Beim ersten WDM-Coffee-Talk rückten diverse Mobilitätsbedürfnisse in den Fokus.
Bisher dominiert das Bild eines männlichen Berufspendlers ohne Mobilitätseinschränkungen die Planung von Verkehrsangeboten. Der erste Coffee-Talk des Netzwerks Women for Datadriven Mobility (WDM) drehte sich um davon abweichende Mobilitätsbedürfnisse und die Frage, wie diese besser in der Verkehrsplanung berücksichtigt werden können. Welche Rolle können diversere Entwicklungs- und Planungsteams spielen? Wie beeinflusst die weibliche Perspektive eine inklusive Gestaltung unserer Mobilität? Lassen sich Mobilitätsbedürfnisse überhaupt in Zielgruppen zusammenfassen? Bei dem digitalen Netzwerkevent für Frauen aus dem mFUND sprachen zwei Expertinnen aus der Verkehrsplanung über ihre Arbeit.
Differenziertere Daten für ein besseres Verständnis
Dr. Conny Louen vom Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen betrachtete in ihrem Impulsvortrag die Gestaltung und Entwicklung von Mobilitätsangeboten, die sich gezielt an den Bedürfnissen verschiedener Nutzer*innengruppen ausrichtet. Sie stellte die Frage, inwieweit diese Bedürfnisse besser berücksichtigt werden können. Bisher werde in der Planung insbesondere mit durchschnittlichen Verhaltensweisen gearbeitet. Um die vielschichtigen Anforderungen von Menschen an das Verkehrssystem abzubilden, müssen die individuellen Rahmenbedingungen in der Bevölkerung noch stärker differenziert werden. Für Louen ist klar: „Je mehr wir individuelle Bedürfnisse verstehen, desto besser können wir Verkehrsplanung danach ausrichten.“ Dafür brauche es vor allem eines: differenziertere Daten.
Dass Daten eine entscheidende Rolle spielen, wurde auch im zweiten Impulsvortrag deutlich. Dr. Antje-Mareike Dietrich ist Expertin für Nachfrageerfassung im ÖPNV bei der WVI Prof. Dr. Wermuth Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH. Sie gab einen Einblick in die Praxis der Verkehrsplanung und das mFUND-Projekt Mobile Data Fusion. Ziel des Projekts war, mit einer besseren Datengrundlage eine kund*innenorientierte Angebotsplanung im ÖPNV zu ermöglichen. Dafür wurden unter anderem Daten über Smartphone-Standorte verwendet, um klassische Befragungen zu ersetzen. In diesem Zusammenhang befasste Dietrich sich unter anderem mit unterschiedlichen Personengruppen und typischen Personas. Mit dem Verfahren kann das Mobilitätsverhalten aller Verkehrsteilnehmenden aufgezeichnet und auf diese Weise das Verhalten ganz unterschiedlicher Zielgruppen gemessen werden.
In der anschließenden Gruppendiskussion berichteten andere Teilnehmende von ihren Erfahrungen und diskutierten beispielsweise, wie Wegeketten in Verkehrserhebungen besser berücksichtigt werden können (Wegeketten sind ein typisch weibliches Bewegungsmuster, das damit zusammenhängt, dass meist Frauen die Care-Arbeit leisten, also etwa auf dem Weg zur Arbeit noch ein Kind in die Kita bringen. Mehr dazu erfahren Sie im Podcast Emmett in Transit über die Gender Data Gap). In der Langzeit-Verkehrserhebung Mobilität in Deutschland gibt es auch Datensätze, die nach Etappen aufgeteilt sind und komplexere Wegeketten beschreiben können. Diese Datensätze werden laut den Teilnehmenden noch zu wenig genutzt. Sie können beim DLR angefragt werden.
Auch stellte sich die Frage, welche Rolle die zunehmende Individualisierung von Lebensstilen in der Verkehrsplanung spielt. Dr. Conny Louen stellte fest, dass es nicht entscheidend sei, von wie vielen Personengruppen man das Mobilitätsverhalten beobachte. Vielmehr müssen weitere Bedürfnisse untersucht werden, die bisher unentdeckt blieben. Nur dann könnten diese auch in der Verkehrsplanung berücksichtigt werden. Die Digitalisierung biete viele Möglichkeiten, verschiedenen Personengruppen flexiblere Mobilitätsoptionen anzubieten, ohne dass es auf Kosten anderer Gruppen gehe. Dr. Antje-Mareike Dietrich pflichtete ihr bei und betonte, dass neue Planungstools benötigt würden, um die individuellen Bedürfnisse besser abzubilden, zum Beispiel im Bereich der Tarifentwicklung. Im Planungsalltag würde sie auch mit Personas arbeiten, die verschiedene Bedürfnisse abdecken. Darüber hinaus sei es wichtig, das Thema der gendergerechten Verkehrsplanung weiter zu diskutieren, um eine möglichst nutzer*innenzentrierte Verkehrsplanung zu ermöglichen.
Die WDM-Coffee-Talks sind ein Veranstaltungsformat der mFUND-Begleitforschung Move Mobility. Es soll Mitarbeiterinnen aus mFUND-Projekten die Möglichkeit geben, weitere Expertinnen aus der Forschungsinitiative des BMDV kennenzulernen und sich untereinander zu vernetzen. Das nächste Treffen findet am 09. Mai 2023 statt – seien Sie dabei! Hier geht’s zur Anmeldung.