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eine Frau fährt Auto

ITS Testfeld Merzig: Wo das Zusammenspiel von Auto und Mensch erforscht wird

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Kirsten Lange

ITS Testfeld Merzig: Wo das Zusammenspiel von Auto und Mensch erforscht wird

Seit 2014 gibt es in der saarländischen 30.000-Einwohner:innen-Stadt das ITS Testfeld Merzig, kurz: ITeM. Wissenschaftler:innen erforschen dort unter anderem, wann ein automatisiert fahrendes Auto das Steuer an die Fahrer:innen übergeben kann, ohne dass diese Übergabe die Menschen zu sehr stresst.

Das Testfeld in Merzig und Saarbrücken

Das ITS Testfeld Merzig – ITS steht für „Intelligent Transportation Systems“, also für intelligente Mobilitätssysteme – umfasst Stadtstraßen, Parkplätze und Autobahnanschlüsse. Durch Merzig fahren viele Autos, auch weil die Kleinstadt an der Autobahn 8 liegt. Seit 2020 sind außerdem Kreuzungen in der rund 35 Kilometer Luftlinie entfernten Landeshauptstadt Saarbrücken Teil von ITeM.

Das Testfeld in Merzig ist Ausgangspunkt und wichtiger Bestandteil des länderübergreifenden Digitalen Testfelds Deutschland-Frankreich-Luxemburg.

Straßenkarte mit roten und grünen Markierungen

Bild: ITeM

Die grünen Punkte zeigen bereits aufgebaute oder geplante stationäre Roadside-Stations an Kreuzungen im ITS Testfeld Merzig, die roten Punkte markieren Beispielpositionen für mobile Roadside-Stations.
Die Infrastruktur

Den Kern des Testfelds stellen vier Kreuzungen im Zentrum dar, unter anderem am Rathaus, an einem Kreisverkehr und an einer viel befahrenen Brücke. Sie sind mit Roadside Units (RSU) und Kameras ausgestattet. Unter RSU versteht man technische Sende- und Empfangseinheiten, die die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und der Infrastruktur ermöglichen. Verkehrskameras zählen die Autos und erkennen die Testfahrzeuge. Spezielle Kameras für Fußgänger:innen erkennen die Bewegungen von Menschen: Position, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit. Die Kameras geben diese Daten an Rechner weiter, die sie verarbeiten und speichern. Die Kamerabilder selbst werden nicht übermittelt oder gespeichert.

Zum Testfeld zählen die Betreiber:innen der Hochschule HTW Saar auch die weitere Umgebung in der Stadt. Sie verfügen über mobile Roadside Units, mit denen sie bei Bedarf auch andere Gebiete mit Vehicle-to-X-Kommunikation (V2X) abdecken können: beispielsweise Autobahnauffahrten, Parkplätze oder weitere Kreisverkehre.

Kamera an einer Ampel

Foto: ITeM

Kameras nehmen den Verkehr auf dem Testfeld auf.
Roadside Unit an einem Laternenmast

Foto: ITeM

Roadside Units ermöglichen die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur.
Die Projektpartner:innen

Die Forschungsgruppe Verkehrstelematik (FGVT) der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW Saar) betreibt das Testfeld. Das Bundesforschungsministerium förderte es im Jahr 2013 einmalig mit 533.000 Euro, die Staatskanzlei des Saarlands im selben Jahr mit 133.000 Euro.

Unterstützer:innen sind unter anderem die Stadt Merzig, der Landesbetrieb für Straßenbau, das saarländische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr sowie die verschiedenen Betreiber:innen der Verkehrsanlagen.

Die Forschungsziele

Der Faktor Mensch ist ein Schwerpunkt der Forscher:innen auf dem Testfeld Merzig. So entwickelten im Jahr 2015 Wissenschaftler:innen der Fakultät „Systems Neuroscience & Neurotechnology Unit“ (SNNU), die zur Universität des Saarlands und zur HTW Saar gehört, das sogenannte neurokognitive Testfeld. Es ist Teil von ITeM. Forscher:innen testen beispielsweise die Reaktionen der Fahrer:innen und Beifahrer:innen beim automatisierten Fahren, ihre Aufmerksamkeit und ihre Gefühle. Sicherheit für sogenannte VRUs (Vulnerable Road Users), das heißt vor allem für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen, ist ein weiteres Forschungsthema.

Nach Aussage der Testfeld-Verantwortlichen aus der Forschungsgruppe Verkehrstelematik ist ITeM auch für kleine und mittelständische Unternehmen aus der Region interessant, die in Zusammenarbeit mit der HTW Saar Wissen zum automatisierten Fahren sammeln, Produkte weiterentwickeln und testen wollen. Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die das Testfeld nutzen oder Daten zur Infrastruktur haben möchten, können sich an den zuständigen Mitarbeiter der FGVT wenden.

Ein weiteres Ziel der ITeM-Verantwortlichen: Den Bekanntheitsgrad des Testfelds im Speziellen sowie des automatisierten Fahrens und der intelligenten Mobilität im Allgemeinen bei Bürger:innen steigern. Alle zwei Jahre findet ein Tag des offenen Testfeldes statt – wenn er nicht gerade wegen einer Pandemie ausfällt.

Wenn Sie auf der oben eingebetteten Karte auf eines der Testfelder klicken und dort den Link „Mehr Informationen“ sehen, gelangen Sie darüber zu einem Beitrag über das jeweilige Testfeld – Merzig finden Sie übrigens nordwestlich von Saarbrücken. Im Fokus stehen darin die dort vorhandene Infrastruktur und Nutzung von Technologien sowie die laufenden Forschungsprojekte. Nach und nach werden wir Ihnen so die derzeitigen deutschen Testfelder für autonomes und vernetztes Fahren vorstellen.

Diese Karte der digitalen Testfelder in Deutschland erhebt noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ihnen fehlt ein Testfeld oder ist ein Fehler aufgefallen? Melden Sie sich bei uns! Per E-Mail an redaktion@emmett.io oder via LinkedIn oder Twitter.

Die Forschungsprojekte

Die Forschungsgruppe Verkehrstelematik führt viele eigene Projekte auf dem Testfeld Merzig durch.

Projekt kantSaar

Zum Zusammenspiel von Auto und Mensch beim vernetzten und automatisierten Fahren forschten Wissenschaftler:innen der FGVT und der SNNU im Projekt kantSaar (Kooperatives, automatisiertes Fahren im neurokognitiven Testfeld Saarland). Das Projekt wurde vom Bundesverkehrsministerium gefördert.

Die Forscher:innen wollten unter anderem herausfinden, in welchen Situationen es notwendig ist, dass die Menschen an Bord die Kontrolle über das vernetzte Auto übernehmen – und ob die Fahrer:innen und Beifahrer:innen in diesen entscheidenden Momenten auch bereit dazu wären.

Das konkrete Ziel war, eine technische Lösung zu schaffen, die alle verfügbaren Informationen in einer Verkehrssituation erfasst und zusammenführt. Mit diesen Daten sollen dann Algorithmen eine Aussage darüber treffen, ob ein automatisiertes Fahrzeug in einer bestimmten Situation das Fahren besser an den Menschen übergibt.

„Die Annahme dahinter ist, dass ein automatisiertes Fahrzeug nicht jede Situation bewältigen kann“, erklärt Projektleiter Andreas Otte von der HTW Saar. „Dies kann der Fall sein, wenn es keine genauen Daten über die Spurführung gibt, beispielsweise bei kurzfristigen Baustellen, oder wenn die Verkehrsinfrastruktur oder die Ausstattung des Fahrzeugs für bestimmte Verkehrssituationen nicht ausreicht. In diesen Fällen muss ein Mensch in die Situation eingreifen können.“ Wenn das Fahrzeug frühzeitig wisse, dass es sich Gebieten nähere, die sich nicht für automatisiertes Fahren eignen, könne es die rechtzeitige Übergabe planen.

Die Forscher:innen erfassten im Projekt kantSaar folgende Daten:

  • Statische und dynamische Verkehrsdaten: Welche Verkehrsteilnehmer:innen sind wo um das Forschungsfahrzeug herum unterwegs? Welches Signal zeigt die Ampel an? Welche Fahrspuren gibt es?
  • Fahrzeugdaten: Welche Beschleunigungen wirken gerade auf das Fahrzeug? Wie schnell bewegt es sich in welche Richtung? Welche Lichter sind aktiv? Sind die Scheibenwischer aktiv?
  • Umweltdaten: Wie ist das Wetter im jeweiligen Moment und wie wirkt es sich auf die Fahrbedingungen aus?
  • Fahrer:innenbezogene Daten: Wie geht es den Fahrer:innen? Was tun sie? Wie aufmerksam sind sie?

„Diese Daten werden zu einer Situation, zu einem Snapshot, zusammengeführt“, sagt Otte. „Auf dieser Datenbasis bewerten KI-Algorithmen, ob das Fahrzeug die Fahraufgabe an den Menschen übergeben kann.“ Um Trainingsdaten für die Künstliche Intelligenz zu sammeln, schickten die Forscher:innen Fahrer:innen und Beifahrer:innen in Testautos über die Straßen in Merzig und Saarbrücken. Kameras und Infrarotkameras filmten die Menschen beim Fahren. Danach sollten die Testfahrer:innen einschätzen, wie wohl sie sich beim Fahren gefühlt hatten. Andere Studienteilnehmer:innen sahen sich die Aufzeichnungen an. Sie sollten bewerten, ob sie sich in der Lage gefühlt hätten, das Fahren in den jeweiligen Situationen zu übernehmen.

Ergebnis des Projekts: Es können nun Aussagen darüber getroffen werden, ob in bestimmten Gebieten in der Stadt zu bestimmten Uhrzeiten teilautomatisiertes Fahren möglich ist und ob in diesen Gebieten zu diesen Uhrzeiten eine Übergabe der Fahraufgabe an den oder die Fahrer:in sinnvoll wäre. Diese Informationen können nach Aussage Ottes zur Routenplanung verwendet werden. Diese Routenplanung kann beispielsweise berücksichtigen, in welchen Verkehrssituationen die Menschen an Bord eher bereit sind, das Fahren zu übernehmen.

Mögliche Szenarien: An Kreuzung X ist es nötig, dass Menschen das Fahren übernehmen. An der Kreuzung ist es allerdings zu Stoßzeiten immer sehr stressig, der Fahrer oder die Fahrerin möchte die Fahraufgabe gar nicht übernehmen. Die Routenplanung lenkt das Fahrzeug über eine andere Kreuzung, an der es weiter automatisiert fahren kann. Alternativ könnte das Auto, wenn es weiß, dass es sich Kreuzung X nähert, die Fahraufgabe an einer weniger stressigen Stelle an den Menschen übergeben.

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