Die EU möchte das multimodale Reisen erleichtern und schreibt daher die Bereitstellung und Interoperabilität von Mobilitätsdaten vor. Deutschland setzt diese Verordnung mit dem novellierten Personenbeförderungsgesetz um. Wir fassen zusammen, wen es betrifft und was es besagt.
Wann kommt die S-Bahn? Was, wenn sie sich verspätet, auf welche anderen Verkehrsmittel könnte ich umsteigen? Welche Anschlussmöglichkeiten hätte ich? Wo stehen verfügbare Sharing-Autos, -Bikes oder -E-Scooter? Wie kann ich online ein Taxi oder private Fahrdienste buchen? Wer bietet mir womöglich all diese Informationen und Dienste aus einer Hand, sprich in einer App?
Um diese typischen Fragen verlässlich und zeitnah beantworten zu können, braucht man vor allem eines: Daten, also Angaben zu Fahrplänen, Abfahrts- und Ankunftszeiten, zu Standorten, Verfügbarkeiten und Positionen von – parkenden wie fahrenden – Personenbeförderungsfahrzeugen. Nicht zuletzt sind diese und weitere Mobilitätsdaten unerlässlich, um über Unternehmens- und Verkehrsverbundgrenzen hinweg Tickets kaufen und Ausleihen abwickeln zu können.
Je mehr Personenbefördernde – etwa öffentliche Verkehrsbetriebe, private Fuhrunternehmen und Mobilitätsdienstleistende – ihre Daten anderen zugänglich machen, desto nützlicher wären diese für die Bürger:innen.
Um mehr essenzielle Mobilitätsdaten zur Verfügung zu haben, um den Wettbewerb bei Personenbeförderungsdiensten fairer zu gestalten und damit den öffentlichen Personenverkehr attraktiver zu machen, hat die Bundesregierung eine Reform des Personenbeförderungsgesetzes (kurz: PBefG) auf den Weg gebracht. Das „Gesetz zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts“, wie es offiziell heißt, beschlossen am 16. April 2021, wurde beziehungsweise wird schrittweise in Kraft gesetzt.
Diese Reform folgt der sogenannten „delegierten Verordnung“ der EU (EU 2017/1926, PDF), deren Vorgaben für jeden Mitgliedsstaat bindend sind. Im Kern geht es der EU darum, dass Mobilitätsdaten „interoperabel“ sind. Das heißt, sie sollen weder in geschlossenen („proprietären“) Systemen noch in singulären Datenformaten angelegt sein, sondern offen und standardisiert. Anders gesagt: Die Daten müssen zwischen den Anbietenden ausgetauscht und ohne Adaptierungsaufwand genutzt werden können.
So sollen die neuen „Datenbereitstellungspflichten“ das „multimodale“ Reisen erleichtern. Gemeint ist damit, zu vereinfachen, dass die Menschen ihre Wege mit mehreren Verkehrsmitteln absolvieren, etwa von Rad zu Bahn zu E-Scooter oder von Bahn zu Sharing-Auto et cetera – dies sowohl lokal als auch regional, überregional und international.
Die dafür erforderlichen Daten sollen in einen deutschlandweiten Nationalen Zugangspunkt (siehe nachfolgender Abschnitt „Was ist der Nationale Zugangspunkt (NAP) für Mobilitätsdaten?“) einfließen, um sie von dort übernehmen und in (Plattform-)Services integrieren zu können.
Im bundeseinheitlichen Personenbeförderungsgesetz ist unter anderem festgelegt, dass man ein Personenbeförderungsgewerbe anmelden muss, um es betreiben zu dürfen. Mit der jüngsten Reform hat der Gesetzgeber präzisiert, für wen das Gesetz gilt (siehe nachfolgender Abschnitt „Wen betreffen die Datenbereitstellungspflichten?“).
Bei der Reform kamen insbesondere die Datenbereitstellungspflichten hinzu: Sie betreffen sowohl statische Daten – etwa Fahrplaninformationen, die sich lediglich in größeren zeitlichen Abständen ändern – als auch dynamische Daten, etwa Echtzeit-Verkehrsinformationen zu aktuellen Fahrzeugpositionen oder zu Verspätungen.
Mit diesem Gesetz schloss die Bundesregierung zugleich eine bisherige Regelungslücke, die viele Personenbeförderungsunternehmen beklagt hatten. Denn nun unterliegen auch die sogenannten „plattformbasierten Dienste“ bestimmten Vorgaben. Gemeint sind jene Firmen, die Personenbeförderungsdienste vermitteln, beispielsweise Uber, Free Now oder Bolt. Dazu gehören aber auch Taxizentralen, öffentliche und private Verkehrsbetriebe sowie Betreiber:innen von bestehenden und entstehenden Mobilitätsplattformen, auch„Mobility-as-a-Service“ (kurz MaaS) genannt.
Zur Bereitstellung von Daten sowie Metadaten gesetzlich verpflichtet sind laut PBefG Verkehrsbehörden, öffentliche Verkehrsunternehmen, private Betreiber:innen von Verkehr, Infrastruktur und „nachfrageorientierten Verkehrsangeboten“, aber auch öffentliche und private Anbieter:innen von Reise- und Verkehrsinformationen.
Das heißt: Neben den Betreiber:innen haben auch die Vermittler:innen von Beförderungsdienstleistungen eine Datenbereitstellungspflicht. Dies zielt auf solche Unternehmen, die plattformbasierte und bedarfsgesteuerte Beförderungsdienste anbieten, sowohl im sogenannten „Linienbedarfsverkehr“ als auch im „gebündelten Bedarfsverkehr", also beispielsweise Uber und Free Now oder MaaS-Apps wie beispielsweise Jelbi (Berlin), hvv switch (Hamburg), Leipzig Move und Aachen Move. Die Datenbereitstellungspflicht gilt auch, wenn die überwiegenden Verkehre nur lokal stattfinden.
Nicht zur Datenbereitstellung verpflichtet sind hingegen Einzelunternehmer:innen ohne eigene Mitarbeiter:innen oder Solo-Selbständige. Des Weiteren müssen auch Betreibende von Sonderformen des Linien- oder Gelegenheitsverkehrs keine Daten bereitstellen, etwa Theater- und Schulfahrten, Ausflugsfahrten und Ferienziel-Reisen, ebenso Chauffeur:innenfahrten mit angemieteten Limousinen sowie Patient:innentransporte. All diese Verkehre sind nicht für die Allgemeinheit zugänglich, weshalb die Daten für den öffentlichen Verkehr nicht relevant sind.
Wer will, kann freiwillig entsprechende Daten in den NAP überführen.
Laut Gesetz müssen die betreffenden Akteur:innen über den Nationalen Zugangspunkt statische und ab dem 1. Juli 2022 dynamische Daten bereitstellen, „die bei der Ausführung von Beförderungsdienstleistungen regelmäßig entstehen, die bei der Beförderung von Personen im Linienverkehr und im Gelegenheitsverkehr entstehen und (die) zu Zugangsknoten und deren Infrastruktur (gehören).“
Zu den statischen Daten gehören Angaben, die sich in der Regel nicht, nur selten beziehungsweise in längeren Intervallen ändern. Dazu zählen Angaben zum Unternehmen oder den Vermittelnden, wie Name, Kontaktdaten und die Beschreibung der Dienstleistung, zudem konkrete Reiseinformationen, etwa Fahrpläne oder Tarife. Bei eintretenden Änderungen müssen diese Daten jedoch aktualisiert werden.
Als dynamische Daten im Linienverkehr gelten laut Gesetz Informationen über Ausfälle, Störungen und Verspätungen, die voraussichtliche Abfahrts- und Ankunftszeit sowie die tatsächliche oder prognostizierte Auslastung des Verkehrsmittels, der aktuelle Betriebsstatus der „Zugangsknoten“ (Haltestellen, Bahnhöfe etc.) und der dort vorhandenen Infrastruktur. Steht Personenbeförderung im Gelegenheitsverkehr – Taxis, vermittelte Fahrdienste und so weiter – im Fokus, gelten solche Informationen als dynamische Daten, die die Verfügbarkeit von Fahrzeugen an Stationen und im Verkehr inklusive deren Auslastung in Echtzeit anzeigen sowie die tatsächlich abgerechneten Kosten ausweisen.
Wichtig: Bei dynamischen, sich in kurzen Intervallen ändernden Daten müssen die Bereitstellenden dafür sorgen, dass diese im NAP stets aktuell gehalten werden. Anderenfalls wären beispielsweise konkrete Reiseinformationen schlicht unbrauchbar. Um dies technisch zu gewährleisten, soll der NAP dauerhaft funktionsfähige Schnittstellen bieten.
Ja, Unternehmen können für die Datenbereitstellung auch externe Dienstleistende beauftragen, ob sie nun „Erfüllungsgehilfen“ oder „Datentreuhänder:innen“ heißen. Die gibt es bereits, etwa das Kooperationsnetzwerk „DELFI“ für Daten des Linienverkehrs oder auch Taxizentralen und sonstige Plattformen. Gemeint sind aber auch Anbieter:innen, die – zum Teil verkehrsträgerübergreifend – Daten sammeln und bereitstellen, beispielsweise MobiData BW in Baden-Württemberg.
Wichtig ist hierbei, dass die Datenbereitstellung gegenüber dem NAP eindeutig zugeordnet ist. Es sollte also keinen Mix aus Datenzufuhren von Personenbefördernden und Erfüllungsgehilfen geben, sondern einen einzigen Liefernden und feste Ansprechpartner:innen.
Wie erwähnt setzt das neue Personenbeförderungsgesetz (PBefG ) das EU-Recht um (delegierte Verordnung). Darin ist vorgesehen, dass es für die bereitzustellenden Mobilitätsdaten einen Nationalen Zugangspunkt (National Access Point, kurz NAP) gibt, sprich eine öffentlich betriebene Cloud. In Deutschland erfüllt bislang der Mobilitäts-Daten-Marktplatz (MDM) diese Vorgabe. Dieser nimmt seit Ende 2019 statische Daten aus Kommunen und Bundesländern auf, einschließlich Reiseinformationen von unterschiedlichen Verkehrsarten und Anbieter:innen.
Mit der Novellierung des PBefG sollen in den Nationalen Zugangspunkt nunmehr auch dynamische Daten fließen, die Unternehmen und Vermittler:innen von Personenbeförderungsleistungen bereitzustellen haben (siehe Abschnitt „Welche Daten müssen die Unternehmen bereitstellen?“).
Um den neuen Anforderungen besser gerecht zu werden, lässt das Bundesministerium für Digitalisierung und Verkehr (BMDV) derzeit eine neue Software-Architektur für den NAP entwickeln. Der NAP soll Ende Juni unter dem Namen „Mobilithek“ online gehen. In der Mobilithek soll der MDM ebenso aufgehen wie die mCLOUD, ein Open-Data-Portal des BMDV. Alle dort vorhandenen Daten werden in die Mobilithek übernommen. Sie soll es als „Mobilitätsdatenökosystem“ sowohl Unternehmen als auch Behörden künftig ermöglichen, offene Mobilitätsdaten über standardisierte Schnittstellen miteinander auszutauschen.
Die Daten der Mobilithek sollen zudem an den „Mobility Data Space“ (MDS) angeschlossen werden. Der MDS will einen weiter gefassten Mobilitätsdatenraum bieten und dafür auch solche Daten bündeln, die nicht per Gesetz, sondern freiwillig bereitgestellt werden, für die aber zum Teil spezifische Nutzungsrechte und -gebühren gelten werden.
Auftaktveranstaltung Mobilithek
Die Mobilithek wird offiziell am 25. Juni 2022 gestartet; drei Tage zuvor – am 22. Juni 2022, von 10 bis 13 Uhr – findet eine Auftaktveranstaltung von Move Mobility statt, zu der Sie sich hier informieren und anmelden können.
Zugriff auf die statischen und dynamischen Mobilitätsdaten im Nationalen Zugangspunkt (NAP) haben – über entsprechende technische Schnittstellen – die Einrichtungen und öffentlichen Verkehrsbetriebe von Bund, Ländern und Kommunen, insbesondere auch die für Personenbeförderung zuständigen Genehmigungsbehörden. Zudem dürfen auch jene Unternehmen die Daten nutzen, die „bedarfsgesteuerte Mobilitätsdienstleistungen“ oder multimodale Reiseinformationsdienste für Endnutzer:innen erbringen. Dabei handelt es sich um die bereits mehrfach erwähnten Vermittlungsplattformen oder Verkehrsunternehmen, die solche Dienste bieten. Näheres hierzu regelt die Mobilitätsdatenverordnung (MDV) vom 20. Oktober 2021.
Die Pflichten zur Bereitstellung von statischen und dynamischen Echtzeitdaten im Linien- und Gelegenheitsverkehr traten bereits beziehungsweise treten noch in Kraft, nämlich
- für statische Daten im Linienverkehr zum 1. September 2021,
- für statische Daten im Gelegenheitsverkehr und statische Daten, die Zugangsknoten wie Bahnhöfe und Haltestellen betreffen, zum 1. Januar 2022 sowie
- für alle dynamischen Daten zum 1. Juli 2022.
Laut Gesetz müssen die Regelungen nach Ablauf von fünf Jahren evaluiert werden, um einen möglichen Anpassungs- und Fortentwicklungsbedarf aufzuzeigen. Dies ist Mitte 2027 der Fall.