Was ist ein Mobilitätsdatenökosystem – und wer profitiert davon?

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Henry Steinhau

Was ist ein Mobilitätsdatenökosystem – und wer profitiert davon?

Ohne den reibungslosen Austausch von Daten funktioniert in Zukunft kein noch so intelligenter Mobilitätsdienst. Oft ist deshalb von einem „Mobilitätsdatenökosystem“ die Rede, das zu diesem Zweck zu schaffen sei. Wir erklären, was damit gemeint ist, was es bringt und welche Anwendungsfälle es schon heute gibt.

Panel zu Mobilitätsdatenräumen

Über die Frage, welchen Stellenwert und welchen Nutzen Mobilitätsdatenökosysteme künftig haben, diskutierte das hochkarätig besetzte Panel der Emmett-Veranstaltung „Wie schaffen wir gemeinsam ein Mobilitätsdatenökosystem?“, die am 27.01.2022 online stattfand. Zu den Panelist:innen gehörten Olga Nevska (Telekom MobilitySoulutions), Boris Otto (Leiter des Fraunhofer Instituts ISST), Raúl Krauthausen (Gründer der Sozialheld*innen), Katja Diehl (Aktivistin, Influencerin und Autorin) sowie Prof. Dr. Meike Jipp (Direktorin des Instituts für Verkehrsforschung des DLR).

Was ist ein „Datenökosystem?“

Wie in der Biologie, aus der der Begriff Ökosystem bekannt ist, basieren auch Datenökosysteme auf Wechselbeziehungen: nur eben nicht zwischen Tieren, Pflanzen und Organismen in deren natürlichem Lebensraum, sondern – vereinfacht gesagt – zwischen Daten und datenverarbeitenden Stellen in einem künstlich geschaffenen Datenraum.

Datenökosysteme sind in der Regel als dezentrale Netzwerke aufgebaut, in denen Individuen, Organisationen und Unternehmen gemeinschaftliche Ziele verfolgen: Daten auszutauschen, hierfür Schnittstellen zu schaffen und Synergien zu nutzen sowie weiteren Akteur:innen und Nutzer:innen Zugang zum System und Zugriff auf die enthaltenen Daten zu ermöglichen.

Zu den Akteur:innen eines Datenökosystems gehören beispielsweise

  • Anbieter:innen von Infrastrukturen für das Netzwerk, also Server, Speicherplatz, Rechenleistung;
  • jene, die Daten in Systeme eingeben, und solche, die diese Daten dann weiterverarbeiten, aufbereiten und für die weitere Nutzung vorbereiten;
  • Forscher:innen und professionelle Nutzer:innen, die mit den Daten für wissenschaftliche, wirtschaftliche oder öffentliche Zwecke arbeiten;
  • sogenannte Broker, die zwischen Bedarfen und Angeboten vermitteln, etwa auch in Richtung von
  • Endverbraucher:innen, die auf das Datenökosystem zugreifen, indem sie datenbasierte Dienste für Alltag, Beruf und Freizeit nutzen.

Bei einem biologischen Ökosystem schafft die Natur die Lebensbedingungen für alle Organismen. Für Datenökosysteme entwickeln und definieren die Beteiligten selbst sämtliche Rahmenbedingungen. Dazu gehören Standards, um Daten austauschbar und nutzbar zu machen, Datenformate oder Vorgaben für Ein- bzw. Ausgabe-Schnittstellen – oder auch Regeln, die sie vor missbräuchlichem Umgang mit ihren Daten schützen.

Als Beispiele für Betreiber:innen von Datenökosystemen nennt ein vom Fraunhofer-Institut für Software und Systemtechnik (ISST) herausgegebenes Positionspapier („Ökosysteme für Daten und Künstliche Intelligenz“, PDF) die global agierenden Unternehmen Google oder Apple, „die immense Datenquellen (auch von externen Anbietern) nutzen“. Für den deutschsprachigen Raum weist das ISST-Papier unter anderem auf ein Datenökosystem im Gesundheitswesen hin, das zur besseren dezentralen Patient:innenversorgung beitragen soll (gemeinsam betrieben vom Softwareanbieter SAP, dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der Berliner Charité).

Worauf kommt es bei einem Datenökosystem an?

Generell müssen die Daten in einem Datenökosystem gut zugänglich, schnell auffindbar, nutzungsrechtlich offen und technisch bereit für eine vielfältige Verwendung sein, also brauchbar formatiert und durch Metadaten hinreichend gekennzeichnet und beschrieben.

Im bereits erwähnten Positionspapier des ISST heißt es, dass Unternehmen in vielen Fällen aufgrund externer Einflüsse geradezu dazu gezwungen seien, Daten in Ökosystemen auszutauschen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Andererseits würden Unternehmen in zunehmendem Maße darauf abzielen, ihre Daten zu schützen: „Dieser Zielkonflikt lässt sich nur auflösen, wenn es Unternehmen gelingt, ihre digitale Souveränität zu wahren. Es erfordert auch, dass Unternehmen ein Gleichgewicht zwischen den gegensätzlichen Interessen der Kontrolle über ihre Datenbestände und der Bereitschaft, Daten auszutauschen, finden, um gemeinsame Wertangebote zu entwerfen.“

Boris Otto, Leiter des ISST, plädiert dafür, „datengebenden Unternehmen und Personen“ Anreize zu bieten, damit sie ihre Daten dem Ökosystem zur Verfügung zu stellen. „Die Entwicklungen in der Datenökonomie zeigen, dass die Zusammenführung und Analyse von Daten aus unterschiedlichen Kontexten häufig zu neuen Erkenntnissen führen kann, beispielsweise die Verbindung von Open Data, wie Wetterdaten, mit Industriedaten. So kann sich weiteres Potenzial entfalten, wenn man verschiedene bestehende Datenökosysteme über interoperable Technologien miteinander verbindet“, so Otto.

Wieso braucht es ein „Mobilitätsdatenökosystem“?

Mobilitätsdaten beschreiben Lage, Verlauf oder auch Zustand von Straßen, Wasser- und Schienenwegen, Lufträumen und weiteren Verkehrsflächen, etwa Parkplätzen, Radspuren oder Fußwegen. Bestimmte Ereignisse erfordern zusätzliche, aktuelle Daten – etwa über wetterbedingte Havarien, baustellenbedingte Umleitungen oder Staus aufgrund von Großveranstaltungen. Neben Lageberichten zur Verkehrssteuerung lassen sich noch viele typische Mobilitätsdaten nennen, etwa zum Berufsverkehr, zur Auslastung von Hafenliegeplätzen oder Parkhäusern, aber auch zu Fahrplänen, Tarifen und Echtzeitinformationen von Bussen und Bahnen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV).

Wie in einem Biotop Pflanzen, Tiere und Umwelt miteinander interagieren, so müssen an der Mobilität beteiligte Fahrzeuge und Steuerungseinheiten, die einander begegnen, miteinander kommunizieren und interagieren. Dafür müssen Daten fließen, häufig in Echtzeit, also während des mobilen Geschehens.

Solche Verkehrssteuerungsdaten sind nicht nur bei Straßen, sondern etwa auch für Gleisanlagen und Lufträume essenziell und oft weitgehend digitalisiert. Für Verkehrsleitzentralen der Straßenbehörden, Fahrdienstleiter:innen auf Stellwerken und Fluglots:innen im Tower sind Mobilitätsdaten alltäglich, die entsprechenden Datenökosysteme sind sozusagen ihr berufliches Habitat. Denkt man aber über diese Subsysteme hinaus, sind sie nur ein – wenn auch wichtiger – Teil eines größeren Mobilitätsdatenökosystems. Dies lässt sich leicht nachvollziehen, wenn es beispielsweise um Daten zur Ankunft von Flugzeugen, zu Anschlussverbindungen von Bahnen oder Bussen, zu Umsteigemöglichkeiten auf andere Verkehrsträger geht – und das nicht nur für reisende Menschen, sondern auch bei Warentransporten.

Die Mobilität erweitert und diversifiziert sich durch neue Fahrzeugtypen und Angebote wie etwa E-Roller und Lastenräder, datenbasierte Dienste für Sharing oder Ridepooling. Damit steigen die Anforderungen an ein umfassendes Mobilitätsdatenökosystem. Viele Anbieter:innen aggregieren Daten über Bedarfe für Mikromobilitätsdienste und stellen zugleich Daten über die Verfügbarkeit ihrer Fahrzeuge und die Preise für die Kurzleihe bereit.

Welche Mobilitätsdatenökosysteme gibt es in Deutschland?

In Deutschland hat sich der Mobilitätsdatenmarktplatz (MDM) als Datenökosystem etabliert. Wie das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) Ende vergangenen Jahres bekannt gab (Emmett berichtete), wird der MDM künftig in die neue „Mobilithek“ eingehen.

Als weiteres Mobilitätsdatenökosystem entstand im Zuge der mFUND-Förderung die mCLOUD als zentraler Ort für offene Mobilitätsdaten (Open Data). Auch die mCLOUD wird in den kommenden Monaten in die „Mobilithek“ überführt und als zentrale Plattform dienen, auf der Mobilitätsanbieter:innen, vermittelnde Unternehmen, Infrastrukturbetreiber:innen, Behörden und Informationsanbieter:innen ihre Daten tauschen (können).

Parallel zur „Mobilithek“ wird derzeit auch der „Datenraum Mobilität“ beziehungsweise der Mobility Data Space (MDS) aufgebaut, der als großes, umfassendes Mobilitätsdatenökosystem konzipiert ist. Die kürzlich eigens dafür gegründete „DRM Datenraum Mobilität GmbH“ betreibt den MDS. Ihre Gesellschafter:innen sind Unternehmen, Bundesländer, mehrere Forschungsinstitutionen und Kommunen.

In den MDS sollen Daten aus allen Mobilitätsbereichen einfließen, von privaten Unternehmen ebenso wie von öffentlichen Einrichtungen und Behörden. Alle Beteiligten sollen einen gleichberechtigten Zugang erhalten. Er soll die bereits angesprochene Balance zwischen umfassender Freigabe und partiellem Schutz bestimmter Daten herstellen und den Daten gebenden Akteur:innen die erforderliche Datensouveränität gewährleisten.

Schematische Darstellung der Daten, die in die Mobilithek fließen

Abbildung: BMDV

Wo laufen Anwendungen, die auf einem Mobilitätsdatenökosystemen basieren?

Laut ISST-Direktor Boris Otto gibt es im Mobility Data Space schon jetzt praxisbezogene Anwendungsfälle. Beispielsweise biete die Stadt Füssen Vorhersagen über die Auslastung der Parkplätze innerhalb der Stadt. „Diese Vorhersagen basieren darauf, dass die teilnehmenden Akteure – die Stadt Füssen, das Urban Institute sowie die Automobilhersteller – untereinander Daten austauschen und diese gemeinsam nutzen“, sagt Otto. „Hiervon profitieren die Endverbraucher mit einer deutlich verkürzten Parkplatzsuche.“

Ein interessantes Beispiel für die Kombination von öffentlichen und privaten Mobilitätsdaten aus dem MDS ist das Projekt „Slippery Road“ von Mercedes-Benz, das bei der offiziellen Ankündigung der „Mobilithek“ Ende 2021 kurz vorgestellt wurde. Der Automobilhersteller will Daten zur Straßenwetterlage und zu den Straßenzuständen in den „Datenraum Mobilität“ einbringen, die von den Fahrzeugen der Mercedes-Benz-Flotte gemessen und gesammelt werden. Ein anschließendes Aufbereiten der Daten, etwa für die Wetterkarten des Deutschen Wetterdienstes (DWD), soll Straßenmeistereien eine bessere Planung des Straßenbaus ermöglichen.

Als weitere typische Anwendungen von Mobilitätsdatenökosystemen, die Endverbraucher:innen direkt zugutekommen, gelten Mobility-as-a-Service-Angebote (MaaS). Die oft als App oder online verfügbaren Dienste unterstützen das multimodale Reisen, indem sie unter anderem Verfügbarkeiten unterschiedlicher Verkehrsträger, Echtzeit-Fahrplandaten des ÖPNV und Bezahlfunktionen vereinen.

In Deutschland sind unter anderem der Dienst „Jelbi“ der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sowie der in mehreren Bundesländern verfügbare Service „Handyticket.de“ bekannte MaaS-Angebote. In den, verglichen mit anderen europäischen Ländern, wie Finnland, eher dünn besetzten deutschen MaaS-Markt soll dieses Jahr jedoch Bewegung kommen.

So soll im März dieses Jahres die MaaS-App „Mobility Inside“ erscheinen, die den Kauf von Fahrkarten der Deutschen Bahn und mehrerer Verkehrsverbünde ermöglicht. Außerdem soll sie ein multimodales Routing mit Fahrrad-, Scooter- und Carsharing beinhalten. Ziel des Gemeinschaftsprojekts – bislang sind 13 Gesellschafter aus dem öffentlichen Verkehrssektor beteiligt – ist eine „Eine App für alles“-Lösung: Künftig sollen alle Reisen innerhalb Deutschlands mit Bus, Bahn und Sharing-Angeboten in der App buchbar sein.

Vor Kurzem kündigte außerdem die Telekom-Tochter „Telekom MobilitySolutions“ an, gemeinsam mit der Firma Hacon, den Stadtwerken Bonn und dem Verkehrsverbund Rhein-Sieg ein eigenes MaaS-Angebot auf den Markt zu bringen, zunächst im Frühjahr 2022 als Pilot für den Großraum Köln-Bonn.

Wie Olga Nevska, Geschäftsführerin der „Telekom MobilitySolutions“, auf Anfrage erklärt, soll es den Kund:innen möglich sein, „tagesaktuell, bedarfsorientiert und situativ-kontext-bezogen die für sie beste Mobilität auszuwählen. Die App konfiguriert die gewünschte Strecke nach ihren persönlichen Präferenzen. Von der Planung über die Buchung und Durchführung bis zur Rechnung über alle Anbieter hinweg – die Kund:innen erhalten alles aus einer Hand.“

Ihr Unternehmen verspricht, für die geplante MaaS-Anwendung Angebote des öffentlichen Nahverkehrs, Mikromobilitätsdienste wie E-Scooter oder Leihfahrräder, aber auch die Segmente Carsharing, Ridehailing und Ridepooling anzuschließen. Die App soll eine neue, intuitive Benutzeroberfläche und zusätzliche innovative Features aufweisen.

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