Foto: "Straße des 17. Juni, Berlin" von Schramm Photographie, via Flickr, lizenziert unter CC BY 2.0

In der Mitte gespiegeltes Negativ eines Fotos von einer Straße

ADP-Testfeld Berlin: automatisiertes Fahren im Härtetest

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Lukas Bergheim

ADP-Testfeld Berlin: automatisiertes Fahren im Härtetest

Bei Berliner Fahrschüler:innen bricht der Angstschweiß aus, wenn sie sich das erste Mal dem Großen Stern nähern. Genau dort testet ein Konsortium rund um die Technische Universität Berlin das automatisierte beziehungsweise vernetzte Fahren. Doch der riesige, sechsspurige Kreisverkehr ist nicht das einzige Element, das das ADP-Testfeld so besonders macht.

Vom Brandenburger Tor über den Großen Stern zum Zoo

Entlang des digitalen Testfelds „Autonomous Driving Playground“ (ADP) befinden sich mehrere Berliner Sehenswürdigkeiten. Es führt vom Brandenburger Tor über die Straße des 17. Juni zum Großen Stern – für Nicht-Berliner:innen: das ist der große Kreisverkehr mit der Siegessäule – und weiter bis zum Ernst-Reuter-Platz, an dem mit der Technischen Universität Berlin die Betreiberin des Testfelds ihren Sitz hat.

Die Strecke verläuft auf der Bundesstraße 2 und umfasst drei Fahrspuren in beide Richtungen, zwei große Kreisverkehre mit jeweils fünf Ein- und Ausfahrten, 15 Lichtsignalanlagen sowie mehr als 1.500 Parkplätze (parallel und schräg zur Fahrbahn, am Fahrbahnrand, auf dem Mittelstreifen und in separaten Parkbereichen). Außerdem gehören auch Fahrradwege neben der Straße, kreuzende Rad- und Fußwege, bewaldete und bebaute Abschnitte sowie Brücken zum Testfeld.

Das Testfeld war beim Start im Jahr 2019 rund 3,7 Kilometer lang und wird bis 2023 erweitert, sodass die Strecke dann rund 10 Kilometer misst. Durch diesen Ausbau, unter anderem vom Richard-Wagner-Platz über die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche bis zum Adenauerplatz, wird das Testfeld zu einem der größten innerstädtischen Testfelder Deutschlands. Zudem bietet es nahezu jeder Forschung, die sich mit dem Fahren in allen Autonomiestufen befasst, entsprechende Möglichkeiten und Herausforderungen.

Kartenausschnitt von Berlin

Screenshot: Emmett, Quelle: DAI-Labor

Das erweiterte ADP-Testfeld im Berliner Westen wird rund 10 Kilometer lang sein.
In der Leitstelle laufen die verschiedenen Sensordaten zusammen.

Screenshot: Emmett, Quelle: DAI-Labor

In der Leitstelle laufen die verschiedenen Sensordaten zusammen.
Die Infrastruktur

Technologisch betrachtet – die Beteiligten bezeichnen das gesamte Testfeld als „ADP Testbed“ – kommen zahlreiche Komponenten zum Einsatz, die ständig weiterentwickelt werden:

  • bislang etwa 80 straßenseitige Sensoren: um beispielsweise freie Parkplätze, Verkehrsteilnehmer:innen, den Fahrbahnzustand, die Luftqualität und die Wetterverhältnisse zu erfassen,
  • eine Edge-Computing-Infrastruktur: um etwa Daten lokal zu verarbeiten und zu analysieren, Vorhersagen zu erstellen sowie Entscheidungen auf lokaler Ebene und mit geringer Verzögerungszeit (Latenz) zu fällen,
  • eine Cloud-Infrastruktur: um alle Daten umfassend zu sammeln und zu analysieren, für eine übergreifende Entscheidungsfindung und für den Betrieb der Leitstelle,
  • Software für maschinelles Lernen: um temporäre Straßenhindernisse, Gefahrenstellen sowie Verkehrsteilnehmer:innen und deren Bewegungsrichtung zu erkennen, die Verfügbarkeit von Parkplätzen und die Verkehrslage zu bestimmen,
  • eine sogenannte Data-Analytics-Engine: um Sensordaten zu analysieren und zukünftige Situationen vorherzusagen,
  • eine V2X-Infrastruktur: zur Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur, um beispielsweise aktuelle und zukünftige Ampelphasen, aggregierte Sensordaten, Fahrzeugdaten und Vorhersagen zu übermitteln oder vor Gefahrensituationen zu warnen,
  • sowie eine auf dem Internetprotokoll (IP) basierende Kommunikationsinfrastruktur, die mittels WLAN, Mikrowelle und 4G/ 5G den Datenfluss zwischen der Cloud und den Edge-PCs beziehungsweise den Fahrzeugen synchronisiert.
Entlang der Strecke sind aktuell rund 80 Sensoren installiert, die aus dem Projekt DiginetPS stammen. Bis 2023 sollen es im Rahmen von BeIntelli rund 250 Sensoren werden.

Screenshot: Emmett, Quelle: DAI-Labor

Entlang der Strecke sind aktuell rund 80 Sensoren installiert, die aus dem Projekt DiginetPS stammen. Bis 2023 sollen es im Rahmen von BeIntelli rund 250 Sensoren werden.
Die Sensoren lieferten im Projekt DiginetPS Live-Daten von der Teststrecke.

Screenshot: Emmett, Quelle: DAI-Labor

Die Sensoren lieferten im Projekt DiginetPS Live-Daten von der Teststrecke.

Es stehen künftig mehrere Test-Fahrzeuge zur Verfügung: Neben zwei PKW auch zwei Transporter und ein Linienbus (siehe unten: Projekt BeIntelli), die zum Teil noch umgebaut, getestet und für das automatisierte Fahren zugelassen werden müssen. Erklärtes Ziel ist, dass Daten und Dienste über die BeIntelli-Plattform zur Verfügung gestellt werden und somit auch Externe die Teststrecke nutzen können.

Auf dem Testfeld können Forscher:innen und Entwickler:innen eine Vielzahl an Szenarien ausprobieren, sowohl einfache automatisierte Fahrfunktionen ohne Interaktion (Ego Car) als auch vernetzte Szenarien. Zudem wird es für kooperative Fahrsituationen ausgerüstet, in denen Fahrzeuge und Infrastruktur kommunizieren und gemeinsam agieren, sodass schwierige Manöver sicher vonstattengehen, sowie für Schlechtwetter- und Rückfall-Szenarien, also Situationen, in denen ein Mensch das Steuer wieder übernehmen muss.

Die Projektpartner:innen

Die Technische Universität Berlin betreibt das Testfeld zusammen mit zahlreichen Partner:innen im Projekt BeIntelli, federführend ist das Distributed Artificial Intelligence Laboratory, kurz DAI-Labor.

Die beteiligten Partner:innen sind ADAC Berlin-Brandenburg, Berliner Verkehrsbetriebe, Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, Cheil Germany, Continental Automotive, DB Regio Bus Ost, GT-ARC, IAV automotive engineering, T-Systems International, TÜV Nord und VMZ Berlin.

Wenn Sie auf der oben eingebetteten Karte auf eines der Testfelder klicken, und dort den Link „Mehr Informationen“ sehen, gelangen Sie darüber zu einem Beitrag über das jeweilige Testfeld. Im Fokus stehen darin die dort vorhandene Infrastruktur und Nutzung von Technologien sowie die laufenden Forschungsprojekte. Nach und nach werden wir Ihnen so die derzeitigen deutschen Testfelder für automatisiertes und vernetztes Fahren vorstellen.

Diese Karte der digitalen Testfelder in Deutschland erhebt noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ihnen fehlt ein Testfeld oder ist ein Fehler aufgefallen? Melden Sie sich bei uns! Per E-Mail an redaktion@emmett.io oder via LinkedIn oder Twitter.

Die Forschungsziele

Zusammen mit dem ADP-Testfeld stellen die Betreiber:innen neben Infrastruktur auch Daten, Tools und eine Plattform bereit. Dies soll umfangreiches Testen ermöglichen, etwa von Algorithmen für Künstliche Intelligenz (KI) oder von Fahr- und Vernetzungsfunktionen automatisierter und vernetzter Fahrzeuge im Realbetrieb. Unternehmen aus der Mobilitätsbranche können mit den bereitgestellten historischen und Echtzeit-Mobilitätsdaten an ihren Produkten feilen, bis sie ausgereift sind – um sie dann wiederum auf der Plattform testen zu können.

Die Forschungsprojekte

BeIntelli

Das jüngste der ADP-Testfeld-Projekte läuft seit Anfang 2021. Im Rahmen von „BeIntelli“ erforschen die Beteiligten bis Mitte 2023 zahlreiche Anwendungsfelder, vom automatisierten und vernetzten Fahren (auch im ÖPNV) bis hin zu automatisierten Logistiklösungen für die letzte Meile. Insbesondere wollen die Forscher:innen ausloten, welche Möglichkeiten der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Mobilität mit sich bringt. Die im Projekt anfallenden Daten aus Infrastruktur und Fahrzeugen sowie die KI-Anwendungen stellen die Betreiber:innen für Unternehmen und Start-ups auf einer zentralen, offenen Plattform bereit, damit diese daraus eigene Geschäftsmodelle und Services entwickeln können.

Außerdem soll das Projekt ein „Schaufenster“ sein und den Menschen ermöglichen, KI-Mobilitätsanwendungen auszuprobieren und durch das eigene Erleben besser zu verstehen. Am eindrücklichsten dürfte dies im „Erklärbus“ gelingen, der im kommenden Jahr startet. Es handelt sich dabei um einen automatisiert fahrenden Linienbus, der den Fahrgästen auf großen Bildschirmen in Echtzeit zeigt, wie die Sensoren an der Straße und am Bus zusammenarbeiten und wie die Software das Fahrzeug steuert. Darüber hinaus soll der Bus bei Veranstaltungen genutzt werden, um über KI in der Mobilität zu informieren.

Durch eine Aufstockung des Projekts werden auch Lieferroboter angeschafft, deren Funktionalität und Nutzen nun im Zusammenspiel mit den anderen Fahrzeugen im urbanen Raum getestet werden. Dadurch werden weitere Aspekte der Logistik erforscht, allen voran bei der Lieferung auf der letzten Meile.

Das Projektvolumen beläuft sich auf rund 20 Millionen Euro, die im Rahmen einer Förderung zum Großteil vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV, vormals BMVI) bereitgestellt werden. Den übrigen Anteil bringen die Partner:innen ein.

Zentrum für erlebbare KI (ZEKI)

Das Zentrum für erlebbare KI wurde Ende 2021 gegründet und ist ein Verein zur Förderung der Nutzung – bei gleichzeitiger Erlebbarmachung – von KI. Ziel des Vereins ist, sowohl Expert:innen als auch interessierten Bürger:innen Künstliche Intelligenz und deren Anwendungsfälle, unter anderem in der Mobilität, näher zu bringen.

5G Mobix

In diesem seit Ende 2018 laufenden Projekt wollen die Forscher:innen noch bis Mitte 2022 automatisierte Fahrfunktionen unter Verwendung des Mobilfunkstandards 5G erproben.

DiginetPS

Dieses Projekt war der Anfang des ADP-Testfelds in Berlin. Im Rahmen von DiginetPS bauten die Beteiligten von April 2017 an ein digitales Testfeld für automatisiertes Fahren in hochkomplexen Verkehrssituationen auf, nach Betreiberangaben deutschlandweit das erste. Das Projekt endete 2019 und legte mit seinen Leistungen und Ergebnissen die Grundlage für alle Nachfolgeprojekte an diesem Ort.

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