*As TInnGO is a pan-European project, please find the English version of this interview below.*
Mobilität soll für alle da sein, doch die Realität sieht oft anders aus. Warum das so ist und wie Daten dabei helfen können, diesen Missstand zu beheben, wissen Cathleen Schöne von der TU Ilmenau und Verkehrsplanerin Juliane Krause vom Büro plan & rat. Gemeinsam leiten sie den deutschen Hub des EU-Forschungsprojekts TInnGO, das sich der Geschlechtergerechtigkeit im Mobilitätssektor verschrieben hat.
Emmett: Ein Bus ist ein Bus – für alle gleich. Das gilt mehr oder weniger auch für Auto, Fahrrad, Roller und Co. Warum spielt das Thema Gender im Mobilitätssektor überhaupt eine Rolle?
Juliane Krause (JK): Mobilität ist oftmals eben nicht für alle gleichermaßen zugänglich und nutzbar. Das hängt meist damit zusammen, dass für die Mobilitätsplanung zu wenige oder unzureichende Daten erhoben und genutzt werden. Differenziert wird in der Regel nicht nach Geschlecht und Alter oder sozialer Situation. Mobilität wird deshalb oft nur für einen stereotypischen Fahrgast konzipiert – männlich, Mitte 30, pendelt werktags zur Hauptverkehrszeit allein zur Arbeit. Das wird nicht einmal annähernd der Bandbreite der unterschiedlichen Bedürfnisse aller potenziellen Fahrgäste gerecht. Neben dem Gender-Aspekt spielen natürlich auch Alter, körperliche oder geistige Behinderungen, ökonomischer Status, Herkunft und vieles mehr eine Rolle.
Emmett: Bleiben wir beim Thema Gender. Was sollte sich diesbezüglich ändern?
Cathleen Schöne (CS): Wenn wir den Blick auf die Nutzer*innen richten, dann sind das drei Dinge: Erstens mehr Sicherheit, sodass alle auch zu später Stunde noch den ÖPNV nutzen können – zum Beispiel durch eine strategisch gewählte Lage von Haltestellen, Sicherheitspersonal in den Fahrzeugen oder Alarmvorrichtungen wie Notfallknöpfe. Zweitens die Gewährleistung von Barrierefreiheit – auch mit Blick auf den eigentlichen Zugang zum ÖPNV. Zum Beispiel braucht es Begleitpersonal in allen Fahrzeugen zu jeder Zeit, damit man nicht zwangsläufig jeden Weg vorher planen und ankündigen muss, sondern gleichermaßen flexibel unterwegs sein kann wie alle anderen auch. Drittens eine sichere und attraktive Gestaltung von Rad- und Fußverkehrs- sowie Sharing-Verbindungen. Dies würde die Verknüpfung von Wegen, zum Beispiel zur Arbeit, zur Begleitung von Kindern oder älteren Menschen oder zur Versorgung, erleichtern. Das ist ein Mobilitätsmuster, das sich bisher vor allem bei Frauen abzeichnet.
Emmett: Worauf könnten wir noch blicken?
JK: Auf den Mobilitätssektor selbst. Der ist nach wie vor eine männerdominierte Branche. Da sollte sich einiges an den Zugangsmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen ändern. So könnten beispielsweise durch Mentorinnen-Programme mehr Frauen in die Branche gebracht werden. Und neben der längst überfälligen Überwindung der berüchtigten Gender-Pay-Gap (gemeint ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern im Hinblick auf Löhne und Gehälter, auch Lohnlücke genannt; Anmerkung der Redaktion) sollte auch eine flexiblere Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung die Regel werden.
Emmett: Bei Emmett interessieren wir uns für datengetriebene Mobilität. Welche Anknüpfungspunkte gibt es hier?
CS: Kurz gesagt: Um erfolgreiche und nachhaltige Mobilitätsangebote zu schaffen, brauchen wir gender- und diversitätsgerechte Daten. Von diesen Daten können beispielsweise Projekte der Stadtplanung oder zur Einführung neuer ÖPNV-Linien profitieren.
Die Abkürzung TInnGO steht für Transport Innovation Gender Observatory. Das von der EU geförderte Projekt betrachtet Mobilität als Mittel, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Neben dem Ziel, in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für dieses Thema herzustellen, arbeiten die Forscher*innen an konkreten Aktionsplänen für gender- und diversitätssensible Mobilität. Auf einer paneuropäischen Informationsplattform präsentieren zehn nationale Forschungszentren – sogenannte „Hubs“, jedes mit eigenem Fokus – die Ergebnisse ihrer Arbeit: Zum einen tragen sie dort bereits existierende Good-Practice-Beispiele, Tools und Datensätze zusammen, zum anderen veröffentlichen sie neue Datensätze, Methoden, Tools und Innovationen, deren Relevanz und Tauglichkeit sie in sogenannten „Living Labs“ evaluiert haben. Sie arbeiten dabei eng mit Städten und Verkehrsunternehmen in ihren jeweiligen Regionen zusammen und knüpfen Netzwerke auch über die Landesgrenzen hinaus.
Emmett: Inwiefern arbeiten Sie daran?
JK: Wir als deutscher Hub verfolgen das Ziel einer gender- und diversitätsgerechten Beteiligungskultur. Dazu zählt unter anderem eine entsprechende Datenermittlung und -auswertung. Für uns ist interessant, wie und welche Mobilitätsdaten bisher ermittelt werden, wer befragt wird und welche Schlüsse daraus gezogen werden – oder gezogen werden können – und welche Aspekte bisher vernachlässigt werden. Wir widmen uns also im Grunde der Frage, ob Erhebungen von Mobilitätsdaten überhaupt alle Bevölkerungsgruppen erfassen und ihre Bedürfnisse gender- und diversitätsgerecht abfragen und auswerten.
Emmett: Mit welcher Arbeit adressieren Sie ganz direkt die Mobilitätsanbieter*innen in Deutschland?
CS: Im deutschen Hub arbeiten wir derzeit an der Erstellung einer Open Street Map für die Region Hannover. Die Karte möchten wir als „Beteiligungswerkzeug“ für die Fahrgäste einsetzen. Darauf haben wir entlang ausgewählter Buslinien verschiedene Marker gesetzt, die die Fahrgäste – auch die potenziellen – bewerten können: unterwegs mit Kinderwagen oder Rollator, unterwegs mit Gepäck et cetera. So entsteht ein vergleichsweiser direkter Draht zwischen den Fahrgästen und den Mobilitätsanbietern, der die Vielfalt der Fahrgäste und ihrer Bedürfnisse sichtbar macht. Darüber hinaus analysieren wir, wie ein gender- und diversitätsgerechter Auftritt etwa von öffentlichen Verkehrsbetrieben in den sozialen Medien aussehen sollte, damit einerseits ihre Informationen von möglichst vielen Menschen verstanden werden können und andererseits eine Beteiligung in Form von Interaktionen erfolgen kann.
Emmett: Die Projektlaufzeit endet im November 2021. Wie geht es danach weiter?
CS: Zwei Ziele sollen über die eigentliche Projektlaufzeit hinaus verfolgt werden: Die TInnGO-Plattform soll weiterhin aktiv von Interessierten genutzt, gerne auch zur weiteren Vernetzung und Vertiefung der Thematik ausgebaut werden. Auch die Hubs sollen erhalten bleiben und ihre Forschung und Aktivitäten auch zukünftig vorantreiben. Für beide Ziele braucht es Stakeholder aus der Branche, die bereit sind, sich diesen Zielen zu verschreiben. Im Zuge dessen suchen wir als deutscher Hub nun Initiativen, Verbände, Unternehmen oder Netzwerke, die daran interessiert sind, unseren Hub zu übernehmen, neue Aktivitäten anzustoßen und sich auch um die Verbreitung und Pflege der Plattform und der aus Deutschland bereitgestellten Inhalte zu kümmern.
Emmett: Zum Schluss: Was sind Ihre wesentlichen Learnings aus drei Jahren TInnGO?
JK: Wir haben gelernt, dass – auch wenn sich der Begriff Gender mittlerweile schon in einigen Branchen etablieren konnte – nicht automatisch ein einheitliches Verständnis seiner Bedeutung und seiner Notwendigkeit herrscht. Begriffe beziehungsweise Konzepte wie Gender und Diversität gehören noch längst nicht zum Alltag im Mobilitätsbereich.
CS: Und selbst wenn sich Initiativen, Unternehmen oder gar Städte für diese Themen einsetzen, kann die Umsetzung ihrer Agenda Jahre dauern, da der Prozess durch viele bürokratische, strukturelle und finanzielle Hürden ausgebremst wird. Durch diese Verzögerungen verlieren Projekte schnell an Relevanz, da sie zum Zeitpunkt ihrer Umsetzung veraltet sind oder auf veralteten Strategien und Tools basieren. Daher besteht die größte Lektion für uns darin, bei der Entwicklung und Umsetzung von Gender- und Diversitätsstrategien die Verantwortung nicht immer nur aufseiten einzelner Unternehmen, Branchen oder Städte zu suchen. Stattdessen halten wir es für sinnvoll, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der auch gesetzliche Vorgaben, Förder- und Finanzierungsmodelle sowie Systemstrukturen als Bestandteil des zu ebnenden Weges begreift und entsprechende Anpassungen ermöglicht.
English version:
"Gender and diversity are still far from being part of the everyday life in the mobility sector"
Mobility is supposed to be available for everyone, but the reality is somewhat different. In this interview, Cathleen Schöne from the Technische Universität Ilmenau and transport planner Juliane Krause from the office plan & rat explain why this is the case and how data can help to remedy this situation. Together, they run the German Hub of the EU research project TInnGO, which is dedicated to gender equality in the mobility sector.
Emmett: A bus is a bus – the same for everyone. This also applies more or less to cars, bicycles, scooters and the like. Why does gender even play a role in the mobility sector?
Juliane Krause (JK): Mobility is often not equally accessible and usable for everyone. This is usually due to the fact that too little or insufficient data is collected and used for mobility planning. There is a lack of detailed differentiation by gender and age or social situation. Mobility is therefore often designed only for a stereotypical passenger – male, mid-30s, commutes alone to work on weekdays during rush hour. This does not even come close to addressing the range of different needs of all potential passengers. In addition to gender, of course, age, disabilities, economic status, ethnicity, and more all play a role.
Emmett: Let's focus on gender. What should change in this regard?
Cathleen Schöne (CS): If we focus on the users, then there are three main aspects: If we focus on the users, then there are three main aspects: Firstly, more safety and security, so that everyone can use public transport even at late hours – for example, by strategically positioning stops, security personnel in the vehicles, or alarm devices such as emergency buttons. Second, ensuring accessibility – also with regard to the actual access to public transport. For example, escorts are needed in all vehicles at all times so that people do not necessarily have to plan and announce every journey in advance, but can travel just as flexibly as everyone else. Third, a safe and attractive design of bicycle, pedestrian, and sharing connections. This would make it easier to link routes, for example to work, to accompany children or the elderly, or to make errands. This is a mobility pattern that has so far been most apparent among women.
Emmett: What else to focus on?
JK: On the mobility sector itself. It is still a male-dominated sector. There is a need for changes in access opportunities and working conditions. For example, mentoring programs could bring more women into the industry. And in addition to the long overdue overcoming of the notorious gender pay gap, more flexible workplace and working time arrangements should become the norm.
Emmett: At Emmett, we are interested in data-driven mobility. What are the connecting elements here?
CS: In a nutshell: In order to create successful and sustainable mobility offers, we need gender- and diversity-sensitive data. Projects in urban planning or for the introduction of new public transport lines, for example, can benefit from this data.
The acronym TInnGO stands for Transport Innovation Gender Observatory. The EU-funded project considers mobility as a means to achieve gender equality. In addition to the goal of raising public awareness of this issue, the researchers are working on concrete action plans for gender- and diversity-sensitive mobility. Ten national research centers – so-called "hubs", each with its own focus – present the results of their work on a pan-European information platform: On the one hand, they compile existing good practice examples, tools and data sets. On the other hand, they publish new data sets, methods, tools and innovations whose relevance and suitability they have evaluated in so-called "living labs". In doing so, they work closely with cities and transportation companies in their respective regions and also establish networks beyond national borders.
Emmett: To what extent are you working on this?
JK: We, as the German hub, pursue the goal of a gender- and diversity-sensitive participation culture. This includes, among other things, a corresponding data collection and evaluation. For us, it is interesting to see how and which mobility data have been collected so far, who is surveyed and what conclusions are drawn – or can be drawn – and which aspects have been neglected so far. Basically, we are addressing the question of whether the collection of mobility data covers all population groups at all and whether their needs are assessed and evaluated in a gender- and diversity-sensitive manner.
Emmett: Which of your activities directly addresses the mobility providers in Germany?
CS: Within the German Hub, we are currently working on the creation of an Open Street Map Tool for the Hannover region. We would like to use the map as a "participation tool" for passengers. On it, we have placed various markers along selected bus routes that passengers – including potential passengers – can evaluate: on the way with a stroller or rollator, on the way with luggage, et cetera. This creates a comparative direct connection between passengers and mobility providers, making the diversity of passengers and their needs visible. In addition, we analyze how a gender- and diversity-oriented appearance of, for example, public transport operators on social media should look like, so that, on the one hand, their information can be understood by as many people as possible and, on the other hand, participation in the form of interactions can take place.
Emmett: The project ends in November 2021. What will happen after that?
CS: Two goals are to be pursued beyond the actual project period: The TInnGO platform should continue to be actively used by interested stakeholders, and gladly expanded for further networking and in-depth exploration of the topic. The hubs should also be maintained and continue to drive their research and activities in the future. For both goals, stakeholders from the sector are needed who are willing to commit to them. In the course of this, we as the German Hub are now looking for initiatives, associations, companies or networks that are interested in taking over our Hub, initiating new activities and also taking care of the dissemination and maintenance of the platform and the content provided from Germany.
Emmett: To conclude: What are your key lessons learned from three years of TInnGO?
JK: We have learned that – even if the term gender has already become established in some sectors – there is not automatically a uniform understanding of its meaning and its necessity. Terms or concepts such as gender and diversity are still far from being part of the everyday life in the mobility sector.
CS: And even if initiatives, companies or even cities are committed to these issues, implementing their agenda can take years, as the process is slowed down by many bureaucratic, structural and financial hurdles. Due to these delays, projects quickly lose relevance because they are outdated or based on outdated strategies and tools by the time they are implemented. Therefore, the biggest lesson for us is not to always place responsibility on the side of individual companies, industries or cities when developing and implementing gender and diversity strategies. Instead, we believe it is sensible to take a holistic approach that also understands legal requirements, funding and financing models, and system structures as part of the path to be paved and enables corresponding adjustments.