Rund 2,7 Millionen ÖPNV-Tickets hat die Deutsche Bahn laut eigener Angabe binnen einer Woche verkauft – der öffentliche Nahverkehr ist plötzlich gefragt wie nie. Das 9-Euro-Ticket ermöglicht es, unkompliziert und günstig zu reisen. Doch so günstig wird es wohl kaum bleiben – und so simpel leider auch nicht. Ein Lichtblick: Das mFUND-Projekt oTick arbeitet an einer universellen Datenschnittstelle, mit der auch Dritte Fahrten anzeigen und Tickets anbieten können.
Der ÖPNV ist in Deutschland regional unterschiedlich organisiert. Wer in verschiedenen Verbundgebieten unterwegs ist, braucht meist mehrere Tickets und muss diese in der Regel einzeln kaufen – in den Apps oder auf den Webseiten der verschiedenen Verkehrsverbünde, vor Ort am Automaten oder am Schalter.
Das 9-Euro-Ticket gibt Fahrgästen in diesem Sommer eine Idee davon, wie es wäre, nur ein einziges Ticket zu benötigen. Es ist Teil eines Entlastungspakets, das der Bundestag wegen der hohen Energiepreise beschlossen hat: In den Monaten Juni, Juli und August können Nutzer:innen für neun Euro eine Monatskarte erwerben, die im ganzen Land zur Fahrt mit dem ÖPNV berechtigt. Viele gute Geschichten, die Menschen einmal von diesem Sommer erzählen werden, könnten in Bus und Bahn spielen.
Ab September kehrt dann erst einmal wieder der Alltag ein. ÖPNV-Nutzer:innen dürften dann nicht nur dem unschlagbaren Preis hinterhertrauern, sondern auch dem einheitlichen Tarifsystem oder zumindest dem One-Stop-Ticketing, das es so in Deutschland noch immer nur in Ansätzen gibt und auch in anderen EU-Staaten nur vereinzelt praktiziert wird (siehe Infobox unten).
Die Idee von One-Stop-Lösungen ist allerdings so präsent wie nie. Wie es schließlich auch kommt: Es werden offene Daten, offene Schnittstellen und einheitliche Dateiformate benötigt. Damit könnte der unkomplizierte ÖPNV mehr als ein weiteres deutsches Sommermärchen werden.
Die Mitarbeitenden des mFUND-Projekts oTick – Open Ticketing Interface wollen den Ticketkauf vereinfachen und dadurch die Attraktivität des ÖPNV steigern, etwa durch eine Plattform, die verschiedene Angebote bündelt. Außerdem würden sie den ÖPNV bei der Reiseplanung gern präsenter machen, beispielsweise dadurch, dass das Ticket für den Dorfbus oder die Regionalbahn direkt auf der Webseite der gemieteten Ferienwohnung erworben werden kann.
Was für solche und viele weitere denkbare Services notwendig ist, prüft das Team nun in einer Machbarkeitsstudie. Daran anschließend will es eine universelle technische Schnittstelle für Drittanbieter:innen konzipieren. Während des besonderen ÖPNV-Sommers 2022 nimmt oTick den digitalen Ticketkauf in Deutschland unter die Lupe und befragt die Vertreter:innen von 25 Verkehrsbetrieben und -verbünden sowie weitere Stakeholder:innen.
Das BMDV fördert die Idee bis September 2022 mit rund 97.000 Euro. Die Firma Vesputi aus Leipzig ist verantwortlich für die Umsetzung, Unterstützung kommt von HOLM aus Frankfurt, den Stadtwerken Halle und DELFI e.V.
„One-Stop-Ticketing“ in Deutschland – und die Pläne der EU
One-Stop-Ticketing – mit einem einzigen Dienst mehrere ÖPNV-Tickets buchen, über Verkehrsverbundsgrenzen hinweg – gibt es in Deutschland noch immer nur in Ansätzen. Die App „Handyticket“ beispielsweise deckt nur einen Bruchteil der Bundesländer ab (zudem bewerten Nutzer:innen sie in den App-Stores von Apple und Google überwiegend negativ). Mit „Mobility Inside“ möchte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) nicht nur die zentrale App für Fahrpläne, Tarifauskünfte und Ticketverkäufe erschaffen, sondern auch Bike- und Carsharing integrieren. Doch dass der Aufbau solcher Mobility-as-a-service-Angebote (MaaS) sehr schwer ist, mussten in Deutschland schon viele feststellen.
Die Verkehrsunternehmen müssten sich öffnen und ihre Daten teilen. Die meisten sehen dadurch jedoch ihre wirtschaftlichen Interessen gefährdet. So ist es kaum verwunderlich, dass bei „Mobility Inside“ bisher nur vier von ihnen mitmachen – und viele gar nicht erst mitmachen wollen. („Mobility Inside“ steckt übrigens auch hinter der „9-Euro-Ticket“-App, die die Deutsche Bahn anbietet.)
Derweil hat die EU-Kommission angekündigt, Anfang 2023 einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, der die ÖPNV-Betreiber:innen dazu verpflichten könnte, ihren Vertrieb zu öffnen. So sollen Mobilitätsplattformen entstehen, die das Planen, Buchen und Bezahlen von Tickets über Verkehrsverbünde und sogar Ländergrenzen hinweg ermöglichen. Der VDV hat den Vorschlag zurückgewiesen. Er fürchtet unter anderem, dass die Verkehrsbetriebe ihren Zugang zu den Kund:innen verlieren könnten.
In den vergangenen Wochen sind außerdem zwei Projekte gestartet, die die Fahrradinfrastruktur verbessern wollen:
- FLEBEFA – Entwicklung eines fledermausfreundlichen adaptiven Beleuchtungskonzepts für Fahrradwege: Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung untersucht in Berlin, ob das Leben von Fledermäusen an einem beleuchteten Fahrradweg weniger beeinträchtigt wird, wenn das Licht je nach Bedarf an- und ausgeschaltet wird.
- OSM-RVP – Kommunale Radverkehrsplanung und Instandhaltung aus OpenStreetMap-Daten ermöglichen: Eine Beispiel-Kommune erprobt den direkten Austausch mit der Geodaten-Community, um mit Informationen aus OpenStreetMap ihre Fahrradwege zu verbessern.
mFUND-Fachaustausch Schienenverkehr: Am 2. Juni 2022 tauschen sich Expert:innen zu ihrer Arbeit an Innovationen für die Überwachung, Instandhaltung und Wartung von Schienen aus. Weitere Informationen und den Link zur Anmeldung finden Sie hier.
Projektabschluss mCLIENT: Das mFUND-Projekt mCLIENT hat seine Analyse zur aktuellen Lage der Open-Data-Portale abgeschlossen. Zudem entstand eine neue Anwendung, die die Datenbereitstellung vereinfacht. Weitere Informationen (unter anderem einen Studienbericht und Softwarecode) finden Sie hier.