Im digitalen Testfeld für automatisiertes Fahren in Düsseldorf testet die Stadt gemeinsam mit zahlreichen Technik-Unternehmen und Forscher*innen, wie Fahrzeuge und Infrastruktur am besten miteinander kommunizieren. Systeme und Apps, die in zwei Projekten entwickelt wurden, ermöglichen es Bussen, Auto- und Radfahrer*innen, sich mit Echtzeitdaten auf Ampelschaltungen einzustellen – und diese sogar zu beeinflussen.
Die digitale Teststrecke in Düsseldorf ist etwa 20 Kilometer lang und umfasst Autobahn-Abschnitte, zwei Autobahnkreuze und Straßen in der Stadt mit Tunneln, Brücken sowie Kreuzungen mit und ohne Ampeln. Ab 2017 wurde sie von der Stadtverwaltung gemeinsam mit weiteren Partner*innen eingerichtet.
Das Testfeld und die Tests setzen die am Projekt „Kooperative Mobilität im digitalen Testfeld Düsseldorf“ (KoMoD) beteiligten Partner*innen um. Neben der Stadt Düsseldorf als Projektkoordinatorin gehören dazu das Land Nordrhein-Westfalen (NRW), vertreten durch die Straßenbauverwaltung Straßen.NRW, Telekommunikations- und Verkehrstechnik-Unternehmen, Automobilhersteller, Produzenten von Fahrzeugkomponenten sowie Forschungseinrichtungen. Die insgesamt 16 Partner*innen arbeiten auch im Nachfolgeprojekt KoMoDnext zusammen.
KoMoD lief von Juni 2017 bis August 2019, gefördert vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Die Projektpartner*innen wollten vor allem die beiden folgenden Fragen beantworten: Wie kann die technische Infrastruktur im Testfeld am besten mit den Fahrzeugen kommunizieren? Wie verarbeiten die Testfahrzeuge die Informationen, die sie von der Infrastruktur in Echtzeit erhalten?
Die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Umgebung wird auch V2X-Technologie genannt. „V“ steht für Vehicle, „X“ für die Umgebung und die Infrastruktur, in der die Fahrzeuge unterwegs sind.
Die Partner*innen untersuchen in den Projekten zwei verschiedene Wege der V2X-Kommunikation:
- Den Austausch von Daten via Mobilfunk: Per Mobilfunk können Infrastruktur und Fahrzeuge Daten über längere Distanzen senden und empfangen. Zum einen übertragen die Fahrzeuge Ereignismeldungen und Warnmeldungen an die Verkehrsleitzentrale des Landes NRW in Leverkusen und an die Verkehrszentrale der Stadt Düsseldorf. Warnmeldungen sind beispielsweise „Das Fahrzeug bremst abrupt.“, „Der Airbag wurde ausgelöst.“ oder „Der Warnblinker ist aktiv.“. Zum anderen senden die Leitzentralen Verkehrsinformationen an die Fahrzeuge, die auf der Teststrecke unterwegs sind. Dazu gehören zum Beispiel Geschwindigkeitsbeschränkungen, Fahrbahnsperrungen oder Staumeldungen.
- Die Datenübermittlung via Road Side Units (RSU): Eine Road Side Unit ist ein Funkmodul, das zur Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur eingesetzt wird. Es ist beispielsweise an Ampeln oder Tunnelzufahrten angebracht. Über den WLAN-Standard ITS G5, der Daten über kurze Distanzen sendet, erhalten Fahrzeuge von der jeweiligen RSU im Testfeld Informationen. Unter anderem darüber, wie lange eine Ampel noch rot oder grün anzeigt, ob es einen Stau oder einen Unfall im Tunnel gibt oder ob die Fahrbahn nass ist. Die Fahrzeuge dienen dabei auch als Datenlieferanten: Sie funken beispielsweise Informationen über ihre Position und ihre Geschwindigkeit. Diese Daten nimmt die RSU entgegen, um die Verkehrslage zu ermitteln. Sie leitet die Informationen an eine spezielle Softwarekomponente in den digitalen Verkehrssteuergeräten einer Kreuzung oder eines Tunnels weiter. Diese Softwarekomponente führt die Daten aus den Fahrzeugen mit Messdaten zusammen, die durch bestehende Detektoren erfasst werden, beispielsweise durch Radardetektoren oder feste Induktionsschleifen im Asphalt. Mithilfe dieser gesammelten Daten aus den verschiedenen Quellen ermittelt die Softwarekomponente die Verkehrslage, aus der sich Warnmeldungen ergeben können. Diese Warnmeldungen gehen dann wiederum den Fahrzeugen zu. Zudem geben die Verkehrszentralen des Landes und der Stadt über die RSU auch Stauwarnungen, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Umleitungsempfehlungen an die Fahrzeuge weiter.
Die Partner*innen testeten in verschiedenen Szenarien (Use Cases), welche der beiden Technologien für welche Anforderungen und unter welchen Rahmenbedingungen Vorteile hat. Sie prüften außerdem unter welchen Bedingungen es sinnvoll ist, sie parallel einzusetzen, um sicheres teil- oder vollautomatisiertes Fahren zu ermöglichen.
Das Nachfolgeprojekt KoMoDnext, ebenfalls gefördert vom BMVI, baut auf den Erkenntnissen des KoMoD-Projekts auf. Nun wollen die Partner*innen vor allem herausfinden: Wie lassen sich Daten von Fahrzeugen nutzen, um den Verkehr intelligenter zu steuern und automatisiertes Fahren zu ermöglichen? Welche Daten braucht es dafür vor allem? KoMoDnext startete Anfang des Jahres 2020 und läuft bis Ende des Jahres 2021.
Für KoMoD und KoMoDnext sind Versuchsfahrzeuge vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), von der RWTH Aachen, vom Technologiekonzern ZF sowie von Ford und Audi unterwegs. Außerdem fahren in dem Testfeld speziell ausgerüstete Linienbusse des ÖPNV-Unternehmens Rheinbahn.
Im Rahmen von KoMoD konnten die Versuchsfahrzeuge verschiedene Szenarien ausprobieren: Über die Autobahnen 57 und 52 und die Bundesstraße 7 ins städtische Straßennetz, durch den Rheinalleetunnel, über die Rheinkniebrücke und über unterschiedliche Kreuzungen.
Auf der Strecke empfingen sie Daten von Teilen der Infrastruktur, unter anderem von:
- Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA) auf den Autobahnen: Eine SBA ist beispielsweise eine Schilderbrücke, die auf der Autobahn Tempolimits, Baustellen oder Überholverbote anzeigt. Die Testfahrer*innen konnten sich bei KoMoD unter anderem die Informationen der SBA im Fahrzeug anzeigen lassen, noch bevor die Schilderbrücken in Sichtweite waren. So konnten sie beispielsweise ihr Tempo frühzeitig anpassen und mussten im besten Fall möglichst wenig bremsen und beschleunigen. Gab es auf der Strecke einen Stau oder einen Unfall, schickten die Verkehrszentralen von Straßen.NRW in Leverkusen und der Stadt Düsseldorf alternative Routenempfehlungen ins Fahrzeug.
- der Verkehrssteuerung des Rheinalleetunnels: Wenn die Versuchsautos sich dem Tunnel näherten, bekamen sie zunächst über Mobilfunk Informationen der Tunnelverkehrssteuerung angezeigt, beispielsweise zum Tempolimit im Tunnel oder zu Tunnelsperrungen. Diese Daten stellte die Verkehrszentrale Düsseldorf bereit. Sobald die Fahrzeuge in Reichweite der RSUs an den Tunneleingängen und -ausgängen waren, lieferten die RSUs die entsprechenden Daten über WLAN.
- Ampeln: Näherten sich die Fahrer*innen der Testfahrzeuge einer Kreuzung, erhielten sie über Mobilfunk oder die RSUs Informationen zur Kreuzung: die Anzahl der Fahrstreifen, die Positionen der Haltelinien sowie welche Fahrzeuge in welche Richtungen fahren und abbiegen dürfen. Sie wurden zudem darüber informiert, wie lange die Ampel noch grün ist. Musste das Fahrzeug vor einer roten Ampel warten, wurde die restliche Wartezeit angezeigt. Diese Schaltzeitprognose ermittelte das System auf zwei verschiedenen Wegen. Erstens über eine Softwarekomponente im digitalen Verkehrssteuergerät der Ampelkreuzung: Bei diesem lokalen Ansatz verteilt die RSU an der Ampel die Daten aus dem Steuergerät an die Versuchsfahrzeuge im WLAN-Empfangsbereich weiter. Zweitens zentral in der Verkehrszentrale der Stadt: Dort ist eine Softwarekomponente mit dem Verkehrsrechner der Stadt verbunden, der die Ampeln steuert. Über den Verkehrsrechner bekommt die Softwarekomponente die aktuellen Ampeldaten. Die Schaltzeitprognosen gelangten dann via Mobilfunk an die Testfahrzeuge.
Vollautomatisiertes Fahren spielte bei KoMoD lediglich in einem Szenario eine Rolle: Im Use Case „Smart Parking“ parkten Testfahrzeuge im vernetzten Parkhaus autonom ein und aus.
Smarte Bus-Beschleunigung:
Auch Linienbusse sind Teil des digitalen Testfelds in Düsseldorf. „Wir haben uns gefragt: Wie können wir die Schaltzeitprognose der Ampeln sinnvoll in Bussen nutzen und so dazu beitragen, dass Busse schneller durch die Stadt kommen?“, sagt Torben Hilgers, Projektleiter von KoMoD und KoMoDnext bei der Softwarefirma Heusch/ Boesefeldt. Er koordiniert die Projekte gemeinsam mit Heiko Böhme vom Amt für Verkehrsmanagement.
16 Busse des Düsseldorfer Verkehrsunternehmens Rheinbahn erhielten Onboard-Units (OBU). Wie die anderen Versuchsfahrzeuge können sie über WLAN mit den Road Side Units und via Mobilfunk mit den Verkehrszentralen kommunizieren. Die Busse senden über ihre OBU eine Nachricht, dass sie an der Ampelkreuzung bevorzugt grün bekommen wollen. Die Nachricht enthält Daten zur Position, Fahrtrichtung, Geschwindigkeit und Buslinie. Als Rückmeldung bekommt die OBU Informationen zur Kreuzungstopologie, zum Rot-Grün-Status der Ampeln, die für den Linienverlauf des Busses wichtig sind, und einen Countdown der Grün- beziehungsweise Rotphase. „Die OBU sagt den Fahrerinnen und Fahrern beispielsweise: Du kannst noch ein paar Sekunden länger an der Haltestelle stehen, du bekommst auf jeden Fall grün an der nächsten Ampel“, erklärt Hilgers. „Oder: Wenn du jetzt die Türen schließt und losfährst, kommst du bei grün über die Ampel.“
Apps für grüne Welle:
Für Auto- und Radfahrer*innen entwickelte das KoMoD-Projektteam den „Ampel-Phasen-Assistent“. Die App signalisiert den Fahrer*innen mit Bild und Ton, mit welcher Geschwindigkeit sie die nächsten Ampeln passieren können, ohne anhalten zu müssen. Außerdem zeigt sie an, in wie vielen Sekunden eine Ampel wieder auf grün schaltet.
Mittlerweile wurde die App in TrafficPilot umbenannt und ist für das gesamte Düsseldorfer Stadtgebiet verfügbar. Etwa 70 Prozent der mehr als 600 Ampelanlagen unterstützen die App. Nutzer*innen können sie in den gängigen App-Stores herunterladen. Weitere Städte wie Frankfurt am Main, Kassel, Wuppertal oder Hannover wollen den Traffic Pilot ebenfalls einführen.
Eine weitere Anwendung, die aus KoMoD entstanden ist, ist der Dienst Ampelinfo Online von Audi. Der Autohersteller bietet ihn für neue Serienfahrzeuge an. Der Dienst nutzt wie die App TrafficPilot die Daten der Ampelschaltzeitprognose und zeigt Fahrer*innen an, mit welcher Geschwindigkeit sie die grüne Welle nutzen können und wie lange sie vor Ampeln warten müssen.
Offenes Testfeld für interessierte Dritte:
Viele Daten, Dokumentationen und Schnittstellen des Testfelds stehen über die Projektseite von KoMoD anderen Nutzer*innen zur Verfügung. Mit diesen Informationen konnten auch interessierte Dritte die digitalisierten Teststrecken in Düsseldorf befahren: „Mithilfe der offenen Schnittstellen wussten diejenigen, die das Testfeld während der Projektlaufzeit von KoMoD durchfuhren, wie sie die Daten empfangen können und wie die Daten zu interpretieren sind“, sagt Projektleiter Hilgers. In der KoMoD-Projektphase nutzten Daimler und Audi diese Möglichkeit.
Zurzeit rüsten die Beteiligten das Testfeld für das Nachfolgeprojekt KoMoDnext aus. Die dann installierten Technologien können Dritte voraussichtlich ab Ende August 2021 wieder im Testfeld nutzen, schätzt Hilgers. Interessierte sollten sich vorher beim KoMoD-Projektbüro melden.
Anmeldung bei Ampeln mit der App TrafficPilot:
Die Projektpartner*innen wollen die TrafficPilot-App für den Radverkehr weiterentwickeln. Ziel ist, dass die App die Radfahrer*innen bei einer Ampel anmeldet, wenn sie darauf zufahren. Lässt die Verkehrslage es zu, schaltet die Ampel für Radfahrer*innen auf grün.
Vollautomatisiertes Fahren in der Stadt:
Mit KoMoDNext wollen die Projektpartner*innen den nächsten Schritt in Richtung vollautomatisiertes Fahren gehen und das automatisierte Fahren in ausgewählten Abschnitten im Testfeld erproben. Dabei sitzen immer Sicherheitsfahrer*innen in den Testfahrzeugen, die in Notfällen eingreifen können.
„Im Use Case Knotenpilot versuchen wir, mit das schwerste Fahrmanöver automatisiert umzusetzen, das wir im innerstädtischen Bereich finden können“, sagt Torben Hilgers. Die Testfahrzeuge sollen an einer Ampelkreuzung nach links abbiegen. Der geradeaus fahrende Gegenverkehr auf zwei Fahrspuren hat grün, ebenso die geradeaus gehenden Fußgänger*innen. „Das linksabbiegende Testfahrzeug muss also zuerst durch diesen Strom von Fahrzeugen und Radfahrern, die ihm entgegenkommen. Danach muss es auf die Fußgänger aufpassen“, so Hilgers. Kameras an den Kreuzungen sollen die Fußgänger*innen erfassen, Radaranlagen den Gegenverkehr absichern. „Diese Informationen werden redundant per Mobilfunk und über RSU an das Fahrzeug übermittelt“, sagt Hilgers.
Letztlich sei aber klar, dass man nicht an jedem Verkehrsknoten solch einen großen Aufwand betreiben könne. Deshalb schaut das Projektteam bei KoMoDnext, wie viele Daten von außen die Fahrzeuge eigentlich benötigen, um sich zurechtzufinden. Wie groß ist der Schritt, bis sie selbsttätig zurechtkommen? Einen Großteil der Informationen müssen die Fahrzeuge mit Eigendetektion – wie Laser-, Radar- oder Kamerasensoren – bereits jetzt eigenständig erfassen.
„Wir wollen die sichere Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur unter realen Verkehrsbedingungen testen“, so Hilgers. „Gleichzeitig wollen wir die Daten der Verkehrsteilnehmer nutzen, um die Verkehrssteuerung zu optimieren.“
Erklärtes Ziel von KoMoDnext ist, dass künftig alle Verkehrsteilnehmer*innen von den neuen Technologien profitieren.
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