Abgesenkte Bordsteinkanten, stufenlose Eingänge, taktile Leitsysteme, Rampen und Aufzüge, aus niedrigen Höhen erreichbare Automaten, tiefer gelegte Einstiege in Busse und Bahnen – dies alles trägt dazu bei, den öffentlichen Verkehr für Menschen mit Beeinträchtigungen zugänglich zu machen. Im Sinne vollständiger Barrierefreiheit ist es indes noch besser, wenn sie sich über Gebäude und eingesetzte Fahrzeuge ebenso informieren können wie über Fahrzeiten, Verspätungen oder Ersatzverkehr – und das am besten online und mobil. An solchen Lösungen arbeiten zahlreiche Forschungsprojekte: mit datenbasiertem Echtzeit-Routing, audiogestützten Informationsdiensten und Apps, die den Mobilitätsalltag inklusiver machen – was letztlich allen Menschen hilft.
[Der „Trendradar der Mobilität #6 – Inklusives Design und barrierefreie Bewegung“ ist auch als PDF-Fassung erhältlich. Laden Sie sich die Datei hier herunter.]
In Deutschland leben rund 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen. Das entspricht etwa 9,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. 50,3 Prozent der Schwerbehinderten sind Männer, 49,7 Prozent sind Frauen (Stand: Ende 2021). Viele von ihnen haben spezifische Mobilitätsbedürfnisse, weil sie im Rollstuhl oder mit Gehhilfen unterwegs sind. Doch nicht nur ihnen erschweren alltägliche „Barrieren“ das Fortkommen. Auch für Menschen mit Kinderwagen, Rollkoffern oder Fahrrädern be- oder verhindern Treppen, Stufen, hohe Einstiege in Busse und Bahnen oder defekte Aufzüge den Zugang zu bestimmten Orten oder Verkehrsmitteln – und schränken so ihre Bewegungsfreiheit und ihre Teilhabe am öffentlichen Leben ein.
Eine funktionierende barrierefreie Mobilität meint – übergreifend betrachtet –, die Verkehrsinfrastruktur so zu gestalten, dass sich alle Menschen mit und ohne Behinderungen frei und selbstständig uneingeschränkt im öffentlichen Raum bewegen können. Tatsächlich wird die erhoffte Selbstständigkeit noch immer – mal mehr, mal weniger – vielerorts von Hindernissen ausgebremst. Dabei spielt es oft keine Rolle, ob man nun als „behinderter“ Mensch eingeordnet wird oder nicht.
Zu den mobilitätseingeschränkten Personen zählen nach behördlicher Definition Menschen mit Einschränkungen beim Gehen (unsicheres Laufen bis Nutzung eines Rollstuhls), Menschen mit Einschränkungen beim Sehen (Sehstörungen bis Blindheit), Menschen mit Einschränkungen beim Hören (Schwerhörigkeit bis Taubheit) sowie klein- und großwüchsige Personen.
Aber auch schwangere Frauen, Personen mit Kinderwagen oder Reisegepäck, Übergewichtige, Kinder und Senior*innen haben mitunter Schwierigkeiten, im bestehenden System zurechtzukommen. Einschränkende Barrieren sind dabei insbesondere bauliche Elemente wie Stufen, Absätze, Bordsteine und Treppen.
Foto: Clara Immenhausen, Celina Löschau, Laura Volgger, CC BY 4.0 International
Doch es gibt leider noch weitere, teils massive Hindernisse für Menschen mit oder ohne Behinderung, wie das Inklusionsbarometer „Mobilität 2022“ der Aktion Mensch (PDF) berichtet: defekte Aufzüge, schlechter Straßenbelag, fehlende Schilder, unübersichtliche Apps oder komplizierte Fahrkarten-Automaten. Dazu zählen aber auch Informations- und Kommunikationseinrichtungen, die an Haltestellen über die nächsten kommenden Busse und Bahnen informieren, die aber von Sehbehinderten nicht eigenständig genutzt beziehungsweise bedient werden können, beispielsweise Fahrplanaushänge in Bahnhöfen, Linienanzeigetafeln auf den Bahnsteigen oder digitale Infoschilder.
Geltendes Recht, noch nicht vollständig umgesetzt: Behindertenrechtskonvention der UN und deutsches Personenbeförderungsgesetz
Laut Aktion Mensch sind „nur 4 Prozent der Behinderungen (…) angeboren, in den meisten Fällen entstehen sie durch Unfälle oder Krankheiten. In unserer alternden Gesellschaft wird das Thema Barrierefreiheit für immer mehr Menschen relevant.“
Deutschland hat die internationale Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in Kraft gesetzt, sie ist seit März 2009 rechtsverbindlich und hat den Rang eines Bundesgesetzes. Aus dieser Konvention geht hervor, dass auch bei öffentlichen Transportmitteln eine vollständige Barrierefreiheit umzusetzen ist, damit allen Menschen uneingeschränkt teilhaben können.
Diesbezüglich enthält das bundesdeutsche Personenbeförderungsgesetz (PBefG, Paragraf 8) die Vorgabe, dass bis zum 1. Januar 2022 die vollständige Barrierefreiheit erreicht werden sollte. Dieses Ziel wurde deutlich verfehlt. Allerdings sind im genannten Gesetz zahlreiche Ausnahmen formuliert, auf die sich die Bundesländer, die für die Umsetzung vor Ort zuständig beziehungsweise verantwortlich sind, in der Aufstellung der erforderlichen Nahverkehrspläne berufen können und dies in der Regel auch tun.
Dies offenbarten sie im Lauf der zweiten Jahreshälfte 2021 im Zuge einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung. Die Antworten der Bundesländer hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) gesammelt und ausgewertet. Nahezu alle Bundesländer machten demnach von den Ausnahmen im PBefG Gebrauch und erklärten, dass sie – meist aus baulichen und finanziellen Gründen – die geforderte Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr (ÖV) noch nicht vollständig umsetzen konnten.
In ihren Antworten erläuterten die Länder zudem, wie weit sie mit der Umsetzung jeweils gekommen sind. So seien beispielsweise die ÖV-Busse der meisten Länder zu fast 100 Prozent barrierefrei, da nahezu ausschließlich Autobusse mit abgesenktem Eingangsbereich zum Einsatz (Niederflurbusse) kämen. Demgegenüber sei die Situation an den Haltestellen weniger positiv – allerdings seien hier nur sehr wenig Daten verfügbar. Landesweite Verzeichnisse von Haltestellen und deren Zuständen – sogenannte Kataster – würden die Länder entweder gerade aufbauen oder planen.
Grafik: Emmett, CC-BY-SA 4.0; Quellen: Inklusionsbarometer Aktion Mensch 2022
Als große, bundesweit agierende Verkehrsbetreiberin steht die Deutsche Bahn besonders im Fokus, wenn es um Barrierefreiheit geht. Sie unterhält hunderte Bahnhöfe sowie einen riesigen Fuhrpark an Waggons, sowohl für den Regional- als auch für den Fernverkehr – mit jeweils unterschiedlichen Anforderungen an Bahnsteighöhen beziehungsweise Türhöhen.
Bezüglich der von ihr unterhaltenen Bahnhöfe verweist das Unternehmen Deutsche Bahn (dessen Mehrheitseigner der Staat ist, also die öffentliche Hand) auf deutlich gesteigerte Anteile an weitgehender sowie vollständiger Barrierefreiheit. Hierfür konnte sie auch umfangreiche Fördermittel des Bundes verwenden, beispielsweise das „Sonderprogramm zur Förderung des barrierefreien Ausbaus kleiner und mittlerer Bahnhöfe“, das seit 2019 und noch bis 2026 läuft. Im Rahmen dieses Programms baut die Bahn eigenen Angaben zufolge seit Dezember 2019 etwa 100 kleinere und mittlere Verkehrsstationen barrierefrei um, indem sie Bahnsteige erneuert und erhöht, Aufzüge beziehungsweise Rampen einbaut oder die Wegeleitungen und die Fahrgastinformationen anpasst. Seit März 2021 kommen entsprechende Maßnahmen an 45 kleineren und mittleren Verkehrsstationen dazu.
Diesbezüglich weist die Bahn in eigenen Mitteilungen darauf hin, dass sie sich für Maßnahmen für vollständige Barrierefreiheit an der für sie geltenden EU-Verordnung orientiere (siehe nachfolgender Kasten): So sei beispielsweise die Zahl der stufenfreien Bahnsteige seit 2010 bis Ende 2022 von 78 Prozent auf 86 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum habe sie über 1.400 Bahnsteige auf eine Höhe von mindestens 55 cm erhöht. Zudem seien derzeit 60 Prozent der Bahnsteige mit taktilen Blindenleitstreifen auf dem Fußboden ausgestattet, an denen sich blinde und sehbehinderte Reisende orientieren können. Auch den Anteil an taktilen Handlaufschildern – in erhabener Blindenschrift an den Stangen des Treppengeländers angebracht – sei innerhalb der letzten zwei Jahre um rund 40 Prozent gesteigert worden. (Siehe hierzu die nachfolgenden Infografiken.)
Die EU-Verordnung für barrierefreie Bahnhöfe gilt auch in Deutschland
Maßgebend für die Umbauten von Bahnhöfen im Sinne der Barrierefreiheit ist die EU- Verordnung „TSI PRM“, auf dem in Deutschland der nationale Umsetzungsplan beruht. In ihm finden sich in einem Bewertungssystem elf Ausstattungsmerkmale, die erfüllt sein müssen, um „weitreichende Barrierefreiheit" zu gewährleisten:
- Stufenfreier Zugang zu allen Bahnsteigen
- Bahnsteighöhen von mindestens 55 cm
- Zugzielanzeiger oder dynamische Schriftanzeiger (DSA)
- Akustische Durchsagen: Dynamische Schriftanzeiger mit Akustikmodul oder Lautsprecheranlagen
- Taktile Wegeleitung zum Bahnsteig
- Taktiler Blindenleitstreifen auf dem Bahnsteig
- Kontrastreiche Markierung von Treppenstufen
- Taktile Handlaufschilder an Handläufen von Treppen oder Rampen
- Kontrastreiche Wegeleitung/ Beschilderung
- Automatik- oder Flügeltüren am Empfangsgebäude als Zugang zum Bahnsteig
- Niveaugleicher Fahrzeugeinstieg oder Einstiegshilfe
Grafik: Emmett. Quelle: Eisenbahn-Bundesamt (2021)
Grafik: Emmett. Quelle: Eisenbahn-Bundesamt (2021)
Bei ihren Fernschnellzügen hat die Deutsche Bahn – laut einer Aufstellung der Webseite barrierefreiebahn.de – allerdings noch Luft nach oben: So ist in den Zügen vom Typ ICE4, die zu den moderneren in der DB-Flotte zählen, von insgesamt 25 Toiletten nur eine einzige barrierefrei, und von den 205 Plätzen in der ersten Klasse ist kein einziger ein Rollstuhlplatz. In den Nahverkehrszügen sieht die Bilanz etwas anders aus und mitunter können Verkehrsbetriebe – öffentliche ebenso wie private – auf ein besseres Verhältnis an barrierefreien Plätzen und Toiletten verweisen. (Konkrete aktuelle Daten zu allen eingesetzten Zügen, zudem sämtliche Verkehrsanbietenden für Fern- und Regionalbahnen erfassend, liegen uns leider nicht vor.)
Für Personen im Rollstuhl ist es in vielerlei Hinsicht schwierig bis kaum möglich, spontan mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu reisen. Vielmehr müssen sie sich vorab informieren und anmelden – nicht selten mit längeren Vorlaufzeiten. Zwar hat beispielsweise die Deutsche Bahn eine spezielle Mobilitätsservice-Zentrale eingerichtet, bei der die Menschen ihren Bedarf an Rampen oder ähnlichen Hilfsmitteln anmelden können, doch der Service erweise sich, berichten Betroffene, aufgrund begrenzter Erreichbarkeiten und bürokratischer Prozeduren als zu unflexibel. Längst gibt es Buchungstipps auf einer speziell eingerichteten Webseite, aber schon ein defekter Aufzug kann die sorgsam geplante Reise platzen lassen. Dies betrifft nicht nur Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator, sondern auch alle, die beispielsweise mit einem Kinderwagen, Fahrrad oder Rollkoffern unterwegs sind. Leider erleben sie das Ärgernis „Aufzug außer Betrieb“ oder ähnliche Hindernisse allzu oft, weshalb Betroffene mit Initiativen auf Verbesserungen drängen. (Siehe nachfolgender Kasten.)
Betroffene berichten und organisieren Petitionen an die Bahn
Wie es ihnen im Mobilitätsalltag häufig ergeht, berichten Betroffene unter anderem bei ZEIT und Spiegel. Die Initiative „Selbstbestimmt leben“ hat die Petition „Bahnfahren einfach machen (für Rolli, Rad, Rollator, Buggy & Co)“ an die Deutsche Bahn (DB) gerichtet und will 200.000 Unterzeichner*innen dafür gewinnen. Zudem reichten die Initiator*innen eine Klage gegen die DB ein, um „zu allen Zeiten, an denen Züge rollen, eine zugesicherte Unterstützung beim Ein- und Aussteigen zu erhalten“.
Zu einem barrierefreien Zugang zu Mobilitätsangeboten gehört auch, relevante und aktuelle Informationen möglichst allen zur Verfügung zu stellen, unter anderem über Abfahrts- und Ankunftszeiten, über Umstiegsmöglichkeiten und Anschlüsse, Verspätungen und Ersatzverkehr, aber auch über die baulichen Gegebenheiten vor Ort und über Zugänge, Toiletten und Plätze in den Fahrzeugen. Für alle Sehbehinderten müsste dies beispielsweise akustisch erfolgen. Zwar verfügen die allermeisten der aktuell gängigen Smartphones über hilfreiche Optionen, sodass zahlreiche Apps auf die „Vorlese“-Funktion zugreifen können. Doch gerade für Mobilitätsinformationen, die ebenso zeitnah wie situationsbezogen, ebenso kompakt wie präzise sein müssen, sollten die Apps der Verkehrsanbietenden solche Features direkt integrieren und anpassen beziehungsweise optimieren.
Als positives Beispiel lässt sich die App „SBB inclusive“ der Schweizer Eisenbahngesellschaft nennen. Reiseinformationen werden auf das Smartphone übermittelt und dann in der App per Voiceover vorgelesen beziehungsweise mit vergrößerter Schrift angezeigt.
Andernorts organisieren Interessenvertretungen und Selbsthilfegruppen eigene Projekte, um beispielsweise die Informationen über Mobilitätsmöglichkeiten und -chancen speziell für Schwerbehinderte nutzbringend zu bündeln und zusammenzuführen. Zu ihnen gehört das Mobilitätsportal „ÖPNV-Info“. Hinter dieser Online-Plattform steht der Heidelberger Verein Seh-Netz, der dafür auf offen verfügbare Daten von Verkehrsanbietenden zugreift. Die Webseite informiert über die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowie über die Gegebenheiten an einzelnen Bahnhöfen: Sie liefert Beschreibungen zu Gebäuden und Bahnsteigen, Aufzügen und weiteren infrastrukturellen Einrichtungen sowie zu allen abfahrenden und ankommenden Zügen. Zudem integriert das Portal diverse Fahrplanauskunftssysteme und zeigt den Nutzer*innen geeignete Verbindungen an.
Neben diesem bereits in der Praxis bewährten, digitalen Mobilitätsportal für Schwerbehinderte gibt es in ganz Deutschland zahlreiche Forschungsprojekte oder unternehmerische Ansätze, vorhandene Barrieren im öffentlichen Verkehr aufzulösen. Datengestützt versuchen die jeweiligen Teams – oft in Verbundprojekten, in denen Forschungseinrichtungen mit Verkehrsbetrieben beziehungsweise Firmen aus der Mobilitätsbranche kooperieren –, räumliche und kognitive Hindernisse bei der Reiseplanung und -durchführung zu verringern. Dabei zeigt sich mehr als einmal, dass diese Ansätze Verbesserungen für alle Fahrgäste bringen.
Für viele Menschen mit Behinderungen und besonderen Mobilitätsbedürfnissen ist es ebenso bedeutend wie selbstverständlich, dass man sie als Teilnehmende des öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV) direkt einbezieht, wenn Infrastrukturen neu geschaffen oder umgebaut, Informationsangebote konzipiert und umgesetzt werden. Schließlich können sie aus eigenem Erleben am besten beschreiben, was hilfreich ist und ihnen wortwörtlich den Weg frei macht – im Verlauf ihrer Reiseplanungen ebenso wie unterwegs vor Ort.
„Mobilität ist die Grundlage, dass ich Familie haben kann, dass ich arbeiten kann, dass ich mich weiterbilden kann, dass ich Kultur erleben kann. Mobilität ist ein Menschenrecht!“, sagt beispielsweise Annette. Sie war Teilnehmerin einer Ideenwerkstatt, die der Verein Sozialhelden e. V., dem sie angehört, organisiert und im Rahmen des „International Transport Forum 2022“ in Leipzig durchgeführt hat. Die Dresdnerin sitzt im Rollstuhl, war bereits im regionalen Behindertenrat und in Verbänden aktiv und hat unlängst eine Nachbarschaftsinitiative gegründet.
Annette nutzt ihre eigenen Erfahrungen im öffentlichen Nahverkehr dazu, um Veränderungen zu fordern und verantwortliche Stellen zu beraten. „Ich stelle mir vor“, führt Annette aus, „dass Diversität wirklich eine Rolle spielt, dass die Bedürfnisse und Bedarfe von Menschen mit Behinderung auch mitgedacht werden und sichtbar sind. Menschen mit Behinderung werden beim ÖPNV nur notdürftig mitgedacht, nicht selbstverständlich oder gar routiniert.“
Tatsächlich beziehen Wissenschaftler*innen, die im Feld der barrierefreien Mobilität forschen und arbeiten, zunehmend mobilitätseingeschränkte Menschen ein, um das Forschungsdesign – also den wissenschaftlichen Ansatz eines Vorhabens für eine Lösung oder gar ein Produkt – mit ihren eigenen Erfahrungen zu schärfen. Dieses genaue Hinhören der Wissenschaftler*innen bei den Nutzenden ist ein Prinzip, das die Wissenschaft schon länger verfolgt und mit dem auch Ingenieur*innen, Architekt*innen, Produktentwickler*innen sowie Gestalter*innen vertraut sind. In Europa entstand bereits in den 50er-Jahren der Ansatz des Universal Designs, der später durch die Praxis des „inclusive design“ erweitert wurde.
Ausgehend von der Beobachtung, dass jede Designentscheidung das Potenzial hat, dass durch sie Kund*innen eingeschlossen – oder eben ausgeschlossen – werden, entwickelte sich die Erkenntnis, dass möglichst viele Anspruchsgruppen in Forschung, Konzeption und Entwicklung einzubeziehen sind. Das inklusive Design ist daran interessiert, fundierte Designentscheidungen zu treffen, indem die Benutzer*innenvielfalt besser verstanden wird. Diese umfasst unterschiedliche Fähigkeiten, Bedürfnisse und Bestrebungen.
In Deutschland gibt es zumindest erste Versuche, Richtlinien des inklusiven Designs für alle bei der Herstellung von neuartigen Produkten zu verfolgen. Wie lässt sich Mobilität im Sozialraum inklusiv gestalten? Auf welche Weise können digitale Ansätze dabei helfen?
Diesen Fragen sind Wissenschaftler*innen der RWTH Aachen University im Rahmen des Forschungsprojekts ENABLE nachgegangen. Die Diagnose der dringlichsten Mobilitätsprobleme wurde dort unter Einbezug von Menschen mit Beeinträchtigungen erarbeitet, die als Beratende oder Testpersonen beteiligt waren. Als erstes Resultat wurde ein digitaler Reisebegleiter entwickelt. Dieser soll in der Lage sein, aus einer großen Datenmenge genau jene Reiseabschnitte und Wege herauszusuchen, die ein barrierefreies Fortkommen gestatten. Zudem soll es Nutzer*innen ermöglicht werden, dass sie Wege, die sie mit mehreren Verkehrsmitteln unterschiedlicher Anbietenden zurücklegen, in einem Vorgang buchen können – gleichzeitig können sie sich aber sicher sein, dass alle Verkehrsmittel und Haltepunkte ihren Ansprüchen an Barrierefreiheit genügen.
Mehr noch: Die Projektbeteiligten entwickelten die Vorstellung, dass etwaige Lücken in der Kette durch automatisierte Fahrzeuge überwunden werden können. Insofern hat ENABLE das Ziel, einen Mobility-as-a-Service – insbesondere für barrierefreies Reisen – zu schaffen, also vielfältige Informations- und Transaktionsleistungen zu integrieren, die kein*e Anbieter*in allein erbringen kann.
Einen offenen Ansatz, Menschen mit spezifischen Mobilitätsbedürfnissen direkt einzubeziehen, verfolgte auch das mFUND-Projekt „Barrierefrei mobil im Kiez (Miki)“. Das Projektteam vom Verein Sozialhelden e. V. führte dafür qualitative Befragungen anvisierter Nutzer*innen durch, also von Menschen mit Behinderungen. Sie sollten gezielt über ihre Strategien Auskunft geben, mit denen sie sich auf öffentlichen Wegen orientieren und möglichst barrierearme Routen zu ihren Zielen erstellen.
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse, die als Daten in offene digitale Karten und Routingalgorithmen einflossen, sowie mit systematisch erhobenen Informationen zu Hindernissen im öffentlichen Raum sollte sich die Routenplanung für Rollstuhlfahrer*innen verbessern und erleichtern lassen. Mehr noch: Zahlreiche der so entstehenden Routing-Lösungen testeten die Projektmitarbeitenden direkt mit der Zielgruppe. Dabei ermittelte und als geeignet befundene Varianten überführten die Projektbeteiligten anschließend in den bereits existierenden Kartendienst wheelmap.org, der auf OpenStreetMap basiert.
In wheelmap.org ist unter anderem für Bahnhöfe, Haltestellen, Flughäfen, Häfen und weitere verkehrsrelevante Orte verzeichnet, ob und wie rollstuhlgerecht Zugänge und Toiletten sind, mitunter auch durch Fotos belegt. Da es sich um eine offene Plattform handelt, können die Fotos – ebenso wie die Informationen zu den örtlichen Gegebenheiten – durch alle Menschen eingegeben und editiert werden.
Screenshot: Emmett. Quelle: wheelmap.org, unter Verwendung der digitalen Karten von OpenStreetMap (Open Database License/ ODbL)
Um barrierefrei mit dem öffentlichen Personenverkehr mobil sein zu können, benötigen die Menschen also verlässliche Informationen – etwa zu Fahrplänen, zu technischen Anlagen in Gebäuden und zu den Einstiegen von Fahrzeugen, aber auch tages- oder minutenaktuelle Angaben, sprich Echtzeitinformationen. Dazu zählen beispielsweise Informationen über den Betriebszustand von Aufzügen oder permanent aufgefrischte Informationen zu den tatsächlichen Fahrzeugbewegungen, über Verspätungen und zu Fahrtänderungen. Wichtig sind auch Informationen über ersatzweise eingesetzte Busse oder Waggons und ob diese über barrierefreie Zustiege und Plätze verfügen.
Je mehr und je offener solche Fahrplan- und Betriebsinformationen nutzbar sind und in barrierefreie Apps übernommen werden, desto besser. Dann können sich Menschen mit besonderen Mobilitätsbedürfnissen auf die aktuelle Situation einstellen und ihre Reise – auch über mehrere Verkehrsträger*innen hinweg, sprich multimodal – besser planen oder sich von datengestützten Services leiten lassen, dies womöglich auch kurzfristig oder weitgehend spontan. Doch woher kommen diese Daten – und wer führt sie zusammen?
Deutschlandweit existieren mehrere hundert Verkehrsbetriebe und knapp über 100 Verkehrsverbünde. Zwischen diesen Verbünden gibt es einen etablierten, gut eingespielten Datenaustausch, etwa unter regional benachbarten Verbünden oder auf länderweiten sowie länderübergreifenden Datenplattformen. Eine bundesweite Vereinheitlichung und Zusammenführung solcher Mobilitätsdaten – insbesondere jener, die für barrierefreies Reisen erforderlich sind -– gibt es bislang jedoch noch nicht. Dass dieser Datenaustausch funktionieren kann, bewies die vergleichsweise kurzfristige Einführung des 9-Euro-Tickets und soll sich in dessen Fortführung als 49-Euro-Ticket beweisen: Es gilt übergreifend für alle Nahverkehrsreisen in Deutschland, lässt sich bei allen Verkehrsverbünden erwerben und erfordert nur einen Account. Den Rest erledigen vernetzte und aufeinander abgestimmte Datenverarbeitungen.
Gleichwohl ist eine umfassende Harmonisierung und Verfügbarkeit von Mobilitätsdaten weiterhin eine Herausforderung. Daher lässt es sich als Pionierarbeit bezeichnen, was das Team hinter dem Open-Source-Projekt MOTIS leistete, um Mobilitätsdaten des ÖPV breiter nutzbar zu machen. Die Grundidee und das Herzstück von MOTIS ist, die Fahrplan-Informationen der unterschiedlichen Verkehrsbetreibenden und -verbünde mit weiteren Daten zusammenzuführen: Zum einen mit kontinuierlich aktualisierten Echtzeitinformationen darüber, wo sich die Busse und Bahnen auf ihrer Fahrt befinden, sodass sich ihre realen Ankunfts- und Abfahrtzeiten hochrechnen und weitergeben lassen; zum anderen mit digitalen Karten der frei verfügbaren und offen lizenzierten OpenStreetMap, um die aggregierten Echtzeitdaten darin zu verorten.
Da die Verkehrsanbietenden häufig eigene Systeme mit teilweise abweichenden Datenspezifikationen betreiben, galt und gilt es einerseits, diese auf technischem Wege zusammenzuführen. Hierfür entwickelten die MOTIS-Beteiligten der Technischen Universität Darmstadt und weitere Konsortialpartner*innen zunächst ein sogenanntes Datenmodell. Es ist praktisch ein Regelwerk für Daten, das die zu verwendenden Informationen vereinheitlicht und sie damit breit – also für sehr viele – nutzbar macht. Andererseits stellte das MOTIS-Team allen Verkehrsbetrieben sogenannte „offene Programmschnittstellen“ (Application Programming Interfaces, kurz APIs) zur Verfügung. Damit können alle teilnehmenden Betriebe ihre Daten für die Übergabe an das MOTIS-Datenmodell anpassen.
Mit der Zusammenführung all dieser offenen Daten will MOTIS das intermodale Reisen auch Menschen mit besonderen Mobilitätsbedürfnissen so einfach wie möglich machen. Denn dank ihres Datenmodells können Echtzeitdaten, beispielsweise zu Verspätungen, Umleitungen, Zusatzzügen oder Gleisänderungen, für sofortige Warnungen genutzt werden: Alle Apps, die auf MOTIS-Dienste und -Daten zugreifen, können etwaige Störungen im Betriebsablauf melden, vor Problemen auf der gewählten Reiseroute warnen und in Echtzeit auch alternative Reiseketten berechnen. Der Clou: Für die geplante nächste Ausbaustufe soll MOTIS durchgängig barrierefreie Reiseketten berechnen können, die zum Beispiel auf Umstiege in Fahrzeuge oder an Bahnhöfen verzichten, die keine Einstiegshilfe vorhalten.
Im Zusammenhang mit diesem spezifischen Routing, das barrierefreie Reiseketten anbietet, arbeitet das MOTIS-Team seit einiger Zeit eng mit dem mFUND-Projekt OPENER next zusammen. Dieses Projekt orientiert sich ebenfalls an den Bedürfnissen mobilitätseingeschränkter Menschen und funktioniert im Grunde wie eine Datensammelstelle. Hierfür koordiniert ein Forschendenteam der Technischen Universität Chemnitz ein umfangreiches Projektkonsortium aus acht direkt beteiligten Unternehmen und einer weiteren Universität sowie zehn assoziierten Partner*innen, darunter auch der Verein Sozialhelden e. V.
Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung einer App, die den baulichen Ist-Zustand von Bus- und Straßenbahn-Haltestellen abbilden soll. Hierfür wollen die „OPENER next“-Entwickler*innen auch Bürger*innen einbinden. Die Freiwilligen können in der speziellen Erfassungs-App entsprechende Angaben eintragen, beispielsweise zur Höhe von Bordsteinen sowie zu etwaigen Mängeln oder baulichen Maßnahmen an Haltestellen. Die kategorisierten Meldungen gelangen dann durch die Software als aktuelle Daten in die offene Karte OpenStreetMap.
Abbildung: OPENER next
Laut „OPENER next“-Projektteam beteiligen sich monatlich etwa mehrere hundert Menschen mit aktuellen Haltestellen-Meldungen. Damit die Erfassungs-App von möglichst vielen Personen eingesetzt wird, veranstalten die Beteiligten und assoziierte Partner*innen sogenannte Mapping-Partys und weitere Community-Events. Unterstützt vom Projekt „ÖPNV für alle“ des Sozialverbands VdK Sachsen sammelt das Projektteam zudem weitere Daten, die zur Priorisierung von Baumaßnahmen bei veralteten Bahnsteigen beitragen sollen.
Expertinnen-Gespräch zu OPENER next als Videoaufzeichnung
Die Ansätze und Ziele von OPENER next und weitere Vorhaben werden auch in einem Gespräch des Netzwerks Women in Data Driven Mobility (WDM) thematisiert, das als Videoaufzeichnung auf Emmett veröffentlicht ist. Neben Heike Twele vom „OPENER next“-Team erörtern die Mobilitätsexpertinnen Ines Kawgan-Kagan und Lelia König mit Emmett-Projektleiterin Lena Rickenberg die Chancen und Risiken einer inklusiven und gendergerechten Mobilität.
Insbesondere an blinde oder sehbehinderte Menschen richtet sich der Dienst, den die Entwickler*innen des OD2Guide aufbauen. Im Rahmen des mFUND-Projekts „OD2Guide – Skalierbare Plattform mit akustischen Wegeleit-Hinweisen für einen barrierefreien Personennahverkehr für Blinde“ entsteht ein Audio-Chatbot, der standortbasierte Hinweise zu Barrieren und barrierefreien Wegen sowie spezifische Routenempfehlungen in gesprochener Form liefert. Hierfür ermitteln die Mitarbeiter*innen des Projekts die Anforderungen von Betroffenen, etwa im Zuge von Mapathon-Events mit Blinden und Sehbehinderten.
Zudem testen sie neuartige Ortungstechnologien, die vorhandene Leitsysteme erweitern, etwa in Gebäuden. Dazu gehören beispielsweise kleine digitale Bauteile (sogenannte „Beacons“), die an analogen Beschilderungen angebracht werden. Diese funken via Bluetooth ortsbezogene Informationen, die wiederum von Smartphones empfangen, in Echtzeit verarbeitet und in Navigations-Apps genutzt werden können: auf diese Weise werden wichtige analoge Hinweisschilder für Sichteingeschränkte oder Blinde hörbar gemacht.
Foto: Clara Immenhausen, Celina Löschau, Laura Volgger, CC BY 4.0 International
Die Mannheimer App-Entwicklungsfirma Contagt, die sich schwerpunktmäßig mit Wegeleitsystemen in großen Gebäuden befasst, der sogenannten Indoor Navigation, leitet das OD2Guide-Projekt. Für die im Rahmen des Projekts geplante Wegeleit-Plattform nutzen die Projektbeteiligten sowohl Bestandsdaten der OpenStreetMap und der Mobilithek (vormals mCLOUD) als auch verfügbare Gebäudedaten (Diese sind auch als Building Information Modelling, kurz: BIM, bekannt. Die Bauwerksdatenmodellierung beschreibt eine Arbeitsmethode für die vernetzte Planung, den Bau und die Bewirtschaftung von Gebäuden und anderen Bauwerken mithilfe von Software. Dabei werden alle relevanten Bauwerksdaten digital modelliert, kombiniert und erfasst.) Hinzu kommen neu eingespeiste offene Daten zu Wegeleitungen in Gebäuden und an Haltestellen des ÖPNV. Im Anschluss an die ersten Projektphasen sollen Blinde und Sehbehinderte den Audio-Chatbot unter Realbedingungen testen. (Hören Sie zum Projekt OD2Guide, zu Barrieren im Verkehrsalltag und gesellschaftlicher Teilhabe auch den Podcast „Emmett in Transit“, Ausgabe #7“.)
Die Indoor-Navigation für mobilitätseingeschränkte Menschen stand auch Mittelpunkt des mFUND-Projekts CliWebNav. Dabei entstand ein digitales Assistenzsystem, das Besucher*innen mittels spezieller Signale durch große Gebäude leitet und zu ihrem Ziel führt. Eingesetzt wurden Ultraschall-Technologien in Lautsprechern. Für das menschliche Gehör sind Ultraschallsignale nicht wahrnehmbar, jedoch können sie von Smartphones empfangen werden. Auf diese Weise lassen sich die Nutzer*innen beispielsweise in einem Flur orten. Diese Signale nutzt die Navigationssoftware, in der digital aufbereitete Indoorkarten gespeichert sind, in denen sämtliche Flure, Treppen und Aufgänge genauestens verzeichnet sind. In Kombination dieser Techniken kann die spezielle App sehgeschwächte oder blinde Nutzer*innen bei ihrem Weg durch das Gebäude begleiten und sie zum Ziel führen.
Abbildung: CliWebNav
Für eine Pilotinstallation kooperierten die Hochschule Wismar und das Entwickler*innenteam der DEJ Technology GmbH aus Elmenhorst mit dem DRK-Krankenhaus Grevesmühlen. Dort wurde ein Campus-Teilbereich mit den genannten Ultraschallsensoren ausgerüstet. Der digitale Dienst wurde testweise in die Klinikwebseite integriert, die auch auf Mobilgeräten gut läuft, sodass keine separate App erforderlich war. Zudem wurden während der Pilotphase die Nutzer*innendaten anonymisiert aufgezeichnet und ausgewertet. Ziel der Analysen war, Erkenntnisse über tatsächlich gegangene Wege zu gewinnen, sodass sich zukünftige Besucher*innen noch einfacher auf dem Campus bewegen beziehungsweise führen lassen können.
Auch das Projekt Mobile der Hochschule Rhein-Waal testet Erleichterungen und Hilfsinstrumente im Nahverkehr. Funkverbindungen via Bluetooth und RFID ermöglichen es auf Bahnhöfen oder an Haltestellen, die von mehreren Linien angefahren werden, zu erfassen, welche Linie ein heranfahrendes Fahrzeug bedient beziehungsweise welches Fahrtziel es hat. Die Informationen, die Sehende auf Anzeigetafeln und am Fahrzeug ablesen können, müssen sehgeschwächte und blinde Menschen bislang stets erfragen. Wird diese Information von der nahenden U-Bahn, Straßenbahn oder dem heranfahrenden Bus direkt und digital übermittelt, kann sie zum Beispiel in eine Sprachmitteilung auf dem Smartphone umgesetzt werden. Die ebenso automatisierte wie schnelle „Orientierungshilfe“ dürfte sich aber als hilfreich für alle Benutzer*innen öffentlicher Nahverkehrsmittel erweisen.
Dass und wie sich sogenannte Wearables – am Körper tragbare Kleingeräte, die mit digitalen Funktionen und Vernetzung ausgestattet sind – immer mehr für eine selbstbestimmte Alltagsmobilität einsetzen lassen, demonstriert unter anderem die Firma feelSpace. Von ihr entwickelte, spezielle interaktive Gürtel geben fühlbare Signale, etwa wenn die richtige Haltestelle erreicht ist. Dieses Vorgehen hat sich besonders bei Menschen bewährt, die sehgeschwächt oder blind sind. Denn der Gürtel – oder ähnliche Wearables – lassen beispielsweise die Hände oder auch das Gehör frei, damit diese für andere Hilfsmittel verfügbar bleiben, etwa einen Taststock oder auch den Griff zum Smartphone.
Foto
Abbildung: Projekt Elevate | Sozialheld*innen
Zu den häufigsten Hindernissen im Alltag mobilitätseingeschränkter Menschen zählen defekte Aufzüge. Noch ärgerlicher ist es jedoch, wenn sie nicht als defekt ausgewiesen sind. Selbst die akkurateste Reise- oder Wege-Planung gerät dann unweigerlich ins Stocken. Das mFUND-Projekt Elevate Delta setzt genau an diesem Punkt an. Den Projektbeteiligten geht es darum, die Echtzeit-Informationen über den Betriebsstatus von Aufzügen im öffentlichen Raum zu erschließen und zu standardisieren. Herstellende und Betreiber*innen von Aufzügen sollen mit passenden Geräten beziehungsweise Zusatzmodulen in die Lage versetzt werden, Auskünfte zum Betriebsstatus von Aufzügen in Bahnhöfen, Bürogebäuden, Einkaufszentren und weiteren Orten digital zur Verfügung zu stellen, damit sich diese in bestehende Anwendungen, Karten und Apps integrieren lassen.
Um diese Informationen zu Aufzügen als standardisierte Basisdaten zu betrachten und handhaben zu können, setzte sich das Projektteam des Vereins Sozialhelden e. V. dafür ein, sie in die General Transit Feed Specifications (GTFS) aufzunehmen. Diese Spezifikationen, in den Nullerjahren entstanden, beschreiben ein digitales Austauschformat und gelten als ein internationaler De-facto-Standard für Verkehrs- beziehungsweise Mobilitätsdaten. Zu ihnen gehören Fahrplandaten des öffentlichen Personenverkehrs ebenso wie geografische Informationen, etwa die Standorte von Haltestellen. Durch ihre weite Verbreitung – als fest etablierte Datenspezifikationen – eignen sie sich gut dafür, eben auch für den Austausch von Betriebsdaten zu Aufzügen oder anderen Infrastruktureinrichtungen in Bahnhöfen, Flughäfen, Häfen und weiteren Gebäuden des öffentlichen Verkehrs genutzt zu werden.
Der Verein Sozialhelden e. V. geht sogar einen Schritt weiter, um solche und weitere Daten, die für mobilitätseingeschränkte Menschen elementar sind, nicht nur gut austauschbar, sondern auch breit verfügbar zu machen. Mit der von ihm initiierten Accessability Cloud sollen solche und weitere Mobilitätsdaten vielfach integriert und offen zur Verfügung gestellt werden. Die Accessability Cloud basiert auf Standards und offenen Schnittstellen und ist für Datensätze oder Datenströme von Mobilitätsdiensten oder Verkehrsbetrieben ebenso wie für Einträge von Bürger*innen oder zivilgesellschaftlichen Initiativen offen. Anfang März 2023 meldete die Plattform den Zugang zu mehr als 18 Datenquellen und Zugänglichkeitsdaten für knapp 3 Millionen Orte weltweit.
Foto: Mimi Vollgraf, CC BY 4.0 International
Siehe zu diesem Aspekt auch die dreiteilige Artikel-Serie auf Emmett, wie sich spezielle Apps und datengetriebene Services im Alltag behinderter Menschen tatsächlich bewähren. Drei aktuelle, beispielhafte Erfahrungsberichte mit Fotos und protokollierten Aussagen liegen vor: Marcel Wolf nutzt Broken Lifts, um nicht von defekten Aufzügen aufgehalten zu werden; Bedia Kunz nutzt Lazarillo, NotNav und die BVG Fahrinfo, um nicht ständig Menschen nach dem Weg fragen zu müssen; Wilhelmine Lenz nutzt Wheelmap, um nicht vor Treppenstufen haltmachen zu müssen.
Wie sich an den geschilderten Projekten zeigt, sind digitale, vernetzte Alltagsgeräte wie Smartphones, Smartwatches und Wearables gut geeignet, um Mobilitätshürden zu senken. Sie fungieren mit ihren zahlreichen Sensoren, multimedialen Fähigkeiten und ausgeprägten Vernetzungsmöglichkeiten als vielseitige Informationsempfänger und -übermittler sowie als Datenträger und -auswerter. Zudem ermöglichen sie viele Interaktionen im Hintergrund ohne manuelles Zutun oder Bedienen.
Beispiele hierfür sind die sogenannte „Check-In/Be-Out (CiBo)“-Lösung der Firma ivanto. Kern dieser Entwicklung ist eine Smartphone-App für digitale Tickets des öffentlichen Nahverkehrs, mit der das berührungslose Bezahlen möglich wird. Dadurch wird der Grad der Barrierefreiheit im ÖPNV verbessert. Zu diesem Zweck rüstet das Unternehmen Fahrzeuge und Umsteigebauwerke mit digitalen Funkmodulen aus. Mit diesen lässt sich erkennen und erfassen, wenn Menschen einsteigen, mitfahren und aussteigen, sofern sie ein Smartphone mit entsprechender – im Hintergrund aktivierter – App bei sich haben. Als Maßstab setzte sich Ivanto eigenen Angaben zufolge die Anforderungen sehbehinderter und mobilitätseingeschränkter Menschen für eine intuitive und einfache Nutzbarkeit.
Millionen Menschen in Deutschland haben als Schwerbehinderte oder aufgrund besonderer Mobilitätsbedürfnisse ein gesetzlich verankertes Recht darauf, den öffentlichen Verkehr barrierefrei nutzen zu können. An vielen Stellen und Orten zeigt sich, dass – in Verkehrsgebäuden und an Fahrzeugen – daran gearbeitet wird, ihnen dies zu gewährleisten. Zu vollständiger Barrierefreiheit gehört indes jedoch mehr als Aufzüge, feste und mobile Rampen sowie ausreichend rollstuhlgerechte Toiletten. Erforderlich sind vielmehr auch vielfältige und zielgruppengerechte, aktuelle, audiogestützte Informations-, Unterstützungs- und Serviceangebote für mobile Endgeräte, an Haltestellen und in Bahnhöfen. Dazu zählen beispielsweise Apps für intelligentes Routing, die barriererelevante Gegebenheiten in Gebäuden und bei eingesetzten Fahrzeugen berücksichtigen, oder Dienste für Sprachinformationen über nahende Busse an Haltestellen mit mehreren Linien.
Die in diesem Trendradar vorgestellten datengetriebenen Lösungen leisten ihren Beitrag, den Weg zu einer inklusiven Mobilität zu ebnen. Mit ihren cleveren, wenn zum Teil auch noch auf Pilotanwendungen oder kleine Einsatzgebiete begrenzten Innovationen helfen sie Menschen mit Behinderung und spezifischen Mobilitätsbedürfnissen ganz konkret: zum Beispiel bei der individuellen Planung und Bewältigung einer meist multimodalen Reise – eben auch mit Echtzeitdaten, wenn es unerwartete Störungen oder Probleme gibt. Ihre innovativen Ansätze, Daten für gezielte Informationen und bedürfnisgerechte Dienste zu nutzen, helfen am Ende aber allen Fahrgästen.
Sie setzen sich für barrierefreie Mobilität ein oder planen dies? Schreiben Sie uns!
Wenn Sie sich für eines der hier vorgestellten Projekte interessieren, damit es in Ihrem Stadtteil neue Impulse für einen barrierefreien Mobilitätsalltagsetzt, wenn Sie über nachahmenswerte Vorhaben für Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr Ihrer Stadt berichten oder wenn Sie Ideen für Projekte beziehungsweise Maßnahmen teilen wollen: Nehmen Sie Kontakt zu uns auf!
Gerne vermitteln wir Ihnen Ansprechpartner*innen der laufenden und abgeschlossenen Projekte sowie Kontakte zu Expert*innen. Sie können uns auch gerne Informationen zukommen lassen über gelungene Vorhaben, erneuerte Infrastrukturen oder zukunftsweisende Ideen, die die vollständige Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr thematisier(t)en. So oder so: Wir freuen uns auf Ihre Nachricht oder Ihren Beitrag!
Am besten erreichen Sie uns per E-Mail an die Emmett-Redaktion.
Aktion Mensch: Barrierefreiheit – was heißt das?, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Aktion Mensch: Inklusionsbarometer Mobilität 2022 (PDF), 2022 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Barrierefreie Bahn: Fakten zum Bahnfahren in Sachen Barrierefreiheit, Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Bergheim, Lukas: Daten sei Dank: So findet ein Mensch im Rollstuhl barrierefreie Orte, Emmett, 10.01.2023 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Bergheim, Lukas: Daten sei Dank: So kommt ein Mensch im Rollstuhl besser von A nach B, Emmett, 10.01.2023 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Bergheim, Lukas: Daten sei Dank: So kommt eine Person mit Sehbehinderung besser von A nach B, Emmett, 10.01.2023 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Bundesministerium der Justiz/ Bundesamt für Justiz, Gesetze im Internet: Personenbeförderungsgesetz (PBefG, Paragraf 8), 02.03.2023 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV): Über: Mobilithek – Deutschlands Plattform für Daten, die etwas bewegen, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Bundesregierung: Antwort auf eine Kleine Anfrage zu Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr (PDF), Deutscher Bundestag, 01.09.2022 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Bundeszentrale für politische Bildung, Rechtslexikon: UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Designbote: Universal Design: Die Kunst der universellen Gestaltung, 24.01.2019 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Deutsche Bahn: Sonderprogramm zur Förderung des barrierefreien Ausbaus kleiner und mittlerer Bahnhöfe, 21.12.2022 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Deutsche Bahn: Barrierefreie Bahnhöfe, 30.11.2021 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Emmett: Welche Chancen und Risiken birgt die Digitalisierung für eine inklusive und gendergerechte Mobilität?, 09.02.2023 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Emmett: Workshop: „Dateninnovationen im Bereich Digitales Bauen und Building Information Modeling (BIM) für eine effiziente Verkehrsinfrastruktur“, 20.01.2022 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Eur-Lex: Verordnung (EU) Nr. 1300/2014 der Kommission über die technischen Spezifikationen für die Interoperabilität bezüglich der Zugänglichkeit des Eisenbahnsystems der Union für Menschen mit Behinderungen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität (PDF), Die Europäische Kommission, 18.11.2014 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Feelspace: Sicher und entspannt unterwegs (Produktbeschreibungen), ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Fejes, Matthias: Gemeinsam für mehr Barrierefreiheit im Öffentlichen Personenverkehr, Technische Universität Chemnitz, 14.04.2021 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Forschungs-Informations-System: Barrierefreie Mobilität, 31.08.2022 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Hermann, Timo: Kurztipp: Bei der Bahn-Mobilitätszentrale Reise mit Rollstuhl anmelden, Mobilista.eu, 10.09.2013 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Hochschule Rhein-Waal: Mobile. Mobil im Leben, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Hochschule Wismar: BMVI Projekt CliWebNav mit Grevesmühlener Krankenhaus gestartet, 29.04.2020 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Ivanto: Innovative Mobilitätslösungen für barrierefreie urbane Mobilität (Produktbeschreibungen), ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Macquarrie, Kay: Bahnfahren einfach machen (für Rolli, Rad, Rollator, Buggy & Co), Petition auf Change.org, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
mFUND-Projekt Barrierefrei mobil im Kiez (Miki), ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
mFUND-Projekt CliWebNav – Webseiten-basierte Navigation in Kliniken mithilfe von Ultraschall, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
mFUND-Projekt Elevate Delta – Aufzugsdaten branchenübergreifend verfügbar machen, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
mFUND-Projekt OD2GUIDE – Skalierbare Plattform mit akustischen Wegeleit-Hinweisen für einen barrierefreien Personennahverkehr für Blinde, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
mFUND-Projekt OPENER next – Open-Data-Modelle, bürgerschaftliches Datenengagement und Navigation für einen barrierefreien Öffentlichen Personenverkehr, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
ÖPNV-Info: Mobilitätsportal für behinderte Reisende. Das Projekt, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Rickenberg, Lena; von Holtum, Henrik; Herzer, Jan Paul: Von Barrieren im Verkehrsalltag, gesellschaftlicher Teilhabe und Kontrabässen (Emmett in Transit, Ausgabe #7), 17.06.2021 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Rollingplanet: Neue Bundesregierung verschiebt Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr von 2022 auf 2026, 03.12.2021 (letzter Abruf: 24.03.2023).
RWTH Aachen University: ENABLE – Entwicklung und Evaluation eines inklusiven Mobilitätskonzepts – Projektphase 1, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Rydlink, Katherine: „Einer hat einmal gesagt: Behinderte haben doch eh keine Termine“, Spiegel, 26.07.2019 (letzter Abruf: 24.03.2023).
Schweizerische Bundesbahnen SBB: SBB inclusive – Kundeninformation für alle Reisenden, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Sozialhelden e. V.: Accessability Cloud, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Sozialhelden e. V.: Über Wheelmap, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Sozialhelden e. V.: Wir beim ITF, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Sozialverband VdK Sachsen: Projekt „ÖPNV für alle“, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Statistisches Bundesamt: 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen leben in Deutschland, 22.06.2022 (letzter Abruf: 28.03.2023).
Technische Universität Darmstadt: MOTIS Project - Intermodal Travel Information, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Wikipedia: Liste deutscher Tarif- und Verkehrsverbünde, ohne Datum (letzter Abruf: 24.03.2023).
Wilke, Felicitas: Aufzug kaputt bedeutet eine Stunde Umweg, Zeit Online, 16.02.2020 (letzter Abruf: 24.03.2023).