Foto: Christoph Löffler

Luetzi bleibt 22 11122022 christoph loeffler 9

Nach den Baggern: Digitale Mobilitätslösungen für den Strukturwandel in den Braunkohleregionen

in die Zwischenablage kopiert

Zuletzt bearbeitet am

Kirsten Lange

Nach den Baggern: Digitale Mobilitätslösungen für den Strukturwandel in den Braunkohleregionen

2020 beschloss der Bund den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038. Zehntausende Arbeitsplätze in der bisherigen Schlüsselindustrie werden wegfallen. Der Staat will dafür sorgen, dass in anderen Wirtschaftszweigen mindestens genauso viele neue Jobs entstehen. Dieser Strukturwandel soll zudem klimafreundlich und ökologisch nachhaltig erfolgen. Dabei spielen digitale Mobilitätslösungen eine wichtige Rolle.

Im Mitteldeutschen Revier und im Lausitzer Revier geht spätestens 2038 das letzte Braunkohlekraftwerk vom Netz – im Rheinischen Revier wurde der Kohleausstieg auf das Jahr 2030 vorgezogen. Knapp 20.000 Menschen sind in den Revieren direkt in der Braunkohle-Industrie beschäftigt: etwa 9.000 Menschen im Rheinischen Revier, circa 8.000 im Lausitzer Revier und um die 3.000 im Mitteldeutschen Revier. Hinzu kommen zehntausende Arbeitsplätze in Service- und Zuliefererbetrieben, die indirekt von der Braunkohle-Industrie abhängen. Allein im Lausitzer Revier wird diese Zahl auf 16.000 geschätzt.

Durch den Kohleausstieg werden also viele zehntausend Arbeitsplätze in der bisherigen Schlüsselindustrie in den Revieren wegfallen. Der Staat will dafür sorgen, dass in anderen, zukunftssicheren Wirtschaftszweigen mindestens genauso viele Jobs entstehen.

[Der „Trendradar der Mobilität #5 – Strukturwandel Braunkohleregionen“ ist auch als PDF-Fassung erhältlich. Laden Sie sich die Datei hier herunter.]

Chance, nach dem Kohleausstieg besser dazustehen

Die Bundesregierung setzte 2018 die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (kurz: Kohlekommission) ein, die mit Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften sowie der betroffenen Länder und Regionen besetzt war. Ziel war es, Einigkeit herzustellen über die Gestaltung des Kohleausstiegs. In ihrem Abschlussbericht (PDF) zeigte die Kommission 2019 auf, wie der wirtschaftliche Strukturwandel in den Regionen gelingen kann. Das Ziel, so die Kommission: Der Wegfall der Arbeitsplätze solle nicht nur kompensiert werden, vielmehr sollten die Kohleregionen die Chance erhalten, nach dem Kohleausstieg besser dazustehen als zuvor.

Die strukturpolitischen Empfehlungen der Kohlekommission setzte der Bund in Gesetzen um. Um den Strukturwandel erfolgreich zu vollziehen, erhalten die Braunkohlereviere in den kommenden 20 Jahren 40 Milliarden Euro Strukturhilfe. Dies hat der Bund im Sommer 2020 im sogenannten Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG) festgelegt.

Eine Studie zu den Arbeitsplatz- und Wertschöpfungseffekten der Strukturförderung im Rheinischen Revier zeigt: Mit den von Bund und Land zur Verfügung gestellten Strukturfördermitteln könnten im Revier 27.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Damit würden die wegfallenden Jobs, die direkt und indirekt von der Kohleförderung abhängen, mindestens kompensiert.

In den Revieren sollen Forschungsinstitute und Gründerzentren entstehen, beispielsweise verschiedene Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft und des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR). Geplant sind außerdem Hochschul-Erweiterungen, etwa ein neuer Standort der Technischen Hochschule Köln im Rheinischen Revier, der Campus Rhein-Erft. Außerdem sollen sich Unternehmen in den Regionen neu ansiedeln. Dafür investiert der Bund unter anderem in Infrastruktur, in Straßen und Schienenwege.

Grafik. In einer Deutschlandkarte sind vier Regionen markiert, in denen Braunkohle abgebaut wurde oder wird
Grafik. Eine Karte zeigt das Rheinische Braunkohlerevier, aufgeteilt in mehrere Regionen, die farbig unterschiedlich ausgemalt sind, entsprechend der Zahl der Einwohnerinnen pro Quadratkilometer
Mehrere kleine Grafiken plus Text. Sie informieren über demographische Daten zum Rheinischen Braunkohlerevier, auch zum Anteil des öffentlichen Verkehrs an den Verkehrswegen in dem Gebiet
Grafik. Eine Karte zeigt das Lausitzer Braunkohlerevier, aufgeteilt in mehrere Regionen, die farbig unterschiedlich ausgemalt sind, entsprechend der Zahl der Einwohnerinnen pro Quadratkilometer
Mehrere kleine Grafiken plus Text. Sie informieren über demographische Daten zum Lausitzer Braunkohlerevier, auch zum Anteil des öffentlichen Verkehrs an den Verkehrswegen in dem Gebiet
Grafik. Eine Karte zeigt das Mitteldeutsche Braunkohlerevier, aufgeteilt in mehrere Regionen, die farbig unterschiedlich ausgemalt sind, entsprechend der Zahl der Einwohnerinnen pro Quadratkilometer
Mehrere kleine Grafiken plus Text. Sie informieren über demographische Daten zum Mitteldeutschen Braunkohlerevier, auch zum Anteil des öffentlichen Verkehrs an den Verkehrswegen in dem Gebiet
Vorbildregionen für ganz Deutschland

Ein weiteres Ziel der Förderung ist, dass der Strukturwandel klimafreundlich und ökologisch nachhaltig erfolgt. Für diese Zielsetzung, mehr für den Klimaschutz zu tun, spielt Mobilität eine bedeutende Rolle: In den vergangenen Jahren war der Verkehrssektor für ein Fünftel der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich, heißt es im Klimaschutzbericht 2022 der Bundesregierung (PDF). Daher müssen sich Maßnahmen bezüglich Verkehrsinfrastruktur und Mobilität nachdrücklich an den von der Bundesregierung und der EU beschlossenen Zielen, die CO2-Emissionen zu verringern und Klimaneutralität zu erreichen, orientieren.

Das Klimaschutzziel der Bundesregierung

Im Juni 2021 beschloss der Bundestag ein neues Klimaschutzgesetz: Bis zum Jahr 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 65 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 sinken. Bis 2040 müssen die Treibhausgasemissionen um 88 Prozent verringert werden, bis 2045 muss Deutschland Treibhausgasneutralität erreichen. Der Ausstieg aus der Braunkohleförderung ist dafür ein wichtiger Schritt. Auch klimafreundliche Mobilität spielt eine wichtige Rolle, um dieses Ziel umzusetzen.

Die Braunkohlereviere sind in erster Linie ländlich geprägt, besonders das Lausitzer Revier. Das Bus- und Bahn-Angebot ist vor allem in kleineren Gemeinden schlecht, viele Dörfer sind nur mangelhaft an größere Städte angebunden, die meisten Menschen fahren Auto.

Eine Möglichkeit, Menschen zum Umstieg auf klimafreundlichere Verkehrsmittel zu bewegen, ist, Mobilitätsangebote zu schaffen, mit denen sie flexibel unterwegs sein können. Ein Stichwort lautet dabei Multimodalität – die Kombination der jeweils passendsten Verkehrsmittel auf einer Strecke. So können beispielsweise an einer Bus- oder Bahnhaltestelle in einer Mobilitätsstation Carsharing-Autos oder E-Bikes für die Weiterfahrt zur Verfügung stehen. Weitere Optionen wären, dass die Menschen Mitfahrgelegenheiten, die sich mittels einer App buchen lassen, nutzen, dass sie auf verlässliche Rufbusdienste zugreifen oder in ein automatisiert fahrendes Mini-Shuttle einsteigen können. Solche und ähnliche Mobilitätsangebote für ländliche Räume benötigen digitale Daten.

Die erwähnten Strukturhilfegelder fließen deshalb auch in Projekte, die Mobilität vor Ort mit digitalen Lösungen ermöglichen. Ein Teil des Investitionsgesetzes Kohleregionen ist die mFUND-Förderrichtlinie „Digitalisierung und datenbasierte Innovationen für Mobilität 4.0 und Daseinsvorsorge in den Braunkohlerevieren“ des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) mit mittlerweile drei Förderwellen.

Die Ziele der Fördermittelgeber*innen sind:

  • Die Menschen vor Ort profitieren direkt als Nutzer*innen der Mobilitätsangebote.
  • Die Unternehmen in den Revieren profitieren davon: Den Bau von Mobilitätsstationen, die technische Umsetzung automatisiert fahrender Shuttles sowie viele weitere Aufträge können regionale Unternehmen übernehmen.
  • Die Reviere entwickeln Vorbildcharakter: Lösungen für die Mobilität der Zukunft können dort erprobt und auf andere Gebiete in Deutschland übertragen werden.

mFUND-Förderung geht in die nächste Runde

Gründer*innen, Start-ups, Unternehmen, Vereine, staatliche und nicht staatliche Hochschulen sowie Kommunen, Behörden und Einrichtungen mit Forschungs- und Entwicklungsaufgaben können noch bis Ende März 2023 Projektvorschläge für die dritte Runde im mFUND-Förderangebot „Digitalisierung und datenbasierte Innovationen für Mobilität 4.0 und Daseinsvorsorge in den Braunkohlerevieren“ (PDF) einreichen. Für die dritte Förderrunde des mFUND können sich unter anderem die neun Finalist*innen des 4. Startup Pitches des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) bewerben. In dem Wettbewerb hatte das BMDV Gründer*innen und Jungunternehmer*innen dazu aufgerufen, digitale Lösungen für klimafreundliche Mobilität und Daseinsvorsorge in den Braunkohlerevieren vorzustellen.

Einfachere Tarife für das Fahren mit Bus und Bahn

Um mehr Menschen zum Bus- und Bahnfahren zu motivieren, ist neben einem guten Angebot auch die Angabe zu Fahrtkosten wichtig. Doch sobald die Fahrt aus dem Gebiet eines Verkehrsverbunds hinausführt, ist es kompliziert, den genauen Ticketpreis zu ermitteln. Besonders bei Fahrten mit kleinen, regionalen Unternehmen ist es nicht möglich, zentral ein Ticket zu buchen. Das will das mFUND-Projekt DELTa (Digitalisierung der Braunkohleregionen mit DELFI-Tarif) ändern. Koordiniert vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg wollen ÖPNV-Anbieter*innen, Verkehrsforschungsinstitute und IT-Unternehmen Tarifinformationen im sogenannten DELFI-System vernetzen. DELFI steht für „durchgängige elektronische Fahrgastinformation“. Der Datensatz ermöglicht eine durchgängige digitale Routenplanung, auch in immer mehr kleine Orte in ländlichen Gebieten und über die Grenzen von Verkehrsverbünden hinweg. Bislang fehlen jedoch Informationen über Fahrpreise. Für eine deutschlandweite Fahrpreisauskunft müssen die ÖPNV-Auskunftssysteme der Bundesländer und Fernverkehrsanbieter*innen wie der Deutschen Bahn Tarifdaten austauschen. Die Auskunftssysteme in den drei Braunkohleregionen werden ihre Tarifinformationen ins DELFI-System einspeisen. Das bedeutet, dass Fahrgäste – so eine Zielsetzung des DELTa-Projektteams – für Fahrten in, zwischen und zu den Bundesländern mit Braunkohleregionen künftig durchgehende Fahrpreis-Informationen erhalten. Diese Daten sollen später um Fahrpreise im Fernverkehr und aus weiteren Regionen Deutschlands ergänzt werden.

Gemeinsam zur Haltestelle: mit digital buchbaren Fahrdiensten

Ein Schwerpunkt der genannten Förderung für die ehemaligen Kohleregionen ist die Anbindung kleinerer Orte an die Städte. Wenn eine Stadt aus den Dörfern auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar ist, werden die ländlichen Gemeinden attraktiver, beispielsweise für Pendler*innen – was Zuzug fördern und die Kommunen stärken könnte.

Doch oft ist in ländlichen Gemeinden die sogenannte letzte Meile eine Herausforderung. Gemeint ist damit der Weg von der Bus- oder Bahnhaltestelle bis zur Haustür (und umgekehrt, dann ist es die erste Meile). Das können auch mal fünf Kilometer oder mehr sein. Verschiedene Projekte arbeiten an Mobilitätslösungen, die mithilfe offener digitaler Daten diese letzte Meile überwinden.

Eine Lösung besteht in sogenannten On-Demand-Verkehren, etwa Rufbussen, die zusätzlich zu Linienbussen und -bahnen fahren und somit den ÖPNV ergänzen. Das Pilotprojekt „Kraftraum-Shuttle will einen solchen Fahrdienst auf Anforderung mit automatisiert fahrenden Elektro-Kleinbussen im Rheinischen Revier einrichten. Nutzer*innen sollen das Shuttle telefonisch oder per App anfordern können.

Das Fahrzeug holt die Nutzer*innen an virtuellen Haltestellen oder an individuellen Wunsch-Orten wie zu Hause, am Bahnhof oder am Arbeitsplatz ab und bringt sie an einen frei wählbaren Zielort. Bei virtuellen Haltestellen handelt es sich um fest definierte Standorte, an denen Fahrgäste einsteigen können. Anders als klassische Haltestellen sind sie nicht mit einem Haltestellenschild gekennzeichnet: Ihre Position wird den Nutzer*innen in einer App angezeigt. Auf seiner Route sammelt das Kraftraum-Shuttle möglichst viele andere Fahrgäste ein.

Grafik mit mehreren Bildern. Zu einem Smartphone in der Bildmitte und von dort weg stellen Pfeile und kleine Symbole dar, dass Daten und Information zum Kraftraum-Shuttle von einer App verarbeitet und dargestellt werden

Abbildung: Kraftraum/Rhein-Erft-Kreis

Wie der Shuttle-Bus seine Tour optimal gestaltet, wen er wo auf welcher Strecke abholt, soll mittels Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) berechnet werden. Initiiert hat das Vorhaben „Kraftraum-Shuttle“ die Stadt Bergheim. Sie setzt es zusammen mit dem Verkehrsverbund Rhein-Sieg und der Rhein-Erft-Verkehrsgesellschaft um. Die Shuttles sollen zunächst in Bergheim, Titz und Rommerskirchen fahren. Die „Kraftraum-Shuttle“-Buchungsplattform soll am Ende allen Gemeinden im Rheinischen Revier zur Verfügung stehen – im besten Fall sogar allen Kommunen in NRW. In einem ersten Schritt lassen die Projektpartner*innen in einer Potenzialanalyse für das Rheinische Revier ermitteln, an welchen Orten wie viele Shuttles benötigt werden, um alle Menschen an den ÖPNV anzuschließen.

Ähnlich gehen die Projektpartner*innen im mFUND-Projekt RISE (Ridematching Datascape) vor. Auch RISE will das Bus- und Bahnangebot im Rheinischen Revier um flexible, auf digitalen Daten basierende Mobilitätsangebote ergänzen. In diesem Fall stehen private Mitfahrgelegenheiten, die per App buchbar sind, im Mittelpunkt. Ziel ist, ein übertragbares Datenkonzept – eine Datenlandschaft (Datascape) – zu erstellen, mit dem Mobilitätsanbieter*innen das Potenzial von Mitfahr-Apps für ihre Region ermitteln und Angebote entwickeln können.

Dafür berechnen und visualisieren Forscher*innen der RWTH Aachen, wer wann wohin mit welchen Verkehrsmitteln im Rheinischen Revier unterwegs ist und wie die Nachfrage nach digital buchbaren Fahrgemeinschaften wäre. Um Daten zu tatsächlichen Mitfahrten zu erhalten, arbeiten die Wissenschaftler*innen mit der GoFlux Mitfahr-App. Sie wollen möglichst viele Menschen als App-Nutzer*innen gewinnen.

Screenshot einer Smartphone-App, die Verbindungsmöglichkeiten des Öffentlichen Nahverkehrs zeigt, darin auch die Option für eine von Goflux vermittelte Mitfahrt in einem privaten PKW.

Screenshot: Goflux

Screenshot der Smartphone-App von Goflux, die Mitfahrten in einem privaten PKW vermittelt. Hier zeiht sie für einen bestimmten, im Kalenderbereich markierten Tag an, ob eine Mitfahrt angeboten oder buchbar ist.

Screenshot: Emmett, Quelle: Goflux

Die über die App gesammelten Daten zu den durchgeführten Fahrten können die Forscher*innen mit den berechneten Nachfragepotenzialen vergleichen. Am Ende soll die Datenlandschaft unter anderem aufzeigen, zu welchen Zeiten und in welchen Orten sich angebotene Fahrten und Fahrtwünsche optimal überlagern.

Multimodal unterwegs: Verkehrsmittel clever kombinieren

Eine Lösung für zukunftsfähige Mobilität auf der letzten Meile bieten auch sogenannte Mobilitätsstationen an Bus- und Bahnhaltestellen. Sie verknüpfen mehrere Mobilitätsangebote. Bürger*innen finden dort beispielsweise Leihfahrräder, Carsharing-Autos oder E-Roller, mit denen sie von der Haltestelle nach Hause fahren können.

Im mFUND-Projekt SMueR (Smarte Mobilitätsstationen für ländliche Räume) entwickeln Forscher*innen, IT- und Mobilitätsunternehmen sowie die Stadtverwaltung der Lutherstadt Eisleben gemeinsam ein Konzept und einen Prototyp für eine smarte, modulare Mobilitätsstation. Die Lutherstadt Eisleben gehört zum Landkreis Mansfeld-Südharz und somit zum Mitteldeutschen Revier.

Das Konzept für die Mobilitätsstation umfasst eine Vielzahl von standardisierten und dadurch schnell austauschbaren Modulen, die zahlreiche Optionen bieten: Pkw-Parkplätze, Stellplätze für Fahrräder, E-Roller-Verleih und Lastenräder, Ladeschränke für E-Bikes, Lebensmittelautomaten sowie Fahrradservicestationen. Über ein in die Station integriertes Infotainment-System sollen Nutzer*innen Fahrplan- und Tourismus-Informationen erhalten: Auf großen Bildschirmen sehen sie die Abfahrtszeiten der Busse und Bahnen sowie Hinweise zu Sehenswürdigkeiten und zugehörige Routenempfehlungen.

3D-Computergrafik einer Mobilitätsstation mit abgestellten Elektrorollern, einem Elektro-Auto neben einer Ladesäule sowie Monitoren und Überdachung

Abbildung: SMueR

Echtzeitdaten aus dem Betrieb der Mobilitätsstationen sollen über digitale Schnittstellen auch Dritten zur Verfügung stehen: Geplant ist, dass beispielsweise Entwickler*innen von Mobilitäts-Apps Informationen über freie Park-and-ride-Plätze oder Fahrradstellplätze einbinden können, die mithilfe von Sensoren erfasst werden.

Außerdem arbeitet das Projektteam an einem Planungswerkzeug, das sie als quelloffene Software (Open Source) den Kommunen, Verkehrs- und Stadtplaner*innen zur Verfügung stellen. Mit diesem Werkzeug können die Planer*innen anhand digitaler Daten und Module die Stationen so konzipieren und konfigurieren, dass sie auf die Bedürfnisse des jeweiligen Standortes individuell zugeschnitten sind. Der SMueR-Prototyp entsteht in der Lutherstadt Eisleben am Bahnhof. Die Einwohner*innen werden an der Entscheidung darüber, welche Module diese erste Mobilitätsstation umfasst, beteiligt.

Eine weitere Möglichkeit, ÖPNV und Individualverkehr clever zu kombinieren, ist Park & Ride: Pendler*innen fahren mit dem Auto zum Bahnhof oder zur Haltestelle und steigen dort in Bahn und Bus um. Im Rheinischen Revier sollen hierfür in den kommenden Jahren smarte Pendler*innen-Parkplätze entstehen. Dafür sollen Park-and-ride-Stellplätze mit Sensoren ausgestattet werden, die Echtzeitdaten zu freien Plätzen erfassen. Diese Daten stehen dann Mobilitäts-Apps, Web-Portalen und Auskunftssystemen zur Verfügung. So können Pendler*innen schon vorab sehen, ob sie einen Parkplatz bekommen. Koordiniert wird das Projekt vom Zweckverband Nahverkehr Rheinland, dem Verkehrsverbund Rhein-Sieg und dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, die die teilnehmenden Kommunen beraten und unterstützen.

Flash, R4R und UpBus: automatisiert unterwegs mit Bus, Lastenrad und Seilbahn

Viele Konzepte für die Mobilität der Zukunft basieren auf kleinen, selbstständig fahrenden Shuttle-Bussen, die die Passagiere zum Beispiel per App bestellen. Die Idee ist, dass die Shuttles die Fahrgäste in der Nähe ihres Aufenthaltsorts abholen und sie am Wunschziel wieder absetzen.

In Deutschland gibt es immer mehr Pilotprojekte, die solche Shuttles erproben. Bisher fahren sie auf festgelegten Strecken, die mit Lichtsignalanlagen, Kameras oder Induktionsschleifen ausgestattet sind. Außerdem fahren sie in der Regel nicht autonom – also komplett selbstständig und ohne jegliche menschliche Kontrolle – , sondern automatisiert. Das bedeutet unter anderem, dass Fahrer*innen an Bord sind, die das Steuer nötigenfalls übernehmen.

Eins dieser Pilotprojekte ist FLASH (Fahrerloses Automatisiertes Shuttle) im Landkreis Nordsachsen im Mitteldeutschen Revier, umgesetzt vom Landratsamt Nordsachsen und dem Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme. Seit Juli 2022 fährt dort ein Kleinbus im Linienbetrieb, mit Sicherheitsfahrer*in an Bord. Das Shuttle kann zum örtlichen ÖPNV-Tarif genutzt werden. Bereits im Pilotbetrieb ist FLASH mit bis zu 70 Stundenkilometern unterwegs. Nach dem Probebetrieb soll FLASH Bestandteil des Linienverkehrs im Landkreis werden. Bis dahin sammeln die Projektpartner*innen weitere Daten und Erkenntnisse zum automatisierten Fahren im ÖPNV.

Der Landkreis Nordsachsen ist ebenfalls im mFUND-Projekt Ready for Smart City Robots? Multimodale Karten für autonome Mikromobile (R4R) Partner. Forscher*innen der Universität Magdeburg und der TU Freiberg sowie Unternehmen arbeiten daran, hochgenaue Karten für die Navigation selbstständig fahrender Mikromobile zu erstellen, die auf Fahrrad- und Gehwegen unterwegs sein sollen. Automatisiert und autonom fahrende Kleinfahrzeuge könnten in ländlichen Gebieten Lieferdienste übernehmen und Menschen dazu motivieren, für Transportfahrten das Auto stehenzulassen.

Für das selbstständige Navigieren brauchen Fahrzeuge hochgenaue Umgebungsinformationen wie Breite und Beschaffenheit der Wege, Anzahl der Fußgänger*innen oder Sichtlinien. Diese Daten stehen noch nicht öffentlich zur Verfügung. In größeren Städten starteten bereits erste Vermessungen, in kleineren Orten wurde damit jedoch noch nicht begonnen. Deshalb werden im Projekt R4R Freiwillige auf smarten Transporträdern im Landkreis Nordsachsen und in der Stadt Köthen im Mitteldeutschen Revier unterwegs sein und diese Informationen sammeln, mittels Sensoren an den Fahrrädern und im Smartphone sowie über eine App. (Siehe hierzu auch die Ausführungen der R4R-Projektleiterin in der Emmett-Podcastfolge „Förderband oder Startrampe“.)

In einem Vorgängerprojekt (AuRa – Autonomes Lastenrad) haben Forscher*innen der Universität Magdeburg ein Fahrradverleihsystem für selbstständig fahrende E-Lastenräder entwickelt und in Magdeburg getestet: Fordert eine Person ein Transportrad per App an, navigiert das Rad aus einer zentralen Station auf Geh- und Radwegen selbstständig zu dieser Person. (Hier finden Sie ein Demonstrationsvideo: https://www.aura.ovgu.de/aura_media/AuRa+Video.mp4.) Dieses Vorgehen erfolgt auf Level 4 des automatisierten Fahrens, als „vollautomatisiertes Fahren“: Das technische System übernimmt die Fahrzeugführung, ein Mensch muss das Fahrzeug allerdings weiterhin überwachen und gegebenenfalls anhalten können. Wenn das Rad bei der Nutzerin oder dem Nutzer angekommen ist, fährt sie oder er manuell damit weiter. Hat die Person ihre Fahrt beendet, gibt sie das Rad per App frei und es fährt vollautomatisiert zum Folgeauftrag oder zurück in die Station. Die Erfahrungen aus AuRa, beispielsweise zur Fahrzeugsteuerung und zur Akzeptanz automatisierter und autonomer Mikromobile, fließen in Folgeprojekte ein.

Grafik: Auf einer blassgrau dargestellten Straßenkarte markieren farbige Linien und Pfeile sowie Lastenradsymbole die Strecken, die das autonom fahrende Lastenrad AuRa für eine beispielhafte Fahrt absolviert

Abbildung: AuRa

Foto: Eine Hand hält ein Smartphone auf dem eine digitale Straßenkarte zu sehen ist

Abbildung: AuRa

Foto: Eine Hand hält ein Smartphone auf dem Bedienfelder einer App zu sehen sind, mit denen sich sich das autonom fahrende Lastenrad AuRa bestellen lässt

Abbildung: AuRa

Foto: Auf einem Radweg neben einer Straße ist das autonom fahrende Lastend AuRa zu sehen, dass auf die betrachtende Person zufährt

Abbildung: AuRa

Foto: Eine Frau lädt ein Paket in den offenen Ladebehälter des autonom fahrenden Lastenrads AuRa, hinter ihr ist eine große Anlage aus zahlreichen Paketboxen zu sehen

Abbildung: AuRa

Foto: Auf einem Radweg neben einer Straße ist das autonom fahrende Lastenrad AuRa zu sehen, wie es von der betrachtenden Person wegfährt

Abbildung: AuRa

Eine neue Form des ÖPNV haben Mitarbeiter*innen vom Institut für Strukturmechanik und Leichtbau der RWTH Aachen entwickelt: den UpBus – einen automatisiert fahrenden Elektro-Kleinbus, der als Seilbahn „weiterschweben“ kann. Das Prinzip: Fahrgäste bestellen den Bus per App. Auf dem Weg zur Seilbahnstation sammelt das automatisierte Shuttle weitere Passagiere ein. An der Station wird der Fahrgastraum vom Fahrgestell getrennt und innerhalb weniger Sekunden an die Hängevorrichtung der Seilbahn angekoppelt. Den nahtlosen Wechsel ermöglichen unter anderem Sensoren und eine Schnittstelle, die für den Einsatz im Weltraum entwickelt wurde, um Satelliten aneinanderzukoppeln. Den UpBus-Prototyp testete das Start-up im Sommer 2021 erfolgreich auf dem Betriebsgelände eines Seilbahn-Herstellers. Mit der Gemeinde Simmerath als Modellregion haben sich die UpBus-Entwickler*innen für ein Förderprogramm im Rheinischen Revier beworben. Simmerath will eine UpBus-Teststrecke zwischen den Höhenorten der Gemeinde und dem Rursee, der etwa 300 Höhenmeter tiefer liegt, aufbauen und vor allem Tourist*innen aus dem Auto in den schwebenden Bus bringen.

Was Menschen wollen: Welche Chance hat flexible Mobilität?

Mitfahr-Apps, On-Demand-Shuttles, autonome Lastenräder: Wie kommen solche Entwicklungen bei den Menschen in den Strukturwandelregionen überhaupt an? Würden sie sie nutzen?

Dieser Frage geht das mFUND-Projekt CTran (App-basierte Evaluation von Angebotsinnovationen im öffentlichen Personennahverkehr in Braunkohlerevieren) nach. Die Projektpartner*innen, das DRL Institut für Verkehrsforschung, die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg sowie die Unternehmen DB Regio Bus Ost und DB Regio Bus, wollen herausfinden, unter welchen Bedingungen Menschen im Lausitzer Revier ihr Auto stehen lassen würden und welche neuen Angebote im ÖPNV für sie passend wären. (Siehe hierzu auch die Emmett-Podcastfolge „Abgehängt oder angebunden?“ über den ÖPNV im ländlichen Raum.)

Screenshot der App Wohin Du willst, die Verbindungen des öffentlichen Verkehrs anzeigt

Abbildung: Wohin Du willst/DB Regio AG

Zu diesem Zweck sollen Freiwillige im Landkreis Spree-Neiße die App „Wohin du willst der Deutschen Bahn nutzen. Die Projektpartner*innen passen die App so an, dass die Nutzer*innen neben den vorhandenen ÖPNV-Angeboten für ihre Wege auch bisher noch fiktive Verkehrsmittel wählen können, beispielsweise E-Bikesharing, Carsharing, eine Mitfahrgelegenheit oder On-Demand-Shuttles.

App-Nutzer*innen bekommen bei einer Routen-Anfrage zunächst die tatsächlich nutzbaren Verkehrsmittel angezeigt. Anschließend werden sie gefragt, ob sie auch andere, flexible Mobilitätsangebote für ihren Weg nutzen würden, sofern es diese Angebote gäbe.

Die Forscher*innen wollen unter anderem analysieren, welche Faktoren die Menschen dazu motivieren, neue Mobilitätsformen statt des eigenen Autos zu nutzen: die CO2-Einsparung gegenüber einer Autofahrt, der Ticketpreis, die Fahrtdauer? Ein weiteres Ziel ist, jene Angebote tatsächlich umzusetzen, die sich während der Projektlaufzeit als die beliebtesten herausstellen. Dafür soll ein Folgeprojekt vorbereitet werden.

Screenshot der App Wohin Du willst, die auf einer Landkarte die Fahrtroute eines autonom fahrenden Shuttlebusses anzeigt

Abbildung: Wohin Du willst/DB Regio AG

Screenshot der App Wohin Du willst, die das Foto eines fahrerlos fahrenden Shuttlebusses zeigt, darunter ein Infotext dazu

Abbildung: Wohin Du willst/DB Regio AG

Für mehr Tourismus und Lebensqualität: Mobilität im Revier umkrempeln

Die Projektpartner*innen im mFUND-Projekt MoVeToLausitz (Mobilitätsunterstützung mittels datenbasierter Verkehrslenkung für die touristische Mobilität in der Lausitz) wiederum wollen die Mobilität im gesamten Revier klimafreundlicher und (wirtschaftlich) nachhaltiger gestalten und damit die Attraktivität der Lausitz für Einheimische und Tourist*innen gleichermaßen steigern. Ziel ist, dass mit neuen Mobilitätsangeboten für Freizeit und Alltag touristische Orte besser mit dem öffentlichen Verkehr erreicht werden können und der Autoverkehr reduziert wird. Zugleich sollen in den betreffenden Regionen neue Firmen und Unternehmungen für neue, attraktive und zukunftsweisende Arbeitsplätze sorgen und Wirtschaftskraft entfalten.

Grafik: Symbole von Menschen und Fahrzeugen, verbunden durch farbige Pfeile; sie zeigen welche Möglichkeiten es in der Lausitz gibt, unterschiedliche Verkehrsmittel für einen Weg zu kombinieren

Abbildung: Move To Lausitz

Daher wollen die Forscher*innen unter anderem prüfen, inwieweit eine datengestützte Lenkung des Autoverkehrs umsetzbar ist, beispielsweise auf Parkplätze: von dort aus könnten Shuttles weiterfahren. Die Forscher*innen wollen Geschäftsmodelle für flexible Mobilitätsangebote in der Lausitz entwickeln, die den ÖPNV ergänzen, eine Mobilitätsplattform mit Informationen für Einwohner*innen und Tourist*innen online stellen und einen Leitfaden für weitere Tourismusregionen in Deutschland veröffentlichen. (Siehe hierzu auch das Gespräch mit Jan Nowakowski von der Brandenburgischen Universität Cottbus-Senftenberg, Mitarbeiter bei MoveToLausitz, in der Emmett-Podcastfolge „Förderband oder Startrampe“.)

Fazit: Mit digitalen Daten passgenaue Angebote entwickeln

Der Strukturwandel in den Braunkohlerevieren ist eine Chance für mehr Klimaschutz, auch im Bereich Mobilität. Digitale Mobilitätslösungen sollen den Umweltverbund – also Bus-, Bahn- und Radfahren sowie Zufußgehen – in Zukunft so attraktiv machen, dass er auch in ländlich geprägten Gebieten wie den Braunkohlerevieren eine echte Alternative zum Autofahren ist. Dieses Vorhaben ist eine große Herausforderung. Um diese anzugehen, ist es wichtig, herauszufinden, was die Menschen bislang davon abhält, auf Bus, Bahn und Fahrrad umzusteigen. Zudem muss ermittelt werden, welche Mobilitätsangebote sie unter welchen Bedingungen nutzen würden.

Mit den neuen Möglichkeiten, digitale Daten zu sammeln und auszuwerten, lassen sich ÖPNV-Angebote schaffen, die dem Bedarf vor Ort flexibel angepasst werden können. Davon profitieren Nutzer*innen und ÖPNV-Unternehmen gleichermaßen. Wenn eine selten nachgefragte Linie mit einem automatisierten Shuttle bedient wird, das Bürger*innen bei Bedarf buchen, müssen die Unternehmen keinen großen Bus auf dieser Strecke , auf der in der Regel nicht mehr als zehn Fahrgäste einsteigen, einsetzen.

Entscheidend ist, dass es für die sogenannte letzte Meile attraktive umweltfreundliche Mobilitätslösungen gibt. Wer für den Weg zur nächsten Haltestelle ins Auto steigen muss, fährt wahrscheinlich gleich die gesamte Strecke mit dem Auto.

Die Strukturhilfen des Bundes für die Braunkohlereviere sollen zum einen dazu beitragen, dass die bestehende Verkehrsinfrastruktur und Mobilitätsangebote verbessert werden: Dörfer oder touristische Ziele müssen besser mit Bus, Bahn und Fahrrad erreichbar sein. Zum anderen ist es wichtig, dass neu entstehende Ziele per Umweltverbund erschlossen werden. Dazu zählen Standorte neuer Forschungszentren, Badeseen, die aus Braunkohlegruben entwickelt werden, und Museen, die in ehemalige Industrieanlagen einziehen.

Die Braunkohlereviere befinden sich im geografischen, wirtschaftlichen und soziologischen Wandel – und mit ihnen die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen. Daten dazu sollten in Forschungsprojekten kontinuierlich erhoben werden und in neue digitale Mobilitätslösungen einfließen. Die Förderung solcher Projekte und Innovationen trägt dazu bei, das von der Kohlekommission formulierte Ziel zu erreichen: Dass die Regionen nach dem Kohleausstieg besser dastehen als zuvor – sowohl in Bezug auf neue, attraktive und zukunftssichere Arbeitsplätze als auch in Bezug auf den Mobilitätsalltag der Bewohner*innen, Pendler*innen und Tourist*innen.

Quellenverzeichnis
Empfohlene Beiträge