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Mit Daten Richtung „Vision Zero“

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Julia Nothnagel

Mit Daten Richtung „Vision Zero“

Beim zweiten Coffee-Talk diskutierten die Women for Datadriven Mobility aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze in der präventiven Verkehrssicherheit.

Die Weltgesundheitsorganisation will die Zahl der Toten und Verletzten bei Verkehrsunfällen bis 2030 um 50 Prozent reduzieren. Deutschland und viele andere Länder verfolgen die sogenannte „Vision Zero“: null Verkehrstote. Der zweite Coffee-Talk des Netzwerks Women for Datadriven Mobility (WDM) drehte sich um die Fragen, wie das gelingen kann und wie insbesondere vulnerable Verkehrsteilnehmende besser geschützt werden können – und natürlich, welche Rolle Daten dabei spielen.

Proaktiv statt reaktiv

Bei dem digitalen Netzwerkevent für Frauen aus dem mFUND führte Sofia Salek de Braun, Expertin für Verkehrssicherheit bei der PTV Group, in das Thema ein. Sie verdeutlichte, wie hoch die Zahl der Verkehrstoten weiterhin ist: Etwa 3.600 Personen sterben weltweit täglich bei Verkehrsunfällen. Das entspräche sieben Flugzeugen der Baureihe Boeing 747, die jeden Tag abstürzten. (Anmerkung der Redaktion: Frau Salek de Braun rechnet hier mit den größten Boeing-Modellen. Geht man von durchschnittlichen Passagierflugzeugen aus, so wären es sogar bis zu 30 Abstürze pro Tag.) „Leider haben wir uns daran gewöhnt, dass Mobilität im Straßenverkehr einen bestimmten Prozentsatz an Personenschäden mit sich bringt. Das ist unethisch und nicht akzeptabel“, findet Salek de Braun. Wichtig sei eine vorausschauende Verkehrssicherheitsarbeit, die also ansetzt, bevor die Unfälle passieren.

Mit dem Projekt FeGiS+, das von 2019 bis 2022 im mFUND gefördert wurde, verfolgte Salek de Braun einen solchen proaktiven Ansatz. Das Projekt nutzte verschiedene Datenquellen, um die Unfallprävention voranzutreiben und Unfälle zu erfassen, die bisher in keiner Statistik vorkommen. Damit gemeint sind Bagatellunfälle, die nicht gemeldet werden, oder Beinaheunfälle. FeGiS+ nutzte etwa Unfalldaten der Polizei und Impulsdaten aus Mobilfunkgeräten oder Fahrzeugen, die beispielsweise Informationen über starke Bremsmanöver oder Lenkeinschläge geben. Außerdem wurden eigene Daten erhoben, über eine Webseite und die passende App, in die Nutzer*innen Gefahrenstellen eintragen konnten. Auf diese Weise wurde ein Gefahren-Score mit fünf Abstufungen berechnet. Dieser ist auf der Webseite gefahrenstellen.de für das gesamte Straßennetz in Deutschland öffentlich einsehbar, das Projekt läuft auch nach der Förderung weiter. „Die Daten bieten eine tolle Grundlage für weitere Anwendungen, beispielsweise für die Polizei, die Straßenbauverwaltung, aber auch die Schulwegeplanung oder Navigation“, ergänzte die Verkehrssicherheitsexpertin.

Ohne Daten keine Unfallprävention

Anschließend diskutierten die Teilnehmerinnen weitere Anwendungen für die Daten des mFUND-Projekts: Die Daten könnten beispielsweise eine wichtige Rolle in automatisierten und autonomen Fahrzeugen spielen. Basierend auf einer automatisierten Übertragung der Gefahrenstellen in das Fahrzeug könnte dessen Fahrstil der jeweiligen Situation entsprechend angepasst werden, Displays im Auto könnten Warnungen anzeigen.

Diskussionspunkt waren auch andere Möglichkeiten präventiver Unfallvermeidung. Um diese noch aktiver zu gestalten, brauche es weitere Analysen über Defizite in der Straßeninfrastruktur, so die Teilnehmerinnen. Es fehlten unter anderem Daten zu Verkehrsunfällen, bei denen keine Personen zu Schaden kommen. Auch mangele es an Informationen zu vorhandenen Zebrastreifen und Querungshilfen, um beispielsweise Schulwege besser planen zu können. Neben Daten seien auch die politische Umsetzung und die Ressourcen in den Kommunen entscheidende Faktoren für mehr Unfallprävention. Richtlinien, beispielsweise zu lokalen Unfallkarten, würden nicht ausreichend umgesetzt, zeige die Erfahrung.

Zudem stellten sich die Teilnehmerinnen die Frage, inwieweit sich ein veränderter Modal Split auf Unfallstatistiken auswirke. Als Modal Split wird die Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsträger oder Verkehrsmittel bezeichnet. Steigt beispielsweise die Anzahl an Unfällen mit vulnerablen Verkehrsteilnehmenden – so werden diejenigen genannt, die zu Fuß, auf dem Rad oder mit dem Scooter unterwegs sind – bei einem höheren Anteil an Radfahrenden? Das mFUND-Projekt SiGMa untersuchte diese Frage und konnte keinen signifikanten Effekt nachweisen. Gegen diese Annahme spreche der sogenannte Safety-in-Numbers-Effekt, so eine Projektbeteiligte. Dabei wird angenommen, dass mit einer zunehmenden Zahl an Verkehrsteilnehmenden das Risiko der einzelnen Verkehrsteilnehmenden zurückgeht. Je sichtbarer also Radfahrer*innen im Straßenverkehr sind, desto weniger Unfälle passieren demnach, da sich bei den Verkehrsteilnehmenden eine Gewöhnung einstelle. Zu diesem Effekt gibt es bisher keine Belege, derzeit werden aber Studien dazu durchgeführt, etwa an der RWTH Aachen.

Die WDM-Coffee-Talks sind ein Veranstaltungsformat der mFUND-Begleitforschung Move Mobility. Es soll Mitarbeiterinnen aus mFUND-Projekten die Möglichkeit geben, weitere Expertinnen aus der Forschungsinitiative des BMDV kennenzulernen und sich untereinander zu vernetzen. Die Auftaktveranstaltung zum Thema inklusive und gendergerechte Verkehrsplanung fand am 20. April 2023 statt.

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