, ich greife da aber lieber auf die BVG Fahrinfo (Anmerkung der Redaktion: eine App der Berliner Verkehrsbetriebe) zurück, weil ich in Echtzeit sehen kann, wann welcher Bus fährt, ob mit Verfrühung oder Verspätung. Ich kann mir auch den Streckenverlauf angucken.

Die Navigation ist dort leider noch nicht so barrierefrei, da müssen sie noch ein bisschen dran arbeiten. Als ich das mal ausprobiert habe, wurde mir eine Route in etwa so vorgeschlagen: ‚Laufen Sie 50 Meter geradeaus, dann links 200 Meter …‘ Es fehlten die Straßennamen, das war schlecht beschriftet.

Ich war in puncto Smartphone ein ziemlicher Spätzünder und habe erst 2016 damit angefangen. Davor habe ich mir auf der Internetseite der BVG die Strecke rausgesucht und von da an war ich darauf angewiesen, mich durchzufragen. Dummerweise sind Menschen oftmals nicht so zuverlässig wie Maschinen. Es kam oft vor, dass mir Menschen helfen wollten, den Weg aber selbst nicht kannten, und mich dann in die vermeintlich richtige Richtung geschickt haben. Das war dann manchmal völlig verkehrt. Statt einfach zu sagen: ‚Ich weiß es auch nicht.‘

Die Apps haben mir vor allem Unabhängigkeit gegeben. Wenn du mal wo hinwolltest, wo nicht so viele Menschen unterwegs waren, zu einem Baumarkt im Gewerbegebiet zum Beispiel: Da musstest du manchmal Minuten warten, bis du wen gefunden hast, den du fragen konntest. Oder nachts, da sind ja auch nicht so viele Menschen unterwegs. Die Zeiten sind zum Glück vorbei.“

Seitliche Aufnahme einer Frau, die ein Smartphone hält und konzentriert zuhört

Fotos: Clara Immenhausen, Celina Löschau, Laura Volgger

Eine Frau auf dem Gehweg, einen Blindenstock (Langstock) in der einen, ein Smartphone in der anderen Hand

Fotos: Clara Immenhausen, Celina Löschau, Laura Volgger

„An Bushaltestellen, an denen mehrere Linien fahren, ist es immer noch schwierig. Da wäre es wichtig zu wissen, welcher Bus denn da kommt. Es gab mal ein Pilotprojekt der BVG, da wurde es einem angesagt – aber das war der BVG dann auf Dauer offenbar zu teuer. Ich muss also leider immer den Fahrer fragen, welchen Bus er denn fährt.

Anmerkung der Redaktion: Bedia Kunz beschreibt hier das Pilotprojekt „2-Sinne-Prinzip“. Es endete nach einem Jahr, aber nicht wegen der Kosten, sondern weil es sich um einen zeitlich begrenzten Modellversuch handelte. Es ging dabei um die Nutzer*innenakzeptanz, Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit von drei technischen Lösungsansätzen der akustischen Fahrgastinformation. Das Projekt schloss mit der Empfehlung, zwei der Ansätze weiterzuverfolgen: das „sprechende Fahrzeug“ und das „sprechende Smartphone“, eine sprachgesteuerte App. Tatsächlich sind in Berlin aktuell weder Fahrzeuge noch Haltestellen mit akustischen Systemen für sehbehinderte und blinde Menschen ausgestattet. Auf eine Anfrage von Emmett teilte die BVG mit, an einer „möglichst zügigen Umsetzung“ der genannten Handlungsempfehlung zu arbeiten. Im Jahr 2025 sollen die ersten neuen „sprechenden Fahrzeuge“ und die App in Betrieb sein, die entsprechende Ausschreibung werde derzeit vorbereitet. Bis 2035 sollen auch alle Bestandsfahrzeuge nachgerüstet werden. Das Ziel der vollständigen Barrierefreiheit sei für die BVG eine Herzensangelegenheit, die Herausforderungen seien in einem „komplexen, sehr großen und in Teilbereichen der Infrastruktur sehr alten Verkehrssystem dabei enorm“.

„Züge sind für mich auch noch eine problematische Geschichte, beispielsweise, die Türen zu finden. Außerdem ist die Lücke zwischen Tür und Bahnsteig recht groß. Wenn du wirklich als Blinder allein Zug fahren willst, bist du eigentlich ganz gut dran, dir irgendwie helfen zu lassen. Entweder bräuchte es mehr Bahnpersonal oder ein akustisches Signal, dass man die Türen besser findet. Das ist alles machbar – man muss es nur wollen.“

Barrierefreiheit im ÖPNV – Ziel verfehlt

Das Ziel war klar: Bis zum 1. Januar 2022 sollte eine „vollständige Barrierefreiheit“ im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erreicht werden, so steht es im Personenbeförderungsgesetz von 2013. Ausnahmen mussten begründet werden.

Noch immer sind viele ÖPNV-Netze gespickt mit Barrieren, die es mobilitäts- oder seheingeschränkten Menschen erschweren, sich gleichberechtigt fortzubewegen.

Im Koalitionsvertrag heißt es zu dem Thema: „Wir werden die Ausnahmemöglichkeiten des Personenbeförderungsgesetzes (ÖPNV) bis 2026 gänzlich abschaffen.“

Eine Frau auf einem Platz stößt mit ihrem Blindenstock an einem achtlos abgestellten E-Scooter an

Fotos: Clara Immenhausen, Celina Löschau, Laura Volgger

„Ich mache mir also Technik zunutze, um Barrieren abzubauen, aber es gibt wahrlich noch jede Menge davon – selbst auf den Bürgersteigen. Ich habe mich neulich verletzt, als ich über einen E-Scooter gestolpert und mit dem Gesicht auf die Lenkstange gefallen bin. Auch wenn der Berliner Senat nun Regeln aufgestellt hat, die das verhindern sollen, vermute ich einen Papiertiger. Wer sollte das alles kontrollieren? Von Sanktionen bei Verstößen habe ich jedenfalls noch nichts gehört. Die schöne neue Welt der Mobilität ist also echt nicht für alle da.“

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